treffpunkteuropa.de: Wie bewertet ihr die hinter uns liegende Europawahl?
Malte: Die Wahlbeteiligung ist natürlich super, sie hat in der ganzen EU zugenommen. Wir sehen, dass es mehr Interesse an europäischer Politik gibt. Das ist vor allem deshalb so wichtig, weil bei dieser Wahl auch eine Frage war, wie gut die europäische Demokratie funktioniert - und wir sehen, dass diese Demokratie lebt und bestätigt wurde. Die hinter uns liegende Wahl sollten wir jetzt nutzen, um über konkrete Reformen und Inhalte zu sprechen. Gleichzeitig hat die Wahl aber auch gezeigt, dass in vielen Ländern Europas Rechtspopulist*innen gewonnen haben, wenn auch teils mit schlechteren Ergebnissen, als zu befürchten war. Gerade in Osteuropa sind populistische Mehrheiten gefestigt worden, und wir riskieren, in den nächsten Jahren einen gespaltenen Kontinent zu sehen. Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.
Du hast Inhalte und Reformen angesprochen. Wo setzt die JEF ihre Prioritäten?
Malte: Ganz klar beim sozialen und starken Europa. Ohne eine vernünftige soziale Vervollständigung wird die europäische Idee langfristig an Zuspruch verlieren. Auch die Rolle Europas in der Welt und eine gemeinsame europäische Außenpolitik ist ein wichtiges Thema. Die Weiterentwicklung in der europäischen Jugendpolitik bleibt ebenfalls wichtig.
Stella: Grundsätzlich kann man das noch weiter fassen: Es geht darum, die institutionellen Herausforderungen anzupacken, und dass man sich den großen Wurf mal wieder traut. Es ist ja nicht so, als wäre der letzte Vertrag erst gestern geschlossen worden, der Lissabon-Vertrag ist vor zehn Jahren in Kraft getreten.
Malte: Eine weitere Priorität muss mehr in der Herangehensweise liegen: Mut. Gerade die deutsche Ratspräsidentschaft 2020 bietet für eine Sache eine große Chance, die auch beim europäischen Haushalt sehr wichtig wäre: Europa machen, mutig mehr Europa bei europäischen Herausforderungen wagen und das Wahlergebnis in mutige Politik ummünzen. Die Herausforderung dabei ist, die Einheit und das gemeinsame Verständnis der europäischen Zukunft, gerade zwischen Ost- und Westeuropa, zu wahren.
Was sind im nächsten Jahr die größten Herausforderungen für die JEF, was wollt ihr anpacken?
Stella: Die Forderungen der Europamachen-Kampagne gelten weiterhin. Uns geht es darum, ihnen während der Sondierungsgespräche im Vorfeld der Wahl eines*einer neuen Kommissionspräsidenten*Kommissionspräsidentin weiterhin Gehör zu verschaffen. Die deutsche Ratspräsidentschaft wollen wir mit unseren Forderungen aktiv mitgestalten.
Malte: Auch der zivilgesellschaftliche Aspekt bleibt wichtig: Es geht uns nach wie vor darum, Europa erlebbar und verständlich zu machen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die europäische Idee für Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen erlebbar wird. Außerdem ist es uns sehr wichtig, mit dem Europaverband noch mehr im Bereich Jugend aktiv zu werden: Wir beobachten schon jetzt eine Ost-West-Spaltung in Europa, und dem wollen wir mit europäischen Jugendbegegnungen entgegenwirken.
Zum Thema Zivilgesellschaft: Was geht gerade bei der europäischen Zivilgesellschaft, und wo wird die JEF da nach 70 Jahren noch gebraucht?
