Neue EU-Lieferkettenrichtlinie

Gut genug für den Schutz von Menschenrechten und Klima?

, von  Jasmin Kreutzer

Gut genug für den Schutz von Menschenrechten und Klima?
Im April 2013 forderte der Einsturz der Rana Plaza Fabrik in Bangladesch den Tod von über 1000 Menschen. In der Fabrik ließ u.a. Kik Kleidung herstellen. Solche Katastrophen sollen zukünftig durch die strengen Sorgfaltspflichten für Unternehmen in der EU-Lieferkettenrichtlinie verhindert werden. Foto: Foto: Wikimedia Commons / Sharat Chowdhury / CC BY 2.5

Das geplante EU-weite Lieferkettengesetz verspricht, große Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltauswirkungen entlang ihrer Lieferketten direkt zur Verantwortung zu ziehen. Trotz vieler positiver Ansätze bleiben Herausforderungen beim Menschenrechts- und Klimaschutz. In Zukunft werden weitere Schritte notwendig sein, um die Komplexität globaler Lieferketten zu erfassen. Außerdem könnte sich die Blockadehaltung der FDP noch als großer Stolperstein für das Gesetzesvorhaben erweisen.

Schon in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen wurden unternehmerische Sorgfaltspflichten festgelegt. Frankreich und Deutschland haben mit ihren Gesetzen bereits einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung dieser Prinzipien geleistet. Nun hat sich das Europäische Parlament mit Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten auf ein Entwurf für ein EU-weites Lieferkettengesetz geeinigt, das Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), das über den Schutz der Menschenrechte hinaus auch das Klima im Auge haben soll. Wie gut aber würde die Richtlinie das Klima und die Einhaltung der Menschenrechte wirklich schützen? Reichen die Vorschläge der EU aus oder bleiben wichtige Lücken?

Wieso brauchen wir überhaupt ein Lieferkettengesetz in der EU?

Große Unternehmen verkaufen und produzieren zunehmend in mehr als einem Land oder Kontinent und besitzen dadurch eine komplexe Lieferkette mit verschiedenen Geschäftspartner*innen, Mitarbeiter*innen, und Vertreiber*innen. In solchen Lieferkettenstrukturen kommt es regelmäßig zu Verstößen gegen Menschenrechte und zu Verschmutzungen der Umwelt. So wird der Textilindustrie immer wieder Zwangsarbeit vorgeworfen und beim Jade-Abbau in Myanmar bemängeln Menschenrechtsorganisationen den unzureichenden Arbeitsschutz. Dazu wurden Fälle bekannt, in denen indische Farmer durch den Einsatz von Pestiziden Vergiftungen erlitten. Verletzungen können an verschiedenen Stellen in der Lieferkette vorkommen und bleiben oft unsichtbar, weil die Lieferkettenstrukturen häufig kompliziert und unübersichtlich sind. Dadurch kann die Verantwortung nicht immer klar einer Partei zugeordnet werden.

Kerngedanke des aktuellen Entwurfs ist, große Unternehmen für tatsächliche Verstöße in der Lieferkette direkt und unmittelbar in Verantwortung zu ziehen. Der Gesetzesentwurf zeigt aber auch, dass die EU stärkere Verantwortung für ihre Werte sowie für die Einhaltung von EU-Beschlüssen wie der Kinderrechtstrategie und dem European Green Deals übernehmen möchte. So kann die EU etwa in ihrer Kinderrechtsstrategie nicht einen Zero-Tolerance-Ansatz zu Kinderarbeit verfolgen, aber gleichzeitig Kinderarbeit in den Lieferketten europäischer Unternehmen dulden.

Mehr Gleichheit, mehr Haftbarkeit, mehr Dialogmöglichkeiten entlang der Lieferkette

Wie fördert der Gesetzesentwurf konkret den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte? Zunächst vereinheitlicht er Regelungen zu unternehmerischer Sorgfaltspflicht innerhalb der EU. Somit werden Wettbewerbsnachteile zuungunsten jener Unternehmen abgebaut, die ihren Sitz in Ländern haben, die schon Sorgfaltspflichtleitlinien eingeführt haben. Die Einhaltung solcher Sorgfaltsanforderungen kostet Unternehmen viel Geld. So müssen Unternehmen unter anderem Audits und Risikoanalysen durchführen, mit Geschäftspartner*innen verstärkt zum Thema Menschenrechte verhandeln und ihr internes Lieferkettenmanagement überarbeiten. Wenn europäische Konkurrenten diese Standards nicht einhalten müssen, wird es für diese Unternehmen schwierig, wirtschaftlich mitzuhalten. Der Gesetzesentwurf verspricht zudem Belohnungen für die Einhaltung der Richtlinie, zum Beispiel durch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Subventionen. Die EU-weite Vereinheitlichung der Standards wird die Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaften durch europäische Unternehmen somit verbessern.

