Gebt mir meine Zukunft zurück!

Eine Anklageschrift gegen die führenden Politiker in Europa.

, von  Vincent Venus

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Gebt mir meine Zukunft zurück!
„Lächle zusammen, führe alleine.“ Vincent Venus beschuldigt die Spitzenpoliker Europas, keine gemeinsame Vision zu haben. European Council meeting 23 October 2011; Credit „The Council of the European Union“

Ich bin sauer. Ich bin sauer, weil die aktuelle Politikergeneration meine Generation um unsere Zukunft betrügt. Wie komme ich zu dieser Aussage? Zuerst ist ein kleiner Blick in die Geschichte notwendig, bevor ich mich der heutigen Situation widme.

Zwei Generationen großer Führungspersönlichkeiten

Ich wurde 1989 geboren, nur einige Tage vor dem Fall der Mauer. Dieses Ereignis machte die Einigung Deutschlands und schließlich von Europa möglich. Diesen historischen Schritt verdanken wir dem Volk und einigen Politikern. Letztere taten, was sie für richtig hielten, obwohl sie die Folgen nicht vorhersagen konnten. Es waren mutige Politiker und meine Generation verdankten ihnen sehr viel.

Vierzig Jahre vorher gab es eine andere Generation von Politkern. Jene fanden ein Europa vor, das vom Krieg zerstört und dessen Bevölkerung verfeindet war. Anstatt den nationalistischen Bestrebungen nachzugeben, entschieden sie, unseren Kontinent wieder aufzubauen und brachten die Nationen dazu, zusammen- anstatt gegeneinander zu arbeiten. Sie waren weitsichtig, allen voran Monnet, und auch ihnen verdankt meine Generation sehr viel.

Was haben diese zwei Generation gemein? Beide mussten Entscheidungen in unruhigen und ungewissen Zeiten fällen. Doch sie waren visionär und bereit, Risiken einzugehen, auch wenn diese vielleicht ihr politisches Aus bedeutet hätten. Beide Eigenschaften vermisse ich bei den Politikern, die heute die Geschicke Europas leiten.

Europa heute: Krise und keine Vision

Europa ist in einem miserablen Zustand. Wir erleben steigende Arbeitslosigkeit und Verdruss, soziale Unruhen, Staaten, die von der Marktmacht erdrückt werden und vor allem anderen: ein allgegenwärtiges Misstrauen. Die Märkte trauen den Staaten nicht, die Staaten den Banken nicht, andere Mächte trauen der Europäischen Union nicht und die Bürger trauen sowieso niemandem mehr.

Natürlich sind die Spitzenpolitiker nicht alleine für die Krise verantwortlich und natürlich gibt es Ereignisse, die sie nicht kontrollieren können. Trotzdem, es ist erstaunlich wie offensichtlich sie ihre Verantwortung zu führen verweigern, oder besser gesagt: gemeinsam zu führen. Einige Beispiele: Präsident Sarkozy hatte zuerst nichts anderes im Sinn, als die französischen Banken davor zu bewahren, Verantwortung zu übernehmen. Mittlerweile ist er bereits im Vorwahlkampf abgetaucht. Kanzlerin Merkel ist nicht besser. Im Mai erzählte sie das Märchen vom faulen Griechen, im Juni forderte sie einen „kontrollierten, beherrschbaren Prozess“ und lehnte jeden großen Schritt ab, und im Oktober versicherte sie erneut, die deutschen Steuerzahler zu verteidigen – nur um wenige Tage später höhere Opfer vom Griechischen Volk zu fordern. Papandreou auf der anderen Seite entschied sich endlich, das eigene Volk zu fragen, allerdings viel zu spät und ohne jegliche Absprache. Und David Cameron? Nun, der geht einfach jedem auf die Nerven.

Die Regierungschefs der Nationalstaaten versagen also, aber was ist mit den Verantwortlichen der Europäischen Union? Sie versuchen es ja, doch sie gehen unter angesichts der Machtspiele der Mitgliedsstaaten. Barroso wirbt für einen neuen EU-Vertrag, Van Rompuy ist damit beschäftigt, zwischen der Eurogruppe und dem Rest zu vermitteln und das Europaparlament muss dabei zusehen, wie die intergovernementalen Akteure keinen gemeinsamen Ansatz finden. Die Europäische Union ist bislang der größte Verlierer der Krise – und genau das ist das schlimmste Versagen dieser Politikergeneration.

