Polizisten in Sturmuniform stehen wie eine schwarze Trennwand zwischen uns und ihnen. Auf der einen Seite wutverzerrte Gesichter, in die Höhe gestreckte Mittelfinger und Schlachtrufe. Auf der anderen Seite friedliche Demonstranten, die lächelnd und ruhig vorbeischreiten. Manche formen sogar ein Herz mit Daumen und Zeigefingern ihrer Hände.
Die Schreihälse sind leider wir. Die freundlichen Menschen sind die Anhänger der AfD. Irgendetwas läuft hier gewaltig schief.
Als ich am 27.Mai in Berlin an den Trennlinien zwischen AfD- und Gegendemonstranten stand, konnte ich es hautnah miterleben: Die AfD ist hochprofessionell. Sie ist eine Meisterin der Täuschung und des Framings und bereitet ihre Anhänger bestens vor. Sie erzählt eine Geschichte: Die Geschichte der letzten Patrioten, die sich gegen allen Widerstand trauen, ihr Land zu lieben und die unsere Gesellschaft „retten“ wollen. Sie nimmt eine Opferrolle ein; die Gegenspielerin des liberalen Mainstreams, die mutige Außenseiterin, die sich tugendhaft gegen den übermächtigen Unterdrückerstaat und seine Gesandten auflehnt. Dass dieser Spin bei den Medien verfängt, ist schlimm, und einige wenige Journalisten hinterfragen dies glücklicherweise.
Mich aber beschäftigt seit diesem Sonntag das Gefühl, dass unsere Gegenproteste am Sonntag dieser Erzählung Futter geliefert haben könnten. Ja, Berlin hat ein gewaltiges Zeichen in Richtung AfD gesendet: Rechte Propaganda und Hetze sind nicht willkommen. Die Verteidiger der freien und toleranten Gesellschaft sind in gewaltiger Überzahl. 25.000 gegenüber 5.000. Viele Organisatoren sprachen gar von über 70.000 Gegendemonstranten. Auch die große Idee des Gegenprotestes war klug gewählt: Kulturschaffende und Klubszene organisierten einen bunten, glitzernden und tanzenden Aufzug, der im scharfen Kontrast zur eintönigen und muffigen AfD stehen sollte. Das gelang und ich will nicht leugnen, dass ich mich ein ums andere Mal beim Lächeln erwischte, als ich da hinter den bunten Wagen hermarschierte; weil ich es toll fand, mit so vielen engagierten und fröhlichen Menschen um mich herum für eine gute Sache zu demonstrieren.
Nachdenklich stimmte mich aber das direkte Aufeinandertreffen mit der AfD. Es war, als würden plötzlich Dämme brechen. Durch das positiv gefärbte Demokonzept brach der Krawall. Was mir deshalb an diesem Wochenende überdeutlich wurde: Es gibt aktuell kein überzeugendes Konzept für den direkten Umgang mit der AfD. Noch während die meisten um mich herum „BUH“ rufen, als ein Meer von Deutschlandfahnen an uns vorbeizieht denke ich: Die AfD trickst uns alle aus. Die Partei ist cleverer als wir und es wird Zeit, dass wir das ändern!
Wie man es nicht machen sollte
Das wohl meistgeteilte Video vom Sonntag wurde im Berliner Hauptbahnhof aufgenommen. Wir sehen ein völlig überfülltes Gebäude, eine dicht gedrängte Masse Menschen, die brüllt: „Ganz Berlin – hasst die AfD!“.
16:28 #b2705 jetzt am hbf Berlin. Es ist sehr laut (ton an!). #wegbassen #stoppdenHass pic.twitter.com/b2Od3N8gCb
— anke domscheit-berg (@anked) May 27, 2018
Hat das Video nicht etwas Beklemmendes? Die Wut der Masse strahlt durch den Bildschirm. Und auch dort, wo ich am Sonntag stand, war dieser Ruf mit Abstand der beliebteste, dicht gefolgt von „Nazis raus“, „Haut ab“ und „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“.
An diesem Wochenende wurde die AfD in ihrer permanent gekränkten Opferrollenfantasie bestätigt. Das Problem: Die ihnen entgegengereckten Mittelfinger, die Ablehnung und eben der Hass – das alles hilft nicht. Wenn sich eine Demonstration gegen die Hasspropaganda der AfD organisiert und dann nichts Besseres als Gegenhass zu bieten hat, dann ist das mindestens widersprüchlich, wenn nicht sogar peinlich. Die AfD wartet nur auf solche Momente und schlachtet sie genüsslich aus..