Malte: Zivilgesellschaftlich geht gerade sehr viel: Viele Leute haben Lust, sich einzubringen und aktiv mitzuwirken, das hat die Europawahl gezeigt. Gleichzeitig beobachten wir aber auch, dass die Räume für Zivilgesellschaft an vielen Orten enger werden - wir sprechen hier von shrinking civic spaces. Dafür müssen wir nicht nach Polen oder Ungarn schauen, auch beispielsweise in Frankreich gibt es Bestrebungen, Förderung für junge zivilgesellschaftliche Arbeit zu kürzen.
Stella: Auch dass der Europarat überlegt, die Förderung für Jugendarbeit stark einzuschränken, ist ein beunruhigendes Signal an die Zivilgesellschaft - und im Europarat sind auch liberale Demokratien vertreten. Das macht es nicht einfacher. Trotzdem war es vor der Europawahl die Zivilgesellschaft, die einen Großteil des Wahlkampfes gemacht hat, was man von den Parteien nicht unbedingt behaupten kann. Nach der Wahl und dem Engagement der Zivilgesellschaft dürfen wir aber nun nicht in eine Untätigkeitsstarre verfallen, im Gegenteil: Wir müssen die Leute abholen und aktuelle Themen wie beispielsweise Artikel 13 aufgreifen.
Malte: Wir können als JEF hier mit unserem inhaltlichen Angebot einen wichtigen Beitrag leisten.. Wir haben Visionen, und zwar sehr konkrete: Seit 70 Jahren steht die JEF glaubhaft für die europäische Einigung und einen europäischen Bundesstaat ein. Das ist unser Angebot und bleibt unser großes Ziel - und dafür streiten wir. Wir gehen mit Visionen nicht zum Arzt, sondern voran: Wir gehen sichtbar und mutig unter Leute und setzen uns dafür ein, dass diese Visionen Realität werden.
Stella: Diese Vision leitet alles Handeln der JEF, jede Maßnahme, jede Veranstaltung. In kleinen Schritten kommen wir damit dem Ziel eines europäischen Bundesstaates immer etwas näher. Ein ganz wichtiger Schritt in dem Zusammenhang ist auch, dass wir eine europäische Öffentlichkeit schaffen.
Ab und an driften wir ab von meinen Fragen, sprechen über die JEF als Verband und ihre Rolle in Europa. Wer sich mit Stella und Malte unterhält, merkt schnell: Das hier sind keine Floskeln, und die beiden sind nicht in der JEF mit dem Ziel, ihrem Lebenslauf einen blau-gelb-europäischen Anstrich zu geben - das hier ist pure Begeisterung für die Idee, Europa zu einem besseren Europa zu machen. Seit 70 Jahren setzen sich junge Menschen bei der JEF für ein föderal geeintes Europa, für die Vereinigten Staaten von Europa ein. Wenn Malte und Stella darüber sprechen, tun sie das ohne Naivität, reflektiert, selbstkritisch, voller Tatendrang und Überzeugung. Diese Begeisterung färbt ab: Die Mitgliederzahlen der JEF steigen an - ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Jugendverbänden.
Malte: Ein zweiter Punkt ist die Bildungsarbeit der JEF, von Seminaren bis Jugendbegegnungen. Das ist unser wichtigster Beitrag dazu, Europapolitik erlebbar zu machen und jungen Menschen, die nach 1990 geboren und in einem Europa ohne Mauer aufgewachsen sind, ihre europäische Lebensrealität verständlich zu machen. Ganz wichtig ist hier für uns, Menschen einzubeziehen und für diese Lebensrealität zu begeistern, die sonst kaum Zugang dazu haben: Menschen, die keine Möglichkeit hatten, das grenzenlose Europa zu bereisen, die in ihrem Ort geblieben sind. Genau hier kann die JEF gut für Europa begeistern, weil wir dezentral organisiert und nah an jungen Menschen vor Ort dran sind. Außerdem sind wir online und offline präsent und bieten vom Kreisverband bis zur Bundesebene ein breites Feld von Aktivitäten, da ist für jede*n was dabei.
