Fake News auf dem Vormarsch: Ein Überblick über politische Lösungen in Europa

, von  Le Courrier d’Europe, Thalie Luong, übersetzt von Lydia Haupt

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Fake News auf dem Vormarsch: Ein Überblick über politische Lösungen in Europa

Barack Obama wurde in Kenia geboren? Emmanuel Macron ist schwul? Viele sensationsgierige Nachrichten, die im Internet verbreitet werden, sind falsch. Das Phänomen ist spätestens bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen in den USA unter dem Begriff Fake-News in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Es bezeichnet alle Nachrichten, die absichtlich in die Irre führen, so etwa Falschmeldungen, gezielte Lügen, Propaganda und Verschwörungstheorien. Kurz gesagt, Falschnachrichten, die als objektive Informationen getarnt sind. Lange Zeit war das eine Randerscheinung, wodurch hat es einen solchen Aufschwung erfahren?

Die gezielte Manipulation von Informationen ist kein neues Phänomen, ganz im Gegenteil. Der erste Diktator des antiken Griechenlands, Peisistratos, täuschte einen Mordversuch auf sich selbst vor, um Leibwächter zu bekommen, die ihm schließlich 561 v. Chr. halfen, die Macht über die Akropolis zu übernehmen. Warum hat es dennoch so lange gedauert, bis Fake News charakterisiert und beim Namen genannt wurden? Das Internet und die sozialen Medien haben eine entscheidende Rolle gespielt, sie verleihen Fake News eine nie dagewesene Sichtbarkeit. Im Internet verbreiten sich Fake News in kürzester Zeit ungeahnt weit, und die Natur des Internets bringt eine unendliche Multiplikation der Informationsquellen mit sich. Heute kann jeder Einzelne Informationen publizieren, neben traditionellen Medien auch über Blogs und Einträge in sozialen Medien. Eine monopolistische Informationsproduktion mit einer klaren Hierarchie zwischen Sender und Empfänger existiert nicht mehr.

Laut Nicolas Kaciaf, Dozent an der Sciences Po in Lille, ist selbst der Wahrheitsgehalt offizieller Informationen nicht mehr eindeutig zu benennen: „Bezüglich Donald Trump können wir sehen, dass amerikanische Journalist*innen der Ansicht sind, dass man offiziellen Reden nicht mehr trauen kann“. Darüber hinaus ist der Grad der Raffinesse vieler Falschnachrichten so hoch, dass sie für einige Menschen so glaubwürdig geworden sind wie Nachrichten traditioneller Medien. Zusätzlich begünstigt ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber traditionellen Medien Fake News. Laut einer Studie von Le Soir [1] sank das Vertrauen der Belgierinnen und Belgier in die Presse in den letzten 20 Jahren um 50%, von 42% auf 21%. Für Chefredakteur Christophe Berti ist „die Debatte nicht mehr objektiv, gestützt auf Quellen, Argument gegen Argument, sondern Anschuldigung gegen Anschuldigung“. Der Umfang, in dem Fake News verbreitet werden, und das Erstaunen, das sie wecken, bringen Menschen dazu, darüber zu sprechen. Die Verbreitung durch Mund-zu-Mund-Propaganda verstärkt den Effekt von Falschnachrichten und sorgt dafür, dass der Wahrheitsgehalt überschätzt wird.

Veränderungen im Mediennutzungsverhalten haben ebenfalls dazu beigetragen, dass Fake News an Bedeutung gewinnen. Nutzer*innen, die sich nur über soziale Medien informieren, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen, geraten schnell in einen Teufelskreis. Was Freundesgruppen posten und teilen, passt oft zu dem, was wir bereits denken. Solche Filterblasen schaffen eine Umgebung, die bestimmt, wem ein Individuum vertraut. Derjenige, der im Fokus einer gefälschten Nachricht steht, kann diese widerlegen, wie Obama, der seine Geburtsurkunde zeigte, um zu beweisen, dass er in den USA geboren wurde. Traditionelle Medien können ebenfalls gezielt gegenhalten. Das bleiben jedoch Einzelmaßnahmen. Wie kann ein systematischer Umgang mit Fake News aussehen?

Beispiel Deutschland

Deutschland ist bisher das einzige europäische Land, das ein Gesetz zu gefälschten Nachrichten erlassen hat. Das sog. „NetzDG“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) ist am 1. Januar 2018 in Kraft getreten und verpflichtet soziale Medien, Fake News und Hassreden innerhalb von 24 Stunden zu löschen, bei komplexeren Fällen kann diese Frist auch bis zu 7 Tagen betragen. Bei Zuwiderhandlung drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro. Für Heiko Mass, damals in der Funktion als Justizminister, fallen „Verleumdungen und böswillige Gerüchte nicht unter die Meinungsfreiheit“. Die NGO Human Rights Watch sieht in dem Gesetz jedoch eine Verletzung der Meinungsfreiheit. Die NGO ist der Ansicht, dass es kaum möglich ist, festzustellen, ob Äußerungen dem Gesetz unterliegen oder nicht. Die kurzen Überprüfungsfristen und hohe Geldbußen würden Unternehmen ermutigen, Inhalte zu löschen, die wahrscheinlich noch legal sind. Darüber hinaus sieht das Gesetz keine Kontroll- oder Rechtsmittel vor. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilt, dass „ein in Amerika ansässiges Privatunternehmen Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland festlegen kann".

