„We love you“ Die letzten Tage eines dahinscheidenden Präsidenten. Die Erstürmung des Herzens der amerikanischen Demokratie durch seine Anhänger*innen. Vier Tote. Laut dem frisch eingeführten US-Präsidenten Joe Biden: „einer der dunkelsten Tage der US-Demokratie“. Die Welt hält den Atem an. Die Demokrat*innen sind außer sich.
Was Donald Trump seinen Anhänger*innen sagte, war nicht, dass er sie liebt. Was er ihnen sagte, ist, dass sie alles dafür tun sollen, die Bewegung, die er in Gang gesetzt hat, um jeden Preis weiterleben zu lassen. Eine Bewegung, des Populismus der Abgrenzung, der Spaltung und des Streits, im Innen wie im Außen. Und dieses Amerika wurde nun einem neuen Mann überlassen, der mit der Aufgabe dasteht, ein gespaltenes Land mit verletzten Außenbeziehungen zu versöhnen.
Das Land der Demokratie?
Die Vereinigten Staaten von Amerika galten lange Zeit als Vorbild für die Demokratie. Das Zitat von Abraham Lincoln „Government of the people, by the people, for the people” hat sich weltweit in die Köpfe der Menschen eingebrannt und wurde Teil des American Dream. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA Europa ein Helfer. So etwa im Rahmen des Marshallplans, der den europäischen Staaten zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalf, dabei dienten die USA als demokratisches Modell für den Wiederaufbau zerstörter Länder. Dass Demokratie zu den Werten des Westens gezählt wird, geht maßgeblich auf die USA zurück.
Dieses gewichtige Erbe jedoch wurde in den vier Jahren von Donald Trumps autokratischer Präsidentschaft zur Hintergrunderscheinung. Während sich innerhalb des Landes Spaltungen vertieften, Gewalttätige und Rassist*innen per Tweet als „very fine people“ bezeichnet wurden und der mächtigste Mann im Land durch einen anhaltenden Populismus ein „Wir-gegen-die Anderen“-Narrativ anfachte, kündigte er gleichzeitig Abrüstungsverträge auf, blockierte internationale Einigungen in der Geflüchteten- und Klimapolitik und begann nach China, Kanada und Mexiko schließlich auch mit der Europäischen Union einen Handelskrieg. Auf der gesamten Welt, ob in seinem Land oder in Europa, ob auf Twitter oder auf Gipfeltreffen, hat Donald Trump für Umstülpungen gesorgt und hinterlässt eine große Unordnung.
Wer räumt nun hinter Donald Trump auf?
Auf Joe Biden liegen hohe Erwartungen
Obgleich Donald Trump die Präsidentschaftswahl bis zum Ende als „gestohlen“ bezeichnete – ungeachtet dessen, dass es kein einziges Indiz für ein falsches Wahlergebnis gibt – wurde Joe Biden trotz des Sturms auf das Kapitol am 07. Januar als Wahlsieger bestätigt. Er übernahm somit am 20. Januar das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. In diesem Amt begegnet er von jenem Tag an den Menschen, seinen treuen Unterstützer*innen, linken Amerikaner*innen, die auf einen radikalen Politikwechsel hoffen, ängstlichen Bürger*innen und radikalen Trumpist*innen auf der einen Seite sowie Staats- und Regierungschef*innen, die Hoffnung in bessere Beziehungen setzen, Internationalen Regierungsorganisationen sowie erwartungsvollen Bürger*innen aus aller Welt auf der anderen Seite. Die gesamte globale Gesellschaft blickt voller gequälter Spannung auf Joe Biden und wartet darauf, ob er es schafft, im Innen wie im Außen die Wogen zu glätten.
Warum insbesondere in der Europäischen Union große Freude über seinen Wahlsieg aufkam, zeigt sich mit Blick auf die Statements zu den Ausschreitungen im Kapitol mit einer schmerzhaften Ironie umso klarer. Von einem „unsichtbaren Angriff auf die US-Demokratie, ihre Institutionen und den Rechtsstaat“ sprach der EU-Außenbeauftragte Josep Borell, während Deutschlands Außenminister Heiko Maas Trump aufforderte, damit aufzuhören, „die Demokratie mit Füßen zu treten“. An diesen Aussagen zeichnet sich bereits ab, worauf die EU unter Joe Biden hofft: mehr Demokratie, mehr Diplomatie, mehr Rechtsstaat, mehr Verlässlichkeit, mehr Frieden.
Doch welche Hoffnungen kann die EU tatsächlich in die Beziehungen mit dem neuen Präsidenten setzen?