Welche Dynamik diese Erzählung der Außenseiter, der Abgehängten, der Missverstandenen und vom Mainstream unterdrückten Gruppe haben kann, haben die Wahl von Donald Trump oder der Brexit bewiesen. Ist der Widerstand gegen Populisten zu plump, wird er schnell als unfair interpretiert. Der Widerstand selbst wird zum Kraftquell. Er bietet dem angeblichen Außenseiter Gründe für gegenseitige Solidarität und Identifikation mit der Gruppe und gegen die Kritik: „Wir Aufrichtigen gegen den Rest der Welt.“
Das kann nicht das Ziel der Anti-AfD-Bewegung sein. Die AfD nicht durch Zufall aus dem Boden gesprossen ist. Sie ist nicht durch Zufall zur drittstärksten Partei in Deutschland geworden. Der Zuspruch, den sie erhält ist die Reaktion auf reale Entwicklungen, auf empfundenes Unbehagen und auf eine wahrgenommene politische Alternativlosigkeit. So bitter das auch klingt: die AfD kann sich im Moment jede noch so abstoßende Entgleisung leisten („Vogelschiss“) und trotzdem wird sie nicht einfach so verschwinden, auch wenn wir ihr noch so viele Mittelfinger entgegenstrecken. Nur wenn wir ihr den Boden unter den Füssen wegziehen, haben wir eine Chance.
Wir sind nicht gegen die AfD. Wir sind für ein offenes und freies Deutschland.
Die AfD hat keinen realistischen Plan für die Zukunft Deutschlands. Kein Mensch kennt beispielsweise das Rentenkonzept der AfD (aktuell sind drei Entwürfe im Umlauf). Aber jeder weiß, dass die AfD keine Flüchtlinge mag. Das „dagegen“ ist das eigentliche Programm und die Anhänger der AfD geben sich größtenteils damit zufrieden.
Wir Gegner der AfD wollen eben nicht alles anders machen. Wir wollen die modernen Freiheitsrechte, die unsere Verfassung zu einer der fortschrittlichsten der Welt machen, erhalten und verteidigen. Deshalb demonstrieren wir gegen diejenigen, die sie angreifen. Das ist gut und richtig - es reicht aber nicht. Wir dürfen die Regeln des „dagegen-Spiels“ nicht annehmen, wenn wir den Kampf gegen die AfD gewinnen wollen.
Zeigen wir lieber, für welches Deutschland wir auf die Straße gehen. Für das Deutschland 2018, das in der Welt als eines der fortschrittlichsten und modernsten Länder überhaupt gilt. Ein Land, in dem wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern. Ein Land, in dem an einem Sonntag im Mai Zehntausende Menschen von ihrem Recht zu demonstrieren Gebrauch machen, ohne dafür drangsaliert oder verfolgt zu werden. Ein Land, in dem ich diesen Artikel heute schreiben und am nächsten Tag unzensiert veröffentlichen kann und somit die Chance habe eine demokratische Debatte anzustoßen. Für dieses freie Land gehen wir auf die Straße.
Ja, es gibt viel zu verbessern in Deutschland und in unserer internationalen Politik. Sprechen wir das an. Setzen wir uns dafür ein. Aber vergessen wir dabei nicht, dass in diesem noch so jungen Land in den letzten siebzig Jahren so viel Wunderbares geschehen ist, auf das wir stolz sein können. Dies zu bewahren und unser Land zu verbessern ist unsere vornehme Pflicht. Niemand hat dies in diesem Jahr besser beschrieben als Sascha Lobo, als er sagt: „Ich kämpfe für eine Gesellschaft, in der eine jüdische, arbeitslose, lesbische She-Male im Bikini betrunken knutschend an jedem Ort mit einer stillenden schwarzen behinderten Ex-Muslima mit Kopftuch auf der Straße tanzen kann – ohne Angst um ihre Existenz haben zu müssen“. Das ist die Aufgabe wahrer Patrioten. Wir können Patriotismus besser als die AfD.
