Interview mit dem Europaageordneten Niklas Nienaß

Jung & grün: Warum grüne Veränderungen gut erklärt sein mögen und wie das geht

, von  Julia Bernard

Jung & grün: Warum grüne Veränderungen gut erklärt sein mögen und wie das geht
Von Tierschutz bis Arbeitsschutz: Die Wege in die klimagerechte Welt müssen gut erklärt werden und Menschen mitnehmen. Hierfür müssen jedoch auch Greenwashing und Mogelpackungen klar aufgezeigt werden. Foto zur Verfügung gestellt von Niklas Nienaß

Niklas Nienaß ist grüner Europaabgeordneter und erklärt treffpunkteuropa.de, dass der breiten gesellschaftlichen Mehrheit, die es mittlerweile für Klimaschutz gibt, keine Angst vor den bevorstehenden Veränderungen gemacht werden darf. Das gehe nur mit guter Kommunikation und dem Aufzeigen „grün gewaschener“ Lösungen, die keine sind.

Der Europäische Green Deal wurde inhaltlich besonders von vielen jungen Menschen aus der Klimabewegung stark kritisiert: Das Reduktionsziel von etwas unter 55% entspricht noch immer nicht dem wissenschaftlichen Konsens von 65% Treibhausgasreduktionen bis 2030. An wem ist es gescheitert und was tut die grüne Fraktion, damit sich hier mehr bewegt?

Wir haben die EU in den letzten Jahren deutlich klimafreundlicher gemacht. Ab er ja: das neue Klimagesetz ist leider eine Enttäuschung. Die Ziele reichen nicht aus. Wir sind dahinter zurückgeblieben, was wir Grünen gefordert haben, auch, was das Parlament insgesamt gefordert hat. Wie leider oft kommt die EU nicht voran, weil einzelne nationale Regierungen im Rat blockieren. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass der Green Deal keine Mogelpackung wird. Ich setze mich vor allem dafür ein, dass wir Erdgas-Projekte in Europa endgültig den Hahn abdrehen. Die Industrielobby, Konservative und einige Mitgliedstaaten machen großen Druck, diese angebliche „Brückentechnologie“ in alle möglichen Gesetzestexte hinein zuverhandeln. Wir Grüne haben da als einzige Fraktion von Anfang an konsequent Widerstand geleistet. Wir machen ganz klar, dass Gas klimaschädlich ist und in Europa keinen Platz hat.

Der Green Deal ist ja nur ein Hebel. Wie steht es um das EU-Budget, den Mehrjährigen Finanzrahmen, und die Gemeinsame Agrarpolitik der EU?

Den Finanzrahmen, der alle sieben Jahre verabschiedet wird, haben wir nun ganz gut hinbekommen. Die Gemeinsame Agrarpolitik bleibt katastrophal. Meine Hoffnung ist, dass wir Grünen vielleicht über eine Regierungsbeteiligung in Deutschland da noch etwas drehen können. Wie man jetzt mit dem Klimagesetz sieht, ist konsequente Klima- und Umweltpolitik auch weiterhin kein Selbstläufer. Wir leben in Zeiten, in denen sich auch Konservative das Thema gerne auf die Fahnen schreiben. Auch Konservative haben mittlerweile kapiert, dass sich die Menschen ernsthaft Sorgen um die Zukunft machen. Heute postet auch ein Hardliner wie Markus Söder ein Foto, wo er einen Baum umarmt. Am Ende wird dann aber getrickst, wo es nur geht, um Freunden in sterbenden Industrien noch einen letzten Gefallen zu tun. Wenn wir bis 2050 klimaneutral sein und die 1,5 Grad noch schaffen wollen, dann geht das nur mit starken Grünen. Krassere Klimaschutzpolitik können wir nur mit mehr Sitzen machen.


Auf seinem YouTube Channel veröffentlicht Niklas alle zwei Wochen Videos zu aktuellen politischen Themen in Europa. Unter anderem auch zur Frage, wie das Europa der Zukunft aussehen sollte.


Wie wir über das Klima sprechen: Konkrete Probleme aufzeigen

Wie wir an der EU-Klimapolitik sehen, ist Klima ja auch ein sehr technisches Thema. Es geht immer viel um CO2-Reduktionsziele. Müsste nicht noch stärker kommuniziert werden, dass die Klimakrise eine systemische Krise ist, also eine Krise unseres Wirtschaftens, des Kapitalismus, unserer Beziehung zur Natur – schlicht unseres liberalen Gesellschaftsmodells. Müssten sich Klimadebatten etwas von CO2-Reduzierung entfernen zu Gunsten von Kapitalismuskritik?

Für das EU-Parlament gesprochen: Da lohnt es sich wahrscheinlich nicht, solch einen Diskurs anzutreten. Wir haben es dort leider mit einer konservativen Mehrheit zu tun, die für eine solche Argumentation vollkommen unerreichbar ist. Hier halte ich es für erfolgsversprechender, den Kompromiss zu suchen. In der größeren, gesellschaftlichen Debatte müssen wir aber die systemische Krise durchaus kommunizieren. Wir müssen klarmachen, dass wir gesellschaftlichen Wandel brauchen, wenn wir nicht wollen, dass uns der ganze Laden bald um die Ohren fliegt. Es geht nicht darum, einzelne Menschen zu „shamen“, die sich keine Mortadella vom Öko-Metzger leisten können, oder einmal im Jahr ans Mittelmeer wollen. Es geht viel eher darum, große Industriekonzerne für ihr Handeln verantwortlich zu machen, nicht mehr zuzulassen, dass sie einzelne Staaten gegeneinander ausspielen, um sich einen günstigen Platz für Ausbeutung, Steuerflucht und CO2-Exzesse zu sichern. Und auf individueller Ebene, da denke ich, dass oft schon ein Umdenken stattfindet. Das passiert Schrittweise, und ich habe Vertrauen darin, dass sich das bei immer mehr Menschen durchsetzt.

