Die Eurozone wird häufig als eine atypische Währungsunion angesehen. Ihre Geldpolitik wird auf der europäischen Ebene entschieden, während die Fiskalpolitik Sache der Nationalstaaten ist. Das kann zu zwei Problemen führen. Erstens kann eine gemeinsame Geld- und Zinspolitik für einzelne Staaten zu restriktiv sein, um unerwartete ökonomische Schocks abzufedern. Zweitens können aber auch der nationalen Fiskalpolitik die Hände gebunden sein. Nämlich dann, wenn einzelne Länder am Kapitalmarkt keine Schulden mehr aufnehmen können, um nötige Steuersenkungen und erhöhte Transferzahlungen als Folge eines Abschwungs zu finanzieren. Beides hat die jüngste Krise gezeigt. Van Rompuy‘s Ruf nach einer europäischen “Fiskalkapazität” und dem ‘blueprint for a deep and genuine economic and monetary union’ der Europäischen Kommission in 2012 folgte deshalb eine intensive Diskussion darüber, Elemente einer gemeinsamen Fiskalpolitik für die Eurozone einzuführen. Dabei hat sich vor allem eine Debatte um eine mögliche europäische Arbeitslosenversicherung (EU-ALV) entwickelt, welche die nationalen Systeme teilweise ersetzen könnte. Laut den Befürwortern würde eine EU-ALV die Gesamtnachfrage in den teilnehmenden Ländern in Krisenzeiten stabilisieren. Kritiker argumentieren hingegen, dass so ein System bereits der Schritt zu einer europäischen Transferunion wäre, die zu permanenter Umverteilung zwischen den Mitgliedsländern führt.
Haupteffekt: Stabilisierung der Haushaltseinkommen
In einer neuen Studie haben wir untersucht, welche Effekte verschiedene Formen einer europäischen Arbeitslosenversicherung für die Haushalte in den 18 Mitgliedsländern der Eurozone zwischen 2000 und 2013 gehabt hätten. In dem Basisszenario ist die Arbeitslosenversicherung so ausgestaltet, dass jeder neue Arbeitslose automatisch durch die EU-ALV aufgefangen würde. 50 Prozent seines letzten Einkommensniveaus würden für eine Dauer von 12 Monaten gezahlt. Diese Versicherungsleistung könnte zusätzlich von den nationalen Systemen aufgestockt werden. Unsere Analyse hat ergeben, dass solch ein System mit einem relativ geringen Jahresbudget hätte implementiert werden können: durchschnittlich 49 Millionen Euro pro Jahr für die Dauer von 2000 bis 2013 bei einer Finanzierung durch einen einheitlichen Beitragssatz von 1,57 Prozent auf alle Arbeitseinkommen. Das Hauptergebnis ist, dass die Haushaltseinkommen dadurch besonders zu Beginn der jüngsten Krise stabilisiert worden wären. Im Verlauf der Krise hätte sich dieser Effekt allerdings verringert, da der Anteil der (nicht-bezugsberechtigten) Langzeitarbeitslosen in den meisten Mitgliedsstaaten angestiegen ist.
Begrenzte Umverteilung zwischen den Ländern
Würde eine solche EU-ALV zu permanenten Transfers zwischen den Mitgliedsstaaten führen, wie manche Kritiker argumentieren? Da das oben beschriebene System auf kurzfristige, nicht aber auf strukturell-langfristige Arbeitslosigkeit ausgerichtet ist, führt es nicht zu permanenter Umverteilung per se. Allerdings zeigen unsere Berechnungen, dass eine kleine Anzahl von Ländern in jedem Jahr des Simulationszeitraumes entweder Nettozahler oder Nettoempfänger gewesen wäre. Die größten Nettozahler sind Österreich, Deutschland und die Niederlande, mit durchschnittlichen jährlichen Nettobeiträgen von 0,2 bis 0,42 Prozent des BIP. Lettland und Spanien sind hingegen größte Nettoempfänger (durchschnittliche jährliche Nettotransfers von 0,33 und 0,53 Prozent des BIP). Alternative Designs könnten dieses Problem jedoch eingrenzen. Generell würden Systeme mit geringerer Abdeckung oder niedrigerer Leistung geringere zwischenstaatliche Transfers implizieren, allerdings wären dann die gewünschten Versicherungseffekte kleiner. Zusätzlich könnte man deshalb über ein System nachdenken, bei dem die Transferzahlung nur dann geleistet wird, wenn der wirtschaftliche Abschwung eine gewisse Schwelle überschreitet, zum Beispiel einen gewissen Anstieg der Arbeitslosenquote. In unserer Studie gäbe es bei einem solchen System dann keine permanenten Empfänger- und Geberländer über den gesamten Zeitraum mehr. Mit 21 Millionen Euro pro Jahr wären das Gesamtbudget und damit das Ausmaß der Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zudem nur halb so hoch wie im Basisszenario.
Risiken einer europäischen Arbeitslosenversicherung
Simulationen wie diese können nur unter einer Reihe von vereinfachenden Annahmen durchgeführt werden. Insbesondere Verhaltensaspekte können dabei nur beschränkt berücksichtigt werden. Eine gemeinsame EU-ALV könnte etwa Anreize für die nationalen Regierungen reduzieren, strukturelle Arbeitsmarktreformen durchzuführen. In einem System wie dem oben analysierten würden durch den Fokus auf die Kurzfristarbeitslosigkeit die nationalen Regierungen allerdings immer noch die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit tragen. Auch ist bei diesem Modell die Gefahr einer administrativen Manipulation oder ungewünschter individueller Verhaltenseffekte gegeben, etwa mit Blick auf Jobsuche, Arbeitsangebot oder Migration. Durch eine sorgfältige Ausgestaltung könnten diese Aspekte jedoch teilweise berücksichtigt werden. Allerdings sollte man beachten, dass sich die nationalen Arbeitsmarktinstitutionen und die Ausgestaltung der einzelnen Arbeitslosenversicherungssysteme in Europa stark unterscheiden. Eine gemeinsame EU-ALV würde hingegen eine gewisse Harmonisierung dieser Institutionen erfordern. Schließlich besteht bis dato keinerlei Rechtsgrundlage für eine mögliche EU-ALV. Beides würde einen schwierigen politischen Kompromiss voraussetzen.
Eine EU-ALV kann zusammenfassend als eine ernstzunehmende Gestaltungsoption betrachtet werden, um die Eurozone in Zukunft krisenfester zu machen. In der weiterführenden Debatte müssen die Vor- und Nachteile eines solchen Systems sorgfältig und so umfassend wie möglich abgewogen sowie andere Stabilisierungsmechanismen ebenfalls in Betracht gezogen werden. In jedem Fall ist eine EU-ALV eher ein Langzeitprojekt und die Grundvoraussetzung ohnehin, dass es eine vorherige Einigung zwischen den Mitgliedstaaten der Eurozone gibt, wirtschaftliche Risiken zu vergemeinschaften.
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