Nicht umsetzbare Gesundheitsmaßnahmen
Die Umsetzung dieser Maßnahmen in Geflüchtetenlagern ist eine echte Herausforderung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zahlreiche Ratschläge zur Umsetzung erteilt, darunter auch zur sozialen Distanzierung. Diese Vorschläge, die teilweise von Staaten aufgegriffen worden sind, sind in Abhängigkeit von den Bedingungen vor Ort mehr oder weniger leicht umzusetzen. Die in den Lagern lebenden Geflüchtete und Migrant*innen sind unzureichend ausgestattet und können diese Empfehlungen nicht in die Praxis umsetzen. Der Zugang zu Wasser ist in den Notunterkünften schwierig – in einigen Fällen liegt die Wasserstelle nicht neben dem Lager, sondern mehrere Kilometer entfernt – gleichermaßen gilt dies für Seife, welche ein knappes Gut ist. Was die soziale Distanzierung anbelangt, so ist sie in einigen Lagern inexistent, wie in Griechenland oder bei Calais, wo Hunderte oder gar Tausende von Menschen zusammengepfercht leben. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat kürzlich in Griechenland Alarm geschlagen, wo dringend eine Lösung gefunden werden muss, um dieser unhaltbaren Situation ein Ende zu setzen.
Eine Situation, auf die bereits im Jahr 2016 hingewiesen wurde
Doch bereits im Jahr 2016 hat die Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID) auf ihrer Jahreskonferenz einen Bericht vorgelegt, der das Wiederauftreten von Krankheiten wie Tuberkulose oder Masern in Flüchtlings- und Migrant*innenlagern thematisiert. Diese Krankheiten, die leicht verlaufen können, wenn ein Zugang zu medizinischer Versorgung besteht, richten in diesen Lagern große Schäden an. Jeder Staat betreibt eine eigene Innenpolitik für die Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten, was letztlich dazu führt, dass sich viele in dem Wirrwarr ihrer Gesundheitsrechte kaum bewusst sind. Zudem gleicht der Zugang zu diesen Rechten einem Hindernislauf. Der Bericht der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten zeichnet ein klares Bild : In den meisten Geflüchtetenlagern finden sich nicht geimpfte Menschen, die durch einen gravierenden Mangel an Ressourcen geschwächt und damit anfälliger für Krankheiten und andere Viren sind. Im Jahr 2016 forderte die ESCMID von der Europäischen Union Mittel ein, um einen gemeinsamen Ansatz für Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen zu haben und die Ausbreitung unterschiedlicher Krankheiten zu verhindern.
Eine „doppelte Gefangenschaft“
Gleichzeitig befand sich Frankreich angesichts der raschen Verbreitung des Virus ab dem 17. März im Lockdown. Asylanträge wurden wegen der Schließung der Büros vorübergehend eingestellt, und Asylsuchende in den Lagern festgesetzt. Aus demokratischer Sicht ist das Virus auch eine Katastrophe für Migrant*innen und Geflüchtete, die sehen, dass Regierungen, wie beispielsweise die ungarische, ihre Anti-Migrationspolitik verstärken. Für die Geflüchtetenlager war die Ausgangssperre eine weitere Tortur, die durchgemacht werden musste. Es werden verschiedene Möglichkeiten für den Zugang zu den Lagern angewandt : Eine vollständige Schließung kann ein Weg sein, die Geflüchteten vor einer Ansteckung zu schützen, jedoch werden sie dadurch von der Gesellschaft ausgeschlossen. Einige Lager, die eine Politik der teilweisen Öffnung für beispielsweise den Schulbesuch verfolgten, wurden nun völlig geschlossen und die Geflüchteten so in einer Situation der „doppelten Gefangenschaft“ zurückgelassen, wie es Rima Hassan, Gründerin der Beobachtungsstelle für Geflüchtetenlager (Observatoire des Camps de Réfugiés), ausdrückt.
Mobilisierung von NGOs
Die Beobachtungsstelle für Geflüchtetenlager, die gerade ihr erstes Tätigkeitsjahr gefeiert hat, betont die mangelnde Wahrnehmung der Lager, aber auch die unzureichende Transparenz der von offiziellen Institutionen bereitgestellten Informationen über das Leben und die Organisation der Lager. Der Befund, den die Beobachtungsstelle über die Lage in Europa erstellte, ist klar und deutlich. Zahlreiche Organisationen setzen sich dafür ein, den Stimmen von Geflüchteten Gehör zu verschaffen, damit sie mit den für sie notwendigen Schutzmaßnahmen versorgt werden. Angesichts der beunruhigenden und für ganz Europa und darüber hinaus geltenden Einschätzung haben sich Organisationen, wie Refugee Rights Europe und Ärzte ohne Grenzen, zusammengetan, um die verschiedenen Regierungen aufzufordern, Gesundheitsmaßnahmen für Geflüchtete und Migrant*innen zu ergreifen. Denn meist sind Schutzmaßnahmen kaum oder gar nicht vorhanden : In Griechenland hat Ärzte ohne Grenzen eine alarmierende Bilanz über die Überfüllung der Lager gezogen, dasselbe gilt für Calais. Die Organisation Techfugees hat eine Website eingerichtet, um die Entwicklung von Gesundheitsmaßnahmen für Geflüchtete die in diesen Lagern leben, zu erfassen.
Corona hat gezeigt : Es gibt keine Gesundheitssicherheit für Geflüchtete und Migrant*innen. Sie sind Teil der Kategorie der Bevölkerung, die von den Institutionen und Regierungen vergessen wird. Elementare Hygienemaßnahmen sind nicht umsetzbar, Mittel nicht vorhanden, der Befund ist alarmierend. Organisationen kämpfen dafür, die Situation dieser Menschen zu verbessern. Der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat seine Hilfen für Geflüchtete in Bezug auf Hygienematerial sowie Geräte für die medizinische Versorgung aber auch für die Wasserversorgung im Anschluss an die Unterzeichnung eines Abkommens mit der WHO verstärkt. Einige Staaten haben begonnen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Dienstleistungen zu ermöglichen, wie in Frankreich, wo Geflüchtete in Hotels oder Wohnungen umziehen konnten, die ihnen einen besseren Zugang zu Wasser bieten.
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