Anstatt dass sie die Europäische Union als Mittel aus der Krise ansehen, bewerben und nutzen, tun sie viel, um die EU zu unterlaufen. Martin Schulz (SPD, MdEP) hat richtig bemerkt: „In der EU wird Erfolg nationalisiert und Misserfolg europäisiert.“ EU-Wissenschaftler haben das schon vor einigen Jahren beobachtet, doch heute ist es zutreffender als jemals zuvor. Lesen Sie einfach einmal die aufgebrachten Kommentare eines belieben Onlineartikels zum Thema EU und sie werden sich den Folgen dieser Taktik bewusst.

Es ist fast fast peinlich, dass die folgende Metapher noch einmal wiedergegeben werden muss, doch zu viele der Mächtigen scheinen sie vergessen zu haben: Wir sitzen alle in einem Boot (Europa) und segeln auf dem gleichen Gewässer (Welt), mit dem gleichen Ziel (Frieden, sozialer Zusammenhalt, eine freie und aufgeklärte Gesellschaft, eine hohe Lebensqualität, globale Kooperation um die Probleme dieser Welt anzugehen – der „Europäische Traum“ eben, wie es Rifkin nennt). Und nur weil unsere griechischen Matrosen momentan zu schwach sind, um ihren Pflichten an Deck nachzukommen, heißt das noch lange nicht, dass wir sie über Bord schmeißen dürfen. Europa, vereint in guten und in schlechten Zeiten – und vor allem in den noch kommenden. Neben den oben genannten Problemen, was ist mit dem Klimawandel, Energiesicherheit oder dem drohenden Einflussverlust von uns Europäern in der Welt? Glauben die Regierungschefs allen Ernstes, sie könnten diese Herausforderungen alleine, auf nationalstaatlicher Ebene angehen?

Macht verlangt nach Verantwortung

An der Macht zu sein, heißt Verantwortung zu übernehmen – jeder der einmal Schulsprecher war, weiß das. Die Spitzenpolitiker Europas dagegen, scheinen es vergessen zu haben. Sie quälen sich wie Abstiegskandidaten im Fußball von Entscheidungsspiel zu Entscheidungsspiel und vernachlässigen die anderen Herausforderungen. Sie verwalten einfach das Desaster.

Warum ist das der Fall? Zum einen aus dem egoistischen Drang, die eigene Macht zu halten: Lieber ein großer Fisch im Teich, als ein kleiner Fisch im Ozean. Zum anderen, weil die Wirtschaft, besonders der Finanzsektor, großen Einfluss auf die Politiker ausübt. Folglich versuchen sie sowohl die Wähler, als auch die Märkte zu beschwichtigen. Erstere mit kurzsichtigen Entscheidungen, die Europa langfristig schaden, sie allerdings an der Macht halten, und letztere, indem sie die notwendigen, harten Reformen vermeiden.

Das ist der falsche Weg. Ich meine, ein Politiker sollte ihren/seinen Plan den Menschen vorstellen, die Vorteile und Risiken erläutern, und dann fragen, ob die Wähler diesem zustimmen. Diese Methode ist natürlich schwieriger, doch sie bietet den Menschen Orientierung. Orientierung führt zu Vertrauen, einem Gefühl, so wichtig in Zeiten wie diesen.

Mit bleibt nur zu hoffen, dass es meine Generation besser macht. Wir sind gewappnet: ausgebildet an fordernden Universitäten, transnational ausgerichtet dank Englisch und Erasmus, und mit Hilfe des Internets europaweit vernetzt. Dies trifft natürlich nur auf einen Teil meiner Generation zu, doch wenn dieser Teil bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und sich der Sache annimmt, dann können, nein, dann werden wir unsere Zukunft zurück erlangen.

Dieser Artikel wurde zuerst im Blog des Dahrendorf Symposiums 2011 auf Englisch veröffentlicht. Das Symposium widmet sich den großen Herausforderungen Europas. Treffpunkt Europa ist Medienpartner der Veranstaltung.

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