Demaskieren wir die Tatsache, dass die AfD Deutschland eben nicht liebt. Dass sie dieses wunderbare Land in die Vergangenheit verfrachten wollen. Dass sie unsere wunderbare Verfassung infrage stellen. Nein, Deutschland wird nicht freier, wenn die Religions- und Pressefreiheit eingeschränkt wird. Wir werden nicht moderner, wenn der verstaubte Rollenzwang von Mann und Frau wiederbeatmet wird. Wir werden nicht wohlhabender, indem wir aus dem Euro austreten und unsere Grenzen schließen. Das Deutschland, in dem dies alles galt, gibt es nicht mehr. Wer dieses Deutschland liebt ist kein Patriot, sondern bestensfalls ein Chauvinist.
Deshalb wünsche ich mir, dass wir bei der nächsten Demonstration auch so auftreten. Wenn sich die AfD dazu entscheidet, in unseren Städten Großdemos zu veranstalten, dann sollten alle Menschen, die nicht einverstanden sind Flagge zeigen. Aber wir sollten uns nicht daran erschöpfen, dagegen zu sein. Wir sollten nicht gegen die AfD protestieren, sondern für das moderne Deutschland. Wir sollten dies in dem Bewusstsein tun, dass wir alle vereint in diesem Wunsch sind.
Beim nächsten Mal, so viel ist sicher, werde ich eine Deutschlandfahne (und eine Europafahne) mit zur Gegendemo der AfD nehmen. Den AfD-Anhängern, die auf der anderen Seite stehen werden, will ich zuwinken, vielleicht sogar lächeln und rufen: „Im modernen Deutschland ist auch Platz für Euch - wenn ihr Euch traut.“
1. Am 6. Juni 2018 um 12:40, von Frank Michael Giebel Als Antwort Die AfD ist cleverer als wir
Ein erstaunlicher Text, er beginnt als Text gegen die AfD und endet mit der Erkenntns, dass es besser ist, für etwas zu sein und dem Vorsatz zur nächsten Demo mit der Deutschlandfahne zu kommen. Darin liegt die Lösung, zu erkennen, dass den meisten Menschen auf beiden Seiten - Einwanderungsbefürworter und Einwanderungsgegner - unsere offene demokratische Gesellschaft am Herzen liegt und es lediglich Unterschiede in der Überzeugung gibt, wie viele Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund sich hier so integrieren, dass Offenheit und Demokratie langfristig erhalten bleiben. Wenn es gelingen würde die Skepsis bzw. den Optimismus der „anderen“ zu akzeptieren könnte man für die gleiche Gesellschaft demonstrieren. Dann hätten sowohl die Antideutschen auf der Linken und die Völkischen auf der Rechten es viel schwerer an die demokratische Mitte anzudocken. CDU, SPD und FDP sind diesen Weg bisher nicht gegangen.
2. Am 8. Juni 2018 um 12:14, von Wieland der Schmied Als Antwort Die AfD ist cleverer als wir
Gratuliere, ein Artikel, der sich ohne Durchschnauben lesen läßt. Als eingefleischter Sozialdemokrat begreifen Sie aber nicht, daß AfD und PEGIDA nicht als Akteure entstanden sind, sondern als Reaktion auf das unter dem Merkel-Regime immer weiter abnehmende demokratische Gebaren, im BT, den Einheitsparteien. in den Medien und nicht zuletzt in der Justiz, man kennt auch die Nutznießer, die links-grünen 68iger in Vollherrschaft. Die Idee mit der Deutschlandfahne bei deren Hassern aufzutreten finde ich nicht gut, da ich schon seit Jahren auf derlei Veranstaltungen auf beiden Seiten mich umschaue, nicht erstrangig aus persönlichem, sondern wegen meiner großen Zahl von Enkeln und deren späterem Umfeld. Die Qualität des kulturellen und geistigen Nievaues sind auf der Gegenseite niederschmetternd, selbst in ausgemachten Uni-Städten, wozu Berlin absolut nicht gehört. Außer flachen Parolen und kurzatmigen Sprüchen ist dort nichts zu finden. Sie bekommen nach allgemeinem Tarif 15€ pro h und nehmen gerne Trinkgeld an, womit ich ihre Gesprächsbereitschaft locke. Eine Erbauung ist es nicht, manche sehen darin eine verlorene Generation.
Kommentare verfolgen: |