Wie kann dann über Klimaschutz gesprochen werden?

Ich denke da an meine Großmutter, die früher immer sehr billiges Fleisch gekauft hat. Nun merkt sie und wir alle, dass sich etwas verändert hat: Immer mehr Menschen stellen sich Fragen nach Tierwohl, Arbeitsbedingungen oder Landwirtschaft. Ich glaube, dass Menschen auch so konkret an Probleme herangeführt werden müssen. Es kann dann nicht von heute auf morgen heißen „Kapitalimus abschaffen“, sondern Menschen müssen merken, dass sie etwas konkret moralisch verwerflich finden. Es ist also ein Balanceakt zwischen gutem Erklären und notwendiger Veränderung.

Was bedeutet das konkret für die Klimabewegung?

Die Klimabewegung muss zwar noch radikaler in der Forderung werden, aber nicht in der Ansprache. Ein guter Anknüpfungspunkt sind sicherlich komplett aus den Fugen geratene Globalisierungstrends. Ich denke an die Billigprodukte, bei denen es nur noch um blinden Konsum geht. Hier kann man sehr konkrete Fragen mit auf den Weg geben: Was möchte ich mir von meinem Geld kaufen? Wofür arbeite ich eigentlich?

In der Krise haben wir auch gemerkt, dass kein digitales Gadget unsere sozialen Interaktionen aufwiegen kann. Wir haben gemerkt, dass Pflegekräfte, Erzieher*innen und Lehrer*innen deutlich wichtiger sind als Hedgefondsmanager, die Millionen verdienen.

Ohne Greenwashing, mit gutem Essen in die Zukunft

Der European Green Deal spricht immer wieder von „new growth strategies“, jedoch bestreitet die hauseigene Europäische Umweltagentur, dass das im Green Deal fortbestehende Wachstumsparadigma mit ernsthaftem Klima- und Umweltschutz einhergehen kann: Siehst du in diesem Zusammenhang die Gefahr, dass ein großer Teil der EU-Klimapolitik sich des Greenwashings bedient?

Greenwashing erlebe ich in der Politik leider täglich. Wir Grünen kämpfen jeden Tag gegen konservativen Parteien, die den Green Deal an allen Ecken und Enden aufzuweichen zu versuchen. Das Greenwashing der Konservativen hat zwei Elemente. Zum einen funktioniert konservatives Greenwashing so, dass man sich öffentlich zu Klimaschutz bekennt, dann aber mit aller Macht daran arbeitet, Projekte wie das Klimagesetz zu sabotieren. Zum anderen dadurch, dass hinter dem Klimaschutz-Etikett keine nachhaltige, grüne Gesellschaftsvision steht. Es geht ja nicht nur um CO2-Werte. Sondern auch um die Frage, wie wir als Gesellschaft dahinkommmen, ob wir den Wandel zu einer emissionsfreien Wirtschaft auch nutzen, um eine gerechtete, inklusivere, freiere Gesellschaft auf den Weg zu bringen. Ich will nicht, dass wir 2050 ein Europa haben, das zwar klimaneutral ist, in dem aber weiter Löhne gedrückt und Sozialsysteme zusammengestrichen werden.

Was ist hier die Aufgabe grüner Parteien?

Grüne Kräfte müssen weiter dafür kämpfen, dass Maßnahmen auf den Weg bringen, mit denen wir die Pariser Klimaziele erfüllen können. Grüne Parteien müssen sich natürlich immer fragen, welchen systemischen Wandel es für eine gute Gesellschaft braucht.

Wenn zum Beispiel ein Tierschutzlabel eingeführt wurde, dann muss dieser Gedanke weitergeführt werden. Vom Tierschutz muss es um Arbeitsschutz gehen und so weiter. Wenn jedoch Greenwashing betrieben wird, dann muss der auch aufgezeigt werden. Was dabei immer wichtig ist, bleibt die Art und Weise, wie solche Themen und Veränderungen vermittelt werden: Sie müssen Menschen mitnehmen und müssen immer verständlich sein.

Das ist ein wichtiger Punkt. Eine klimagerechte Welt ist ja auch eher ein Ort der Chancen und nicht der Verbote. Welche drei Dinge muss es für dich in einer klimagerechten Welt geben?

Erstens: Kulturelle Vielfalt. Die Vielfalt, die wir in Europa oder auch in Deutschland haben, ist super wichtig. Die müssen wir auch in Zukunft noch genießen können. Einen kulturellen Einheitsbrei brauchen wir nicht. Wir brauchen die Freiheit, frisch zu denken.

Zweitens: ein soziales Zusammenleben, das im Einklang mit der Natur steht. Das klingt jetzt nach Öko-Hippie, aber ich finde es wichtig, dass wir davon abkommen den ganzen Tag in Büros zu sitzen. Es braucht mehr soziales Zusammensein und das dann am besten nicht in der Bowling Bar, sondern im Wald oder am See. Lasst uns doch die Natur neu entdecken!

Drittens: das beste Essen. Man kann ökologisch gerecht essen und das, ohne auf Genuss zu verzichten. Im Gegenteil! Unser zukünftiger Einkaufskorb soll reich an Vielfalt sein! Aktuell essen wir zum Beispiel von den tausenden Tomatensorten nur ganz wenige. Lasst uns das doch ändern, und die Vielfalt am Esstisch wieder entdecken! Genuss geht auch ohne industriell gefertigtes Fleisch, ohne industriell gefertigten Zucker.

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