Schweden übernimmt den Ratsvorsitz - eine Präsidentschaft zum falschen Zeitpunkt

, von  Oskar Wernitz

Schweden übernimmt den Ratsvorsitz - eine Präsidentschaft zum falschen Zeitpunkt
Eröffnung der schwedischen Ratspräsidentschaft in Kiruna Foto: European Union, 2023 / Michael Campanella / Lizenz

Unten schlummert das größte Erzvorkommen Europas, an der Oberfläche schmelzen die Eiszapfen. Mit dem Besuch der EU-Kommission in Kiruna, wurde die dritte schwedische Ratspräsidentschaft offiziell eröffnet. Der Besuch, der im tiefen Norden Schwedens liegenden Stadt, wirkt symbolisch. Denn Schweden gibt sich selbstbewusst und will wieder auf die Stärken der EU bauen. Gleichwohl übernimmt das Land die Präsidentschaft in Zeiten in denen Krieg in der Ukraine herrscht, der Klimawandel immer sichtbarer wird, Europa unter einer Energiekrise und steigende Inflationszahlen leidet und mit Pandemiefolgen zu kämpfen hat. Hierfür braucht es Antworten. Nach den letzten Korruptionsvorwürfen bedarf es zudem neues Vertrauen in die Institutionen der EU. Erschwerend kommt nun noch hinzu, dass Schweden innenpolitisch stark durch eine europakritische Partei bestimmt wird. Ein Antritt zur Ratspräsidentschaft stand schon mal unter einfacheren Vorzeichen.

Was bedeutet eine Ratspräsidentschaft?

Der Rat der Europäischen Union (im Folgenden: der Rat) besteht aus den für das jeweilige Thema kompetenten Fachminister*innen der Mitgliedstaaten. Wenn der Rat also über Justizangelegenheiten diskutiert, hat er zwangsweise eine andere Zusammensetzung als bei außenpolitischen Fragestellungen. Dies hat zur Folge, dass der Rat anders als die anderen EU-Organe kein personengebundenes Präsidialorgan hat, sondern die Präsidentschaft alle 6 Monate von einem anderen Mitgliedstaat übernommen wird. Diese Präsidentschaft wird in sogenannten Trios übernommen. Wegen der sukzessiven Erhöhung der Anzahl der Mitgliedstaaten in der EU, hielt man es seit dem Vertrag von Lissabon im Sinne einer kohärenten Präsidentschaft für sinnvoll, dass jeweils drei aufeinanderfolgende Präsidentschaftsstaaten ein gemeinsames Programm für die nächsten eineinhalb Jahre aufstellen. Dabei kann jedes Land während seiner Präsidentschaft allerdings noch eigene Schwerpunkte setzen. Schweden, das am 01.01.2023 die Präsidentschaft von Tschechien übernommen hat, schließt damit die Triopräsidentschaft von Frankreich, Tschechien und Schweden ab.

Die Reihenfolge der aufeinanderfolgenden Staaten ist hierbei vorbestimmt und auch die Sitzordnung in den Sitzungssälen des Rats folgt dem Turnus der Präsidentschaft, sodass Schweden momentan an der Stirn eines jedes Saales sitzt. In dieser Stellung leitet das Land alle Tagungen und Ausschüsse des Rates und seiner Untergliederungen. Außerdem repräsentiert es den Rat gegenüber den anderen EU-Institutionen. In dieser Funktion kann der präsidierende Staat sein Programm realisieren. Das Programm ist hierbei zumeist sehr optimistisch formuliert und wird selten komplett realisiert.

Die vier Prioritäten Schwedens:

Schwedens Präsidentschaftsprogramm, das sich größtenteils als Reaktion auf die momentanen Krisen liest, baut auf vier Säulen auf: Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, grüner Wandel und Energiewende sowie Demokratie und Rechtsstaat.