Außerdem ist die JEF, das muss man einfach sagen, ein cooler Verband, der Menschen ein Zuhause für ihr Engagement bietet. Ob Schüler*innenbildung oder Flashmobs organisieren, worauf immer man Lust hat, man wird für alles Mitstreiter*innen in der JEF finden. Es sind diese Vielfalt und die nachhaltigen Möglichkeiten sich einzubringen, Wissen mitzubringen oder darauf zurückzugreifen, was die JEF besonders macht. Mit einem starken Verband im Rücken hat hier jede*r die Möglichkeit, sich zu engagieren. Hier müssen wir aber auch mit Selbstkritik anknüpfen: Als Zuhause für ehrenamtliches Engagement müssen wir niedrigschwellig, modern, offen und attraktiv bleiben und noch stärker werden.
Stella: Ein klares Alleinstellungsmerkmal, das die JEF in der deutschen und europäischen politischen Landschaft so wichtig macht, ist, dass wir überparteilich und trotzdem politisch sind. Unsere Mitglieder gehören gleichzeitig demokratischen Parteien an oder auch nicht, und über Positionen streiten wir - und weil wir das tun, sind diese am Ende auch mehrheitsfähig. Das hebt uns als JEF ganz klar von anderen Initiativen ab: Sehr viele Initiativen sind überparteilich, aber die allermeisten sind auch unpolitisch. Wir dagegen haben ein Ziel, das es zu erreichen gilt - und stehen dafür auch politisch ein.
Malte: Das war im Übrigen auch bei Europamachen eine große Herausforderung: Welche Positionen nehmen wir auf, welche nicht und wie finden wir die überparteiliche Linie? Letztendlich bin ich froh, dass die Kampagne sehr politisch war und gleichzeitig einen starken überparteilichen Charakter hatte. Ein Beispiel: Eigentlich sind sich in der JEF die meistens einig, dass wir mehr Soziales in Europa brauchen - die Frage ist, wie das erreicht werden soll und auf welcher Ebene - europäisch oder regional - die wirksamsten Maßnahmen zu treffen sind. Dazu haben wir heiße Debatten im Verband geführt und am Ende für eine europäische Arbeitslosenversicherung als Kampagnenforderung gestimmt.
Was bedeutet der 70. Geburtstag der JEF für den Verband?
Stella: Ein phänomenaler Bundeskongress im Herbst!
Malte: Das Bundeskongress wird phänomenal - und tatsächlich ist er der Dreh-und Angelpunkt, weil wir auf die nächsten 70 Jahre schauen werden. Die JEF hat den Anspruch, mitzugestalten und bei wichtigen Entwicklungen wie Digitalisierung oder Klima mitzugehen, weiterhin sichtbar und wirksam zu sein. Um Menschen langfristig ein Zuhause für ihr Engagement zu bieten. Dabei müssen wir vor allem die Strukturen, die uns ausmachen, weiterentwickeln und für junge Menschen und neue Mitglieder niedrigschwelliger gestalten.
Stella: Ganz besonders ist eine große Herausforderung zum 70. Geburtstag, dass wir uns breiter aufstellen. Als JEF sollten wir nicht nur für Politik-und Jurastudent*innen ansprechend sein, sondern auch für Schüler*innen und Azubis. In diese Richtung müssen wir uns öffnen und aus unserer eigenen Blase herauskommen.
Und zum Schluss: Was, wenn 2040 der europäische Bundesstaat, die Vereinigten Staaten von Europa schon erreicht sind - braucht es die JEF dann weiterhin?
Malte: Ohne Frage - unsere Jugend-und Bildungsarbeit wäre auch dann unverzichtbar, um Europa verständlich und erlebbar zu machen.
Stella: Als Verband wäre es auch unsere Aufgabe, einen europäischen Bundesstaat kritisch zu reflektieren. Kein politisches System ist perfekt - und auch die Vereinigten Staaten von Europa werden vor politischen Herausforderungen stehen, die wir als JEF begleiten können und werden.
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