Die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards fördert der Richtlinienentwurf auch durch die Einführung empfindlicher Strafen, die Unternehmen zahlen müssen, wenn sie sich nicht an die Pflichten halten. Dafür sind sowohl finanzielle Sanktionen als auch zivilrechtliche Strafen vorgesehen, was im Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das nur finanzielle Strafen beinhaltet, ein deutlicher Fortschritt ist. Damit die Sanktionen auch einen abschreckenden Effekt haben, müssen Strafgelder proportional zur Größe des Unternehmens sein und mindestens 5% des Nettoumsatzes eines Unternehmens betragen.

Das Gesetz will auch Personen unterstützen, die durch Unternehmenstätigkeiten geschädigt wurden und eine Zivilklage gegen ein Unternehmen vor Gericht bringen wollen. Klagen können von betroffenen Personen, Gewerkschaften, Arbeitnehmervertreter*innen aus der spezifischen Lieferkette oder von Zivilorganisationen, die in relevanten Bereichen tätig sind, eingereicht werden. Die Richtlinie betont dabei, dass die Beweislast nicht allein von der klagende Partei getragen werden soll, sondern auch von dem verklagten Unternehmen. Diese Regelung ist wichtig, da es häufig schwierig ist, Menschenrechtsverletzung oder Umweltverschmutzungen nachzuweisen und einem Unternehmen anzulasten. Dies liegt auch daran, dass Unternehmen Informationen zu ihrer Lieferkette regelmäßig nicht öffentlich zugänglich machen. Kläger*innen wird auch ermöglicht, mit Stellvertreter*innen des Unternehmens negative Auswirkungen der Unternehmenstätigkeiten zu besprechen. Dadurch sollen sich betroffene Individuen stärker für positive Veränderung in Lieferketten einbringen können. Diese Unterstützung und die strengeren Strafen für Großunternehmen sind wichtige Schritte bei der Schaffung von gerechteren und klimafreundlicheren Lieferketten.

FDP als last-minute Verhinderer

Bis jetzt ist das CDSDD jedoch nur ein Entwurf. Und bis die Richtlinie in Kraft treten und auch Wirkung entfalten kann, muss die Richtlinie jedoch noch einige Hürden nehmen. Die größte scheint derzeit die kritische Haltung der deutschen Regierungspartei FDP zu sein. Zum wiederholten Mal gefährdet die FDP einen eigentlich schon gefundenen Kompromiss auf EU-Ebene. FDP-Justizminister Marco Buschmann kritisierte in einem Brief an die EU-Kommission, dass durch die Richtlinie kleinere und mittelständische Unternehmen zu stark belastet würden. Die Koalitionspartner der FDP kritisieren diesen späten Rückzieher stark: Die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte davor, dass Deutschland Vertrauen verspielen würde, „wenn wir unser einmal in Brüssel gegebenes Wort brechen“. Da sich die deutsche Regierung somit nicht einig ist, wird sich Deutschland im Rat enthalten. Die belgische Ratspräsidentschaft sagte nun kurzfristig eine für den vergangenen Freitag vorgesehene Abstimmung ab, da sie sich mit der deutschen Enthaltung nicht mehr der erforderlichen Mehrheit im Rat sicher sein konnte. Laut der Süddeutschen Zeitung würden Österreich, Ungarn, Tschechien und Finnland gegen das Gesetz stimmen und auch Italien signalisierte seine Enthaltung; offenbar die Folge einer persönlichen Intervention von FDP-Finanzminister Christian Lindner bei der italienischen Regierung.

FDP-Justizminister Marco Buschmann könnte mit seiner kritischen Haltung die Verabschiedung der Richtlinie verhindern. Foto: Bundesministerium für Justiz, Dominik Butzmann

Falls vor der Europawahl im Juni 2024 keine Einigung mehr gefunden wird, könnte es lange dauern, bis die Verhandlungen nach der Wahl wieder aufgegriffen werden können. Aber auch darüber hinaus wird es dauern, bis die Richtlinie Wirkung zeigen kann: Nicht-EU-Unternehmen werden erst drei Jahre nach Inkrafttreten an die Richtlinie gebunden und können bis dahin Probleme im Umwelt- und Menschenrechtsschutz in ihren Lieferketten ignorieren. Zudem müssen die Mitgliedsstaaten die EU-Richtlinie noch in ihr nationales Recht umsetzen. Erst dann wird das Gesetz für die Bürger*innen des Mitgliedsstaates rechtlich bindend. Die Umsetzung kann unter Umständen sehr lange andauern, je nachdem wie hoch die Motivation der nationalen Gesetzgeber ist und wie stark sich die industrielle Lobby-Kraft dagegen wehren wird. Es ist davon auszugehen, dass die FDP aufgrund ihrer kritischen Haltung auch die deutsche Umsetzung verzögern bzw. verwässern wird.