Sicherheit durch Einheit Schweden möchte in Form eines geschlossenen Auftretens der EU, der Aggression Russlands entgegentreten. Das umfasst eine weitere wirtschaftliche und militärische Unterstützung des Landes sowie Sanktionen gegen Russland und Belarus. Weiterhin soll während der Präsidentschaft die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU vorangetrieben werden. Das Programm plädiert außerdem ganz allgemein für ein stärkeres Auftreten der EU bei der internationalen Friedenssicherung, um so in der Endkonsequenz auch die Unionsbürger zu schützen. So möchte man die EU in Krisenfällen handlungschneller gestalten. Konkret wird hierbei vorgeschlagen manche Entscheidungen der GASP, statt per Konsens nur noch mit qualifizierter Mehrheit zu treffen.

Das Programm spricht insofern auch von dem Aufstellen eines langjährigen „strategischen Kompass“, der vor allem weltweite Kooperationen mit den Staaten in Osteuropa sowie mit Großmächten wie den USA, Großbritannien aber auch China und Indien vorsieht. Ferner fällt unter diese Säule die stärkere Bekämpfung organisierter und grenzüberschreitender Kriminalität, vor allen in den Bereichen Geldwäsche, Terrorfinanzierung sowie Onlinekriminalität. Weiter soll die Sicherheit der Menschen in Europa und der Menschen, die nach Europa fliehen durch klare Regeln zu Migration und Asyl gesichert werden. Was gerade auch durch den Krieg in der Ukraine und den Geschehnissen an der europäischen Mittelmeergrenze immer dringlicher wird.

Wettbewerbsfähigkeit Als zweite starke Säule der schwedischen Ratspräsidentschaft soll die EU nach der pandemiebedingten wirtschaftlichen Rezession, wieder international wettbewerbsfähig sein. Die Ratspräsidentschaft fällt zusammen mit dem 30-jährigem Bestehen des Binnenmarkts, der im Zentrum der europäischen Wirtschaftspolitik steht. Schweden setzt hierbei auf freien Wettbewerb mit privaten Investitionen und Inventionen. Ferner soll die Digitalisierung erfolgreich vorangetrieben werden. Ziel ist es, den Handel zu diversifizieren, um so einseitige Abhängigkeiten wie in Sachen fossiler Energie zu Russland oder bezüglich seltener Erden zu China zu verringern. Gerade bezüglich letztgenannten, kommt das gerade gemeldete größte seltene Erdenvorkommen Europas in Schweden ganz Recht. Weiterhin möchte Schweden stark die europäische Raumfahrt fördern, einen pandemiebedingten Medizinnotstand vorbeugen und die Entwicklung effektiver Antibiotika sicherstellen.

Wohlstand durch grünen Wandel und Energiewende

Diese dritte Säule ist eng mit der zweiten verbunden. Schweden möchte die Synergie daraus nutzen, dass die EU Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit und somit international wettbewerbsfähig wird. Es sollen nachhaltige Projekte und Inventionen nach dem durch das Präsidentschaftstrio aufgestellten „Fit-für-55“ (Senkung der Treibhausgasemissionen um 55% bis 2030) gefördert werden. Beispielshaft genannt werden die in Schweden hergestellten Speicherbatterien für grüne Energie. Ferner soll in Form des Programms „REPowerEU“ die dringend benötigte Energiewende vorangetrieben werden. Weg von den fossilen hinzu den nachhaltigen, ein System für das Schweden innerhalb der EU Vorbild ist. So sollen schwankende Energiepreise in den Mitgliedstaaten bekämpft und die Energiemärkte reformiert werden. In Bezug auf den grünen Wandel beinhaltet das Programm außerdem einen Ausbau nachhaltiger Verkehrsnetze.

Demokratie und Rechtsstaat Die letzte Säule stellt gleichzeitig das generelle Wertefundament der EU dar. Die Demokratie soll durch aktive Bekämpfung von Desinformation im Netz und durch mehr Transparenz beschützt werden. Rechtsstaatlichkeit soll durch eine konsequente Anwendung des Bestrafungsmechanismus aus Art. 7 des Vertrags der EU durchgesetzt werden. Das Konfliktpotential zu Ungarn und Polen wird damit sicherlich nicht geringer. Schließlich werden der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Inklusion als Schwerpunkte genannt.

Die Schwedendemokraten und die EU – passt das?

