Hat das Geburtsdatum Einfluss auf den zukünftigen Charakter und Lebensweg eines Neugeborenen? Im Falle von Behice Boran ist man jedenfalls versucht, diese Frage mit „Ja!“ zu beantworten: Sie wird am 1. Mai, dem internationalen Tag der ArbeiterInnenbewegung, im Jahr 1910 in Bursa geboren und soll zur weiblichen Gallionsfigur und Pionierin der linken Bewegung in der Türkei werden. Die Mittelstufe absolviert sie am American College for Girls in Istanbul. Behice Boran beginnt ihr Philosophiestudium zunächst an der Universität Istanbul, unterbricht dieses aber, um in Manisa als Lehrerin zu arbeiten. Anschließend erhält sie ein Stipendium, um an der Universität Michigan zu studieren, die sie schließlich als promovierte Soziologin verlässt. 1939 kehrt sie in die Türkei zurück und findet eine Anstellung als Soziologiedozentin an der Universität Ankara.
Zur gleichen Zeit wird sie Mitglied der damals verbotenen Kommunistischen Partei der Türkei. 1941 gründet Boran die linken Zeitschriften „Yurt ve Dünya“ (Heimat und die Welt) und „Adımlar“ (Schritte). Aufgrund eines Artikels wird 1944 gegen die Soziologin und drei ihrer Mitstreiter, Pertev Naili Boratav, Niyazi Berkes und Muzaffer Şerif Başoğlu, eine Untersuchung eingeleitet. Sie werden am 15. Dezember 1945 vom Dienst suspendiert, können aber nach erfolgreicher Klage an die Universität zurückkehren, wo es zu Ausschreitungen kommt: Nationalistische Kräfte hetzen gegen die kommunistischen Lehrkräfte.
1950 gründet Behice Boran, die Türkiye Barışseverler Cemiyeti (übersetzt etwa: Pazifistische Vereinigung der Türkei) und wird ihre Vorsitzende. Ihr Engagement für den Frieden bringt ihr 1951 eine 15-monatige Gefängnisstrafe ein: Sie hatte sich öffentlich gegen den Koreakrieg ausgesprochen. 1953 muss Behice Boran ein weiteres Mal für ihre Überzeugungen ins Gefängnis, dieses Mal im Zusammenhang ihrer kommunistischen Parteimitgliedschaft. Als 1961 die Türkische Arbeiterpartei gegründet wird, schließt Behice Boran sich ihr an und vertritt die Partei von 1965 bis 1969 als Abgeordnete im türkischen Parlament. Die Türkische Arbeiterpartei wird 1971 verboten und die Politikerin zu 25 Jahren Haft verurteilt, 1974 wird sie allerdings wieder freigelassen.
Am 1. Mai 1979, mittlerweile herrschen in vielen Teilen der Türkei bürgerkriegsähnliche Zustände, führt Behice Boran die Proteste gegen eine verhängte Ausgangssperre an. Sie wird abermals festgenommen und als ein Jahr später, am 12. September 1980, das Militär gegen die Regierung putscht, wird sie für eine kurze Zeit unter Hausarrest gestellt. Alle politischen Parteien werden verboten und gegen ihre Mitglieder ermittelt, auch gegen Behice Boran. Diese hatte mittlerweile Zuflucht im Ausland gesucht und folgte dem Aufruf der Militärjunta „zurück in die Heimat“ zu kommen nicht. Daraufhin wird ihr die türkische Staatsbürgerschaft entzogen. Die Aktivistin lässt sich daher 1981 in Brüssel nieder, wo sie am 10. Oktober 1987 verstirbt.
Behice Boran hat sich Zeit ihres Lebens für ihre politische Überzeugung und Ideale eingesetzt. In einer männerdominierten Bewegung hat sie sich Gehör verschafft, ist in der ersten Reihe mitmarschiert und hat somit den Weg für zahlreiche Nachfolgerinnen geebnet.
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