Alle vier Jahre wählen die Niederländer 150 Abgeordnete ins Parlament, „De Tweede Kamer“ (die zweite Kammer). Wenn die Regierung während der Legislaturperiode zerfällt, müssen Neuwahlen des Parlaments stattfinden (im Unterschied zu den Regelungen in Italien oder Großbritannien). Das aktuelle Parlament ist das erste seit 1998, das vier Jahre lang durchregiert hat. „De Eerste Kamer“, der Senat, ist das andere Organ im niederländischen bikameralen System. Dort tagen die Repräsentanten der Regionen, die von den Regionalparlamenten und nicht von den Bürgern direkt, gewählt wurden. Die Niederlande sind zudem eine konstitutionelle Monarchie, in der der König der Kopf der Parlaments ist, aber keine Macht ausübt. Stattdessen wird dem Premierminister vom Parlament die Regierungsbildung übertragen. Die Fraktion mit den meisten Stimmen bekommt im niederländischen System keine extra Sitze zugesprochen.
Eine Rekordzahl an Parteien tritt zur Wahl an
Für die Wahl am 15. März haben sich 81 Parteien registriert, eine Rekordzahl seit dem Zweiten Weltkrieg. 28 davon nehmen tatsächlich an der Wahl teil. Zum Vergleich, 2012 traten noch 21 Parteien an. Antreten darf nach der Registrierung nur, wer bestimmte Bedingungen erfüllt, wie eine bestimmte Mitgliederzahl zu erreichen oder ein ein Kapital von 11 000 Euro zu hinterlegen. Unter all den neuen Parteien werden es wohl einige ins Parlament schaffen. Eine davon ist DENK (auf Niederländisch: „denken“, auf Türkisch: „Gleichheit“), gegründet von zwei türkischstämmigen Mitgliedern der sozialdemokratischen PVDA. Die Partei möchte gegen Rassismus und die Spaltung der niederländischen Gesellschaft aktiv werden. Auf ihrer Liste haben die meisten Kandidaten einen Migrationshintergrund. In der türkischen und marokkanischen Community ist die Partei sehr beliebt. Kritisiert wird sie allerdings dafür, genau diese gesellschaftliche Spaltung durch Kooperation mit Erdogan, sowie inflationärer Nutzung des Wortes Rassismus zu schüren.
Die anderen neuen Parteien stehen eher auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Das Forum für Demokratie (FVD), Für die Niederlande (VNL) und GeenPeil gründen sich auf dem niederländischen Referendum zum Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. FVD und GeenPeil haben 2015 gemeinsam die Kampagne zur Durchführung des Referendums gestartet. Der aktuelle Chef der VNL-Partei, Jan Roos, war der Hauptsprecher der GeenPeil-Kampagne. Die VNL wurde von zwei ehemaligen Mitgliedern der PVV gegründet und positioniert sich als liberale Partei, die den Rückbau der EU zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EEG fordert. Nach dem Referendum betrat FVD, vormals nur ein Think Tank, die politische Bühne als Partei rund um Thierry Baudet. Dessen Ziel ist ein Referendum zur Mitgliedschaft der Niederlande in der EU. Gleichzeitig prangert er die etablierten Parteien an, sie würden ein Kartell im politischen Zentrum Den Haag bilden. Auch GeenPeil hat sich in der politischen Landschaft etabliert. Der Kolumnist Jan Dijkgraad ist ihr Frontmann und vertritt einen anderen Politikstil. In Onlineumfragen können die Parteimitglieder abstimmen, wie die Position der Partei sein soll. Ihre gewählten Vertreter müssen sich dann bei Parlamentsabstimmungen daran halten. Bei diesen Abstimmungen sind rechte Tendenzen erwartbar, da GeenPeil Teil der Geenstijl Medienwebseite ist, die rechten Ansichten nahe steht. Obwohl diese Parteien durch den Aufstieg des Populismus in Europa entstanden, sind ihre Umfragewerte momentan nicht gut. GeenPeil hat im Moment keinen Sitz im Parlament, VNL und FVD jeweils einen.
Geert Wilders oder Mark Rutte?