In Schweden kam zum Oktober 2022 eine neue konservative Minderheitsregierung an die Macht. Die vor allem von den Stimmen der Partei der Schwedendemokraten abhängig ist, um innenpolitisch Mehrheiten zu erzielen. Die Schwedendemokraten sind eine Partei, die sich 1988 aus nationalsozialistischen Überzeugungen gegründet hat. Mittlerweile ist sie zwar moderater, sie fällt jedoch immer noch durch rechtsradikale Äußerungen auf. So skandiert die Partei beispielsweise für „Schweden zuerst“ und leugnet den Klimawandel. 2016 plädierte sie für den Austritts Schwedens aus der EU und zeichnet sich durch eine starke Sicherheits- und Anti-Immigrations-Politik aus. Die schwedische Regierung betont zwar ausdrücklich, nicht mit dieser Partei in einer Koalition zu sein, faktisch haben die Schwedendemokraten als zweitstärkste Kraft aber immer mehr Einfluss in nationalen Entscheidungsprozessen.

Sowohl das Programm zur Triopräsidentschaft als auch die Schwerpunkte Schwedens wurden hingegen noch von der alten sozialdemokratischen schwedischen Regierung ausgearbeitet. Der konservative Regierungschef Ulf Kristersson betont hinter dem Programm zu stehen und die EU-Politik unabhängig von der Innenpolitik betreiben zu wollen. Trotzdem bleibt es fraglich, ob das Programm mit der Entschlossenheit vollzogen wird, wie es bei einer Präsidentschaft Schwedens vor ein paar Monaten unter einer sozialdemokratischen Regierung der Fall gewesen wäre. Dies lässt sich vor allem anhand der Inhalte der ersten und dritten Säule gut darstellen.

Realisierung des Asyl- und Migrationspakets höchst unwahrscheinlich

Auch wenn die Schwedendemokraten sich für die Stärkung der Sicherheitspolitik einsetzen werden, ist ein Kernelement des schon bestehenden Programms das längst überfällige Asyl- und Migrationspaket. Dieses wurde in den vorherigen Ratspräsidentschaften von Frankreich und Tschechien bereits vorbereitet. Für Kristersson ist es auf nationaler Ebene aber kaum mehrheitsfähig, auf europäischer Ebene einem Aufteilungsschlüssel zuzustimmen, der weitere Geflüchtete nach Schweden verteilt. Mithin ist der Abschluss des Asyl- und Migrationspaket während der schwedischen Ratspräsidentschaft nicht zu erwarten.

Die Schwedendemokraten leugnen den Klimawandel

Auch die Umsetzung der Klimapakete „Fit-for-55“ und „RENewEU“ stößt während der schwedischen Ratspräsidentschaft an ihre Grenzen. Das Koalitionspapier der schwedischen Regierung beinhaltet wenig grün und plant stattdessen klimafreundliche Infrastrukturmaßnahmen weniger zu fördern und im Gegenzug den Autoverkehr massiv auszubauen. Eine starke Partei, die den Klimawandel leugnet, jedoch aber notwendig für die Mehrheitsfindung ist, wird hierbei sicher nicht helfen. Das ist gerade so schockierend, da Schweden in den Jahren als Vorbild auf diesem Gebiet galt.

Die EU befindet sich in einer Schlüsselphase seiner Existenz. Durch mannigfaltige Krisen ist die Wirtschaft schwach wie lange schon nicht mehr. Zeitgleich muss die EU ihren Platz in der Weltgemeinschaft sichern und innereuropäisch die Eskalation des Konflikts mit Ländern wie Polen und Ungarn verhindern. Die anstehende Ratspräsidentschaft ist also entscheidend um aus diesen Krisen gestärkt herauszukommen. Im Frühjahr 2024 stehen die Europawahlen an, für die es wieder Vertrauen braucht. Im Jahr 2025 haben eben die beiden enfants terribles, Polen und Ungarn, den Ratsvorsitz inne. Es braucht daher jetzt einen aktiven Vorsitz um Reformen einzuleiten. Schweden verspricht eine aktive tatkräftige Führung, an deren Umsetzung jedoch aufgrund der innenpolitischen Lage Zweifel bestehen.

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