Malta - fortschrittliche Einwohner mit Vorbildfunktion für Europa?
Der Archipel von Malta zählt um die 520.000 Einwohner*Innen, ähnlich viele wie die Stadt Nürnberg in Bayern, die sich hauptsächlich auf die drei größten Inseln Malta, Gozo und Comino verteilen. Malta ist zwar eines der kleinsten und bevölkerungsärmsten Länder der Europäischen Union, aber dennoch in vielen Bereichen ein Vorreiter: Das führt dazu, dass Malta gerne auch mal als der fortschrittlichste Staat in ganz Europa betitelt wird.
Die Insel im Mittelmeer ist der erste EU-Staat, der sich dazu entschlossen hat, Cannabis für fast alle Verwendungszwecke zu legalisieren. Der Beschluss löste weder große Kontroversen aus, noch gingen ihr langwierige oder schmerzhafte Debatten voraus, wie es in anderen europäischen Staaten der Fall gewesen wäre. Nennenswerte Proteste gab es weder von der Politik, noch von der Zivilbevölkerung. Das zeigt, wie offen und fortschrittlich die maltesische Gesellschaft dem Thema Cannabislegalisierung gegenübersteht, ganz im Gegenteil zu den kritischen Stimmen, die aus Frankreich oder Deutschland kommen. Frankreich zeigt sich beispielsweise skeptisch beim Einsetzen von Cannabis als therapeutisches Mittel. Und in Deutschland will man das Verkauf des Rauschmittels mit vielen Vorschriften regeln, beispielsweise dürfte die Droge nur in lizensierten Geschäften verkauft werden. Malta hat bei diesem Schritt keine einzige Sekunde gezögert.
Vorreiter auch bei der Wahrung von LGTBQ+-Rechten
Dieser fortschrittliche Trend beschränkt sich nicht nur auf den Sonderfall Cannabis, ganz im Gegenteil! Malta ist auch ein Vorreiter bei der Wahrung und Förderung der Rechte von Homosexuellen. Zwar hat das maltesische Parlament das erste Gesetz zur Bekämpfung der Diskriminierung von homosexuellen Menschen erst im Jahr 2004 verabschiedet, dennoch bemühten sich die Behörden um die Einhaltung der Gesetze. Auch in der Bevölkerung fand das Engagement der Regierung schnell Unterstützung. In den letzten zehn Jahren hat Malta eine Vielzahl an Gesetzen geschaffen, die den Schutz und die Emanzipation von LGBTQ+-Personen ermöglichte, wie die Ehe oder auch die Möglichkeit der Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare. Heute gilt die Insel als der EU-Staat, der sich am stärksten für die Verteidigung der LGBTQ+-Rechte einsetzt. Wenig überraschend forderte Maltas Regierung auch einen besseren Schutz von Homosexuellen auf europäischer Ebene, als Reaktion auf das umstrittene Gesetz des ungarischen Regierungschefs Victor Orbán, das eine Vermischung von Homosexualität, Pornografie und pädophiler Kriminalität vorsah.
Die Kehrseite der Medaille: Das Erbe des Katholizismus und des Konservatismus auf der Mittelmeerinsel
Paradoxerweise ist Malta nach wie vor eine sehr katholische und zudem auch eine konservative Gesellschaft. Noch immer bekennen sich 97% der maltesischen Bevölkerung zum römisch-katholischen Glauben, was die immer noch sehr starke Macht der katholischen Kirche über das Land erklärt. Dieser Einfluss hat beispielsweise die Verabschiedung von Gesetzen zum Schutz der Rechte von LGBTQ+ oder zur Zulassung von Zivilscheidungen, die nämlich erst seit 2011 erlaubt ist, verzögert. Die meisten Maßnahmen, mit denen das Land heute konfrontiert ist, werden jedoch von der breiten Bevölkerung akzeptiert, da sie als mit den christlichen Werten vereinbar angesehen werden. Andere wiederum werden von der Bevölkerung als Angriff auf ihre Religion wahrgenommen. Die katholischen Einflüsse sind wichtig, um die maltesische Bevölkerung und deren teils konservative Ansichten besser verstehen zu können.
Strikte Abtreibungsgesetze
Das Thema Abtreibung ist das perfekte Beispiel für diesen maltesischen Dualismus. Der freiwillige Schwangerschaftsabbruch wird überall in Europa als eines der Rechte angesehen, die es Frauen erlauben, frei über ihren Körper zu entscheiden, so wie sie es möchten. Das trifft auch auf breite Unterstützung, vor allem in Westeuropa, wo 81% der Einwohner den legalen Schwangerschaftsabbruchs befürworten. In Malta jedoch sind 95% der Bevölkerung komplett gegen die Legalisierung der Abtreibung, weshalb sie dort auch verboten sind. Malta hat neben dem Vatikan nämlich das strengste Abtreibungsgesetz der EU, dass es Frauen unter keinen Umständen erlaubt, abzutreiben. Die restriktive Abtreibungspolitik zwingt jährlich Hunderte von Frauen, für eine Abtreibung zu reisen und dafür große Risiken in Kauf zu nehmen. Wie könnte es aber auch anders sein? In katholischen Kreisen wird die Abtreibung als schlimmes Vergehen gesehen, nämlich als das geplante und bewusste Ende des Lebens eines Menschen. Und obwohl diese Sichtweise kritisiert werden kann, wird sie dennoch von vielen Malteser*innen geteilt.
Übrigens haben die beiden führenden Parteien Maltas, die linke Partit Laburista sowie die rechte Partit Nazzjonalista, als einzige Gemeinsamkeit, dass sie beide strikt gegen die Legalisierung der Abtreibung im Land sind. Konservativ und gleichzeitig recht progressiv beschreibt die maltesische Gesellschaft also ziemlich passend. Ein perfektes Beispiel für diesen Dualismus ist die potentielle Kandidatin für die Präsidentschaft des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola. [Metsola wurde mittlerweile zur Präsidentin des Parlaments gewählt. Anm. d. Red.] Die Malteserin, die der mitte-rechts gerichteten Europäischen Volkspartei angehört, vertritt den liberalen Flügel des Europäischen Rechts. Einerseits setzt sich die 42-Jährige für die Rechte von LGBTQ+, das Asylrecht und die Vielfalt innerhalb Europas ein, andererseits ist sie Abtreibungsgegnerin und plädiert für ein vollständiges Verbot von Abtreibungen.
Dieses für ein europäisches Land untypische und zwiegespaltene Bild von Malta macht es uns möglich, neue Blickwinkel zu erhalten und gleichzeitig klischeehafte Urteil über eine Gesellschaft zu überdenken. Vielmehr lernen wir zu schätzen, was Malta voll und ganz ausmacht: „In varietate concordia“! „In Vielfalt und Eintracht“!
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