Die Parodie direkter Demokratie mit dem Referendum in Griechenland entlarvt die Taktiererei von Alexis Tsipras und das Verzögern der Verhandlungen bis zur Unzeit als das, was es ist: die Inkompetenz eines jungen charismatischen Regierungschefs, der vorher nie politische Verantwortung zu tragen hatte. Sein Verhalten hat dazu geführt, dass viele Politiker in Europa die Geduld mit Griechenland verloren, worunter wiederum die griechische Bevölkerung zu leiden hat. Nun versucht man wieder Griechenland zu „retten“ mit einer Politik, die seit fünf Jahren täglich beweist, dass sie nicht funktioniert. Die griechische Bevölkerung wird weiter ins Elend gestürzt und der Schuldenstand relativ zum BIP wird trotz Sparmaßnahmen weiter steigen, weil das BIP weiter schrumpfen wird. Die Politik der Austerität hat die griechische Gesellschaft zersetzt, das Land politisch destabilisiert und die Wahl von Syriza erst möglich gemacht. Nichtsdestotrotz hat die Eurogruppe Griechenland nun mehr von dieser Politik aufgedrückt, ohne dem Land einen Schuldenschnitt zu gewähren, obwohl der Schuldenstand für Griechenland untragbar ist.
Große Depression in Endloschleife
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble spielte dabei eine unrühmliche Rolle. Während der Eurogruppensitzung, bringt er als erster Minister im offiziellen Rahmen den Grexit als realitisches Szenario ins Gespräch. Damit konfrontierte er die griechische Regierung mit einem Szenario, dass in der gegenwärtigen Situation nichts anderes bedeutet hätte als einen Totalkollaps der Banken, der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung samt humanitärer Krise in Griechenland. Dieses Horrorszenario brachte Tsipras dazu, Maßnahmen zu akzeptieren, die lediglich zu einer weniger schlimmen humanitären Krise führen werden. Viele Familien in Griechenland sind wegen der hohen Arbeitslosigkeit mittlerweile von den Renten der Großeltern abhängig. Ein Kürzen der Renten ist gleichbedeutend mit einer weiteren Verelendung dieser Familien. Davon abgesehen handelt es sich dabei um eine Politik, die die Bürger mit der Wahl von Syriza und mit dem „Nein“ im Referendum eigentlich abwählen wollten. Griechenland hat wie ein privater insolventer Schuldner seine Souveränität an seine Gläubiger abgetreten. Nach der aktuellen Einigung kann man durchaus behaupten: Griechenland ist keine Demokratie mehr, sondern ein europäisches Protektorat.
Ein Riss geht durch Europa
Dabei geht die Tragödie weit über Griechenland hinaus. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, dass Deutschland viel Unterstützung für seinen Grexitvorstoß erhalten hat. Viele Finanzminister zeigten sich genauso unnachgiebig wie Wolfgang Schäuble. Gleichzeitig offenbarte sich aber ein deutlicher Bruch zwischen Deutschland und Frankreich, aber auch Italien. Matteo Renzi, der vor dem Referendum in Griechenland noch über Twitter verlautbarte, dass ein „Nein“ bei den Verhandlungen zu einem Grexit führen würde, griff eine Woche später Deutschlands Position deutlich an. Es verläuft eine Meinungskluft zwischen den drei gößten Volkswirtschaften der Eurozone und Gründungmitgliedern der Europäischen Gemeinschaft, die nicht länger ignoriert werden kann. Aber auch außerhalb der Eurozone stößt die deutsche Politik auf Ablehnung, so dass die Diskussion über den Grexit oder die Härte gegenüber Griechenland letzendlich einen Brexit wahrscheinlicher gemacht hat.
Keine Solidarität für niemanden
Auch jenseits der Eurozone scheitert das intergouvernmentale Europa. Dem Europäischen Rat ist es in letzter Zeit immer seltener gelungen, praktikable und für alle Mitglieder akzeptable Lösungen für die drängenden Probleme zu finden. Grund hierfür waren, wie in der Griechenlandkrise, die nationalen Egoismen der einzelnen Akteure. Dabei wird vor allem verkannt, dass die aktuellen Probleme die Eurozone und die Union selbst auf das Äußerste bedrohen. Flüchtlingsströme aus Afrika und dem arabischen Raum brechen auf Griechenland und Italien ein. Viele Politker im Norden und Osten Europas weigern sich Solidarität zu zeigen und einen Teil der asylberechtigten Flüchtlinge über einen fairen Verteilungsschlüssel aufzunehmen. Besonders tragisch dabei: Mit jedem gescheiterten Gipfel geht eine weitere Erosion der Solidarität vonstatten. Wenn Polen oder Balten das nächste mal um Unterstützung rufen, wenn sie sich von russischen Muskelspielen bedroht fühlen, werden die Italiener genauso achselzuckend reagieren, wie die Osteuropäer auf den Flüchtlingsstrom reagierten. Jeder erwartet von Europa, dass es seine Probleme löst, aber keiner möchte die Probleme Europas lösen.
Zwei Alternativen für Europa
Die aktuelle politische Klasse führt die Idee Europas ad absurdum: Eine Gemeinschaft bildet man, um große Probleme gemeinsam zu lösen. Eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder mit ihren Problemen allein lässt, macht keinen Sinn. Diese Politik des nationalen Egoismus kann in letzer Konsequenz zu keinem anderen Ergebnis führen als zum Scheitern der europäischen Idee. Dieser nationale Egoismus kann nur überwunden werden, wenn mehr Macht an supranationale demokratisch legitimierte Ebenen verlagert wird, wo Politiker in ertser Linie, nicht nur dem Wohl der Bürger ihrer eigenen Nation verpflichtet sind, sondern dem Wohl aller EU-Bürger.
Jaques Delors sagte einst: „Europa ist wie ein Fahrrad, bleibt es stehen kippt es um.“ Um den Bürgern zukünftiges Chaos zu ersparen sollten die politischen Verantwortlichen den Mut aufbringen den Bürgern reinen Wein einzuschenken. Es gibt für die Zukunft nur zwei Alternativen für Europa: Einen europäischen Föderalstaat oder ein national zerklüftetes Europa wie im 19. Jahrhundert. Das Festklammern an der aktuellen Zwischenlösung ist ein Schönwetterprovisorium, das die Krisen, die in Zukunft auf Europa zukommen werden nicht überstehen kann und letzendlich die zweite Alternative zur Folge haben wird. Deshalb muß der Apell von Francois Hollande ernst genommen werden: Europa braucht mehr Integration, um überlebensfähig zu bleiben.
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