USA und EU: ein versöhnlicherer Ton
Tatsächlich ist es vor allem dieser bereits bekannte ruhige, versöhnliche Ton, den man von Joe Biden sowohl innen- als auch außenpolitisch erwarten kann und der einen enormen Gegensatz zu seinem Vorgänger darstellt. Ebenso ist von dem langjährigen Demokraten neben einer deutlich strikteren Corona-Bekämpfung eine klare Kehrtwende im Bereich der Klimapolitik und der Einwanderungspolitik sowie Reformen im Gesundheitswesen, der Steuerpolitik und der Polizei zu erwarten, wie es sich teilweise bereits in den ersten Stunden seiner Präsidentschaft abzeichnete. Der Präsident steht vor allem innenpolitisch vor großen Herausforderungen und kündigt darüber hinaus die Absicht an, das Land wieder zu vereinen. „Unity“ war das große Überthema der Rede, mit der er die Nation und die Welt auf seine Zeit als Präsident einzustimmen versuchte. Damit zeichnet sich bereits ab, dass der Fokus des neuen Präsidenten vor allem auf seinem eigenen Land liegen wird. Wenngleich „Make America great again“ nicht mehr das explizite Motto Bidens sein mag, gilt „America first“ nach wie vor auch für ihn. Das atlantische Zeitalter, das in der Nachkriegszeit begann, wird langsam Geschichte und das pazifische Zeitalter steigt auf, denn der asiatisch-pazifische Raum wird zunehmend zu einem Motor im weltpolitischen Geschehen. Für die USA bedeutet dies, dass das militärische Engagement Richtung Asien verschoben wird und die Konkurrenz mit China ein bestimmendes Thema ist. Auch die wesentlichen Konfliktlinien mit den USA im Rahmen der NATO bleiben bestehen und der Handel ist vermutlich nachhaltig beeinträchtigt.
Eine Verantwortung für Europa
Die Veränderungen in den Beziehungen zwischen USA und EU durch die Wahl Joe Bidens sind somit eher auf sprachlicher Ebene als auf tatsächlich inhaltlicher Ebene zu verzeichnen. Was bedeutet dies für die Europäische Union?
Erstens: Auch wenn Joe Biden bereits im Wahlkampf eine große Betonung auf eine neue Klimastrategie gelegt hat und einen sofortigen Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen wie angekündigt bereits vollzogen hat, liegt auf der EU eine große Verantwortung, das Projekt der Klimaneutralität im Rahmen des Green New Deal voranzubringen und damit auch anderen Staaten als Vorbild zu dienen.
Zweitens: Die NATO hat in den letzten Monaten insbesondere vom französischen Staatspräsidenten scharfe Kritik erfahren. Obgleich Biden das Militärbündnis stärken möchte, plädiert auch er weiterhin auf höhere Militärausgaben der Europäer*innen. Das Projekt einer Europäischen Armee wurde zeitweilen von Angela Merkel und vor allem Emmanuel Macron gestützt und sollte als Option einer europäischen Verantwortungsübernahme in der Sicherheitspolitik überdacht werden.
Drittens: Die EU verschreibt sich seit ihrer Gründung explizit der Demokratie und den Menschenrechten. Ob mit oder ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten: die EU hat als Werteunion eine moralische Pflicht, ihre politischen Systeme zu stärken und sich klar gegen das Erstarken autoritärer Regimes wie Russland und China zu profilieren.
Hinter Donald Trumps so fürsorglichem „We love you“ steckte letztlich nur ein weiteres Holzscheit, das in ein loderndes Feuer der Spaltung geworfen wurde. Angesichts der Umbruchprozesse, die die Welt, wie wir sie kennen, verändern und der voranschreitenden Globalisierung ist es keine Überraschung, dass einige Menschen Angst haben und Meinungen unterschiedlich sind. Umso wichtiger ist es für die EU, einem populistischen, volksaufhetzenden Diskurs, der Grenzen zwischen Menschen vertieft, mit Wehrhaftigkeit zu begegnen und sich für eine europäische Einheit einzusetzen, insbesondere nach dem Brexit. Die Europäische Union hat sich im Laufe ihrer Geschichte immer wieder als überaus konsensfähig bewiesen, doch in letzter Zeit kommt der Eindruck eines „streitenden Haufens“ immer wieder auf, doch die Zeiten in denen die Union von den USA an die Hand genommen wurde, sind vorbei und die Staats- und Regierungs*chefinnen der Mitgliedstaaten sollten das Schicksal des europäischen Projekts stärker denn je selbst in die Hand nehmen.
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