Währenddessen erzielen die etablierten Parteien in den Umfragen gute Ergebnisse. Die beiden erfolgreichsten Parteien sind dabei die Anti-EU und Anti-Einwanderungspartei von Geert Wilders, die lange Zeit vorne lag, nun aber von 28 auf 25 Sitze abgestiegen ist. Wilders Ziele für die Niederlande und die EU sind klar: das Land soll sowohl die EU, als auch die Eurozone sowie den Schengenraum verlassen. Die liberale pro-europäische VVD von Mark Rutte steht in der Wählergunst auf dem zweiten Platz und erkämpft sich mehr und mehr Wähler. 24 Sitze werden ihr momentan vorausgesagt. Die VVD hat 2010 und 2012 die Wahlen gewonnen und die Niederlande aus der Wirtschaftskrise von 2008 geführt. Die VVD zeigte sich in Brüssel pro-europäisch und trat für eine europaweite Kooperation für Flüchtlinge, das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, europäische Integration und gemeinsame Verteidigung ein. In den Niederlanden agiert Premierminister Mark Rutte teilweise viel euroskeptischer, auch um unentschiedene Wähler für sich zu gewinnen, die den Ideen der PVV nicht abgeneigt sind. Dennoch ist die VVD immer noch pro-europäischer als zum Beispiel die Konservativen in Großbritannien. Die niederländischen liberalen Parteien setzten sich für Wirtschaftsliberalismus, niedrige Steuern und weniger staatliche Intervention ein und werden daher im rechten Flügel der Parteienlandschaft verortet. In den USA hingegen werden die Demokraten oft als gleichzeitig liberal und sozial eingeordnet, was in der niederländischen Politik mit einem wirtschaftlichen Verständnis von Liberalismus unmöglich wäre.
Potenzielle Koalitionspartner
Die weiteren etablierten Parteien schwanken zwischen 10 und 20 Sitzen. Am meisten Stimmen bekommt wohl die christlich-demokratische pro-europäische Partei CDA, die sieben Jahre in der Opposition hinter sich hat. Die CDA hat 2005 die pro-europäische Bewegung rund um das Referendum zur Europäischen Verfassung angeführt und Unterstützung von fast alle größeren Parteien bekommen. Trotz der 61,6% Stimmen, die für ein „Nein“ stimmten, ist die CDA der Hauptunterstützer für mehr europäische Integration. Die progressive und europhile liberale D66 wird von Alexander Pechtold angeführt und bekam bei der letzten Wahl 12 Sitze. Die Mitgliederbasis sowie der Erfolg der Partei ist stark gewachsen, von 3 Sitzen 2006, 10 in 2010 und eventuell 17 in diesem Jahr. D66 setzt sich für eine föderale Europäische Union ein. Die grün-linke Partei Groenlinks erzielt momentan ungeahnte Erfolge, so würde sie den Hochrechnungen zufolge 14 statt sonst 5 Sitzen erreichen. Ihr junger und charismatischer Chef Jesse Klaver zieht junge Wähler an, die kein Vertrauen mehr in die Sozialdemokraten der PVDA haben.
Zwei Parteien werden wohl jeweils 11 Sitze erreichen: die pro-europäische PVDA und die euroskeptische SP. Erstere sind Sozialdemokraten, die Teil der Regierung sind. Während die VDD auch nach ihrer Regierungszeit beliebt bleibt, erreicht die PVDA nun noch 11 statt wie 2012 38 Sitze. Bereits 2010 ging es der PVDA ähnlich, als ihr Vorsitzender Job Cohen unbeliebt war. Als er zurücktrat, brachte sein Nachfolger Diederik Samson die Partei wieder auf Vordermann, sodass sie bei den Wahlen 2010 und 2012 zweitstärkste Kraft wurde. Der neue Vorsitzende, Lodewijk Asscher, hat das bisher nicht erreichen können. Die Sozialisten der SP haben währen der letzten Wahl besser abgeschnitten als nun vorausgesagt. Die SP ist die einzige linke euroskeptische Partei, die 5 Sitze erreichen könnte. Sie stehen für eine EU-Mitgliedschaft, sind aber gegen eine weitere Integration.
Die Parteienlandschaft der Niederlande ist gebrochen. Selbst wenn Geert Wilders Partei gewinnt, muss er Koalitionspartner finden. Allerdings hat fast jede Partei eine Regierungskoalition mit ihm ausgeschlossen, und selbst wenn sie zustande käme, wäre Wilders Partnerpartei sicherlich pro-europäisch. Sollte Wilders gewinnen, ist es wahrscheinlich, dass die VVD die Regierungsbildung übernimmt, die wiederum eine Koalition mit der CDA, D66 und Groenlinks oder einer Kombination bilden wird. Wenn die PVV aber weiterhin in der Wählergunst absteigt, könnte es auch erneut die VVD sein, die die niederländischen Parlamentswahlen gewinnt.
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