Französischer Gesetzesentwurf

Am 3. Januar 2018 kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Pressemitteilung an, dass bis Ende 2018 ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Fake News-Nachrichten ausgearbeitet und als „Gesetz über Vertrauen und Zuverlässigkeit von Informationen“ bezeichnet werde. Das Gesetz würde insbesondere auf die Nachrichten abzielen, die in Wahlkampfzeiten verbreitet werden, um zu vermeiden, dass Wahlergebnisse beeinflusst werden. Dadurch solle möglich werden, „im Falle der Verbreitung gefälschter Nachrichten [während des Wahlkamps] den Vorfall durch ein neues Verfahren vor einen Richter zu bringen, das es ermöglicht, gegebenenfalls den betreffenden Inhalt zu löschen, Verweise auf die Website zu entfernen, das Konto des betroffenen Nutzers oder der betroffenen Nutzerin zu schließen und sogar den Zugang zur Website zu sperren“.

Für Gérard Larcher, den Vorsitzenden des französischen Senats, geht das jedoch nicht weit genug, das Gesetz sollte vielmehr über die Wahlkampfzeit hinaus verlängert werden. Aber auch umgekehrt konnte man Kritik hören. Zwei bestehende Gesetze wären bereits in der Lage, Fake News zu sanktionieren. Das Wahlgesetz erlaube es, „diejenigen zu verurteilen, die mit gefälschten Nachrichten, Verleumdungen oder anderen betrügerischen Taktiken Stimmen gefangen oder verfälscht hätten, oder einen oder mehrere Wähler dazu gebracht hätten, sich der Stimme zu enthalten“. Darüber hinaus sieht Artikel 27 des Gesetzes von 1881 über die Pressefreiheit eine Geldbuße von bis zu 45.000 Euro vor, wenn „gefälschte Nachrichten veröffentlicht, verbreitet oder auf irgendeine Weise reproduziert werden, wenn sie in böswilliger Absicht den öffentlichen Frieden gestört hätten oder im Verdacht gestanden hätten, dies zu tun“. Wie in Deutschland wird die Achtung der Pressefreiheit in Frage gestellt. Edwy Plenel, Gründer und Präsident von Mediapart, lehnt einen solchen Gesetzesvorschlag ab: „Das trifft für uns eine Freiheit im Kern, auf die die Gesetzgebung keinen Einfluss nehmen sollte [...]. Diese Freiheit braucht keine Einmischung durch den Staat“.

Auf dem Weg zu einer harmonisierten europäischen Gesetzgebung?

Im Jahr 2017 forderte das Europäische Parlament aufgrund der aktuellen Debatte die Europäische Kommission auf, den gegenwärtigen europäischen Rechtsrahmen in Bezug auf Fake News zu analysieren. Das Parlament strebte an herauszufinden, ob die Gesetze Maßnahmen zulassen, mit denen die Veröffentlichung und Verbreitung von Fake News begrenzt werden kann.

Im November 2017 startete die Europäische Kommission daraufhin eine dreimonatige „öffentliche Konsultation zu Fake News und Online-Desinformation" über eine Online-Plattform, die für alle EU-Bürger*innen zugänglich ist. Das Ziel war, das Ausmaß des Problems messen, bereits erprobte Maßnahmen zu bewerten und zukünftige Maßnahmen zu entwickeln. Die konkreten Fragen lauteten zum Beispiel: Sind Sie jemals mit gefälschten Nachrichten konfrontiert worden? Über welche Medien sind Ihnen Fake News begegnet? Sind Sie der Meinung, dass mehr getan werden muss, um die Verbreitung von Falschinformationen online zu reduzieren? Die Ergebnisse dieser Konsultation wurden anschließend für die Arbeit der EU zu diesem Thema genutzt.

Eine Gruppe von 40 Expert*innen arbeitet für die EU-Kommission im Bereich Fake News und Online-Desinformation. Das Team besteht aus Vertreter*innen sozialer Medien und Plattformen wie Facebook, Twitter und Google, aus Journalist*innen der AFP-Gruppe, Mediaset und Sky News, aus Wissenschaftler*innen und Verbrauchervertreter*innen. Laut Mariya Gabriel, ehemalige EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, „geht es nicht darum, ‚wahre‘ und ‚gefälschte‘ Nachrichten zu sortieren, sondern das Phänomen als Ganzes zu verstehen“. Ziel der Arbeitsgruppe sei es, konkrete Informationen zu sammeln, um die Europäische Kommission dann zu beraten, indem erfolgreiche Maßnahmen bewertet, Rollen und Verantwortlichkeiten definiert und Empfehlungen abgegeben werden. Die vier zentralen Eckpunkte sind Transparenz, Vielfalt, Glaubwürdigkeit und Inklusion. Im Vordergrund stünde dabei nicht Gesetzgebung, sondern Information, Debatte, „eine offene Diskussion“. Die Kommissarin bekräftigte auch ihr „Engagement für die Meinungsfreiheit“ und betonte, dass „niemand die Bürger*innen daran hindern will, an eine bestimmte Information zu glauben oder nicht zu glauben“, und widersprach der Idee eines „Ministeriums für Wahrheit und Zensur“. Der Bericht wurde im März 2018 veröffentlicht.

Außerhalb des Rechtsrahmens haben sich auch andere Ansatzpunkte für Lösungen entwickelt, beispielsweise die von einigen sozialen Medien entwickelten Anti-Fake News-Filter, „Fact-Checking“-Tools traditioneller Medien, wie der Décodex von Le Monde in Frankreich oder Präventivmaßnahmen an Schulen. Letzteres ist die von Edward Snowden empfohlene Methode: „Das Problem der Fake News wird nicht durch die Hoffnung auf einen Schiedsrichter gelöst, sondern nur wenn wir als Bürger und Nutzer dieser Dienste uns gegenseitig helfen“. Zensur kann keine Antwort auf Fake News sein. Die Antwort muss auf Aufklärung basieren. Vor dem Hintergrund zunehmender Verbreitung von Fake News müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass kritisches Denken heute wichtiger ist denn je.

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