Inhaltliche Schwächen: Klimaschutz wenig ambitioniert

Auch inhaltlich ist der aktuelle Richtlinienentwurf nicht ohne Kritik geblieben. Im Entwurf vom 14. Dezember wird der Finanzsektor zunächst von den Bestimmungen ausgeschlossen. Ein Papier von OECD Watch und anderen kooperierenden Zivilorganisationen betont, dass der Finanzsektor zu den wichtigsten Sektoren gehört, wenn es um Due-Diligence-Prüfung – die Prüfung von Risiken, Stärken und Schwächen eines Unternehmens – in der nachgelagerten Lieferkette geht. Bei der nachgelagerten Lieferkette handelt es sich um den Teil, der sich etwa mit Vertrieb, Transport, Lagerung und Entsorgung beschäftigt. So betonen beispielsweise auch die OECD-Kontaktstellen von Australien und den Niederlanden schon seit einigen Jahren, dass Banken mehr Verantwortung übernehmen müssen, damit negative Auswirkungen von Investitionen durch Due-Diligence-Praktiken vermieden werden können.

Ein weiterer Kritikpunkt von Human Rights Watch und der Organisation Initiative Lieferkette ist, dass die Klimaschutzstandards in dem Gesetzesentwurf zu niedrig sind. Im Entwurf heißt es, dass Unternehmen einen Klimaplan erstellen müssen, der das Geschäftsmodell und die Unternehmensstrategie in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen bringt. Wenn Unternehmen sich an das Pariser Abkommen halten würden, würde dies schon massive Fortschritte für den Klimaschutz bringen, aber selbst das Pariser Abkommen ist in einigen Bereichen zu vage. Dadurch können die Klimaschutzziele der Unternehmen vage und unpräzise ausfallen. Think-Tanks und Organisationen haben am Pariser Abkommen zum Beispiel ein Mangel an technologischen Maßnahmen kritisiert, um Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre aufzusaugen. Es fehlen auch sektor- oder emissionsspezifische Forderungen, die das Pariser Abkommen vervollständigen könnten. Zudem ist es problematisch, dass laut Gesetzesentwurf nur die Frage, ob ein Klimaplan erstellt wurde, kontrolliert werden soll, nicht dessen Inhalt. Diese Kontrollstrategie birgt ein Risiko für Greenwashing und leere Versprechen. Der Gesetzesentwurf würde womöglich effektiver sein, wenn er neben dem Pariser Abkommen auch auf andere Umweltstandards verweisen würde und spezifische Ansprüche an den Klimaschutz mit möglichst vielen quantitativen Zielen beinhalten würde.

Auch im Menschenrechtsschutz könnte der Gesetzesentwurf effektiver sein, wenn er einen größeren Teil der Lieferkette einbeziehen würde und zu mehr Kooperationen zwischen Privatunternehmen und NGOs ermutigen würde. Das europäische Gesetzesvorhaben stellt schon eine Verbesserung zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz dar, das nur direkte Geschäftspartner umfasst. Nach der EU-Richtlinie wiederum beziehen sich die unternehmerischen Sorgfaltspflichten auch auf indirekte Geschäftsbeziehungen und Unterauftragnehmer. Die Richtlinie erfasst jedoch trotzdem nur einen Teil von modernen Lieferketten. Manche Unterauftragnehmer geben Aufgaben an individuelle Arbeiter*innen weiter, die diese Arbeit nicht in der Fabrik, sondern zu Hause erledigen. Diese Arbeiter*innen genießen kaum Arbeitnehmer*innenrechte und sind daher komplett ungeschützt, etwa vor Auftragskündigungen oder Änderungen innerhalb der Lieferketten. Da es schwierig ist, für diese Ebene konkrete Maßnahmen einzuführen, sollte der EU-Gesetzesentwurf zumindest die Existenz von solchen Heimarbeiter*innen erwähnen und Unternehmen dazu anregen, Verantwortung bis in die untersten Teile ihrer Lieferkette zu übernehmen.

Langfristiges Ziel: Lücke zwischen Theorie und komplexer Realität überbrücken

Obwohl das Gesetz also viele wichtige Fortschritte bringt, deckt es nicht alle komplexen Dimensionen des Umwelt- und Menschenrechtsschutzes ab. Solange diese Lücken zwischen Theorie und Realität bestehen, wird es in Zukunft noch Menschenrechts- und Umweltprobleme in der Lieferkette geben, die durch weitere Gesetze behoben werden müssen.

Und zuletzt dürfen wir nicht vergessen: die Einführung des Gesetzes ist noch nicht beschlossen. Die kritische Haltung einiger Mitgliedsstaaten könnte noch zu Änderungen führen, die die Reichweite der Richtline erheblich einschränkt. Auch wenn das CSDDD noch nicht in jedem Punkt perfekt ist, braucht die EU dieses Gesetz dringend und sollte weiterhin intensiv an dessen Umsetzung arbeiten. Denn es wird die richtige Basis bilden, um in Zukunft noch bessere, dynamischere und innovative Leitlinien einzuführen.

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