Europa, ein Vorschlag

(Nach dem Titel des 1922 erschienen Artikel Coudenhove-Kalrgies der als Vorreiter der pan-Europa Idee gilt)

, von  Ioan C. Brumer

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Europa, ein Vorschlag

„Ist es möglich, dass 25 Staaten auf der kleinen europäischen Halbinsel nebeneinander in der internationalen Anarchie leben, ohne dass solch eine Situation zur schlimmsten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Katastrophe führt?“... [1]

Seit jeher ist Europa als mythologisches Ideal im kollektiven Bewusstsein verankert, doch erst ab dem achtzehnten Jahrhundert haben Philosophen und Gelehrte des kleinen Halbkontinents Europa als politische Einheit gedacht. Unter diesen Visionären darf man Kant mit seinem 1795 erschienen Traktat Zum Ewigen Frieden, oder Saint-Simon, mit der Idee eines europäischen Parlaments, 1814, nennen. Dass jedes wichtige historische Ereignis als Utopie anfängt, um als Realität zu enden, meinte ein Jahrhundert später Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi, der 1923 mit seinem Buch „Pan-Europa“ zum Gründer der ältesten europäischen Einheitsbewegung wurde. 1894 in ein Zeitalter der Nationalismen, des Antisemitismus, der Grenzkonflikte und der Weltkriege geboren, fühlte sich Coudenhove-Kalergi dennoch als Europäer und verfasste ein Buch das Aristide Briand, Charles De Gaulle und Conrad Adenauer, um nur manche zu nennen, im späteren Aufbau der europäischen Gemeinschaft maßgeblich beeinflusste. Wie konnte der Junge Kalergi den nationalistischen Idealen entkommen, um Pan-Europa in der Wiege der zerfallenen K.u.K.-Monarchie zur Welt bringen?

Bildung gegen die „-ismen“ der Jahrhundertwende

Als Sohn des K.u.K. Botschafters in Japan und seiner Frau Mitsu Aoyama, kam Richard Nicolaus in Tokio zur Welt. Ein Jahr später zogen seine Eltern nach Ronsperg (Böhmen) um, wo der junge Graf den ersten Teil seines Lebens verbringen wird. Dort baute ihm sein 18 Sprachen beherrschender Vater ein kleines Europa zusammen, indem er den deutschen, russischen und türkischen Privatlehrern französische, englische und ungarische Kindermädchen zur zur Seite stellte. Dass eine solche Vielfalt dem Jungen Grafen utopisch stimmen würde, ist somit kein reiner Zufall und auch die Nationalitätenfrage mag in einem solchen Umfeld als sekundär angesehnen werden. Dieser Bildung wurde 1908 mit seiner Aufnahme im Theresianum [2] der wahrscheinlich wichtigste Baustein hinzugefügt. Das Wiener Theresianum war darauf ausgerichtet, den Nachwuchs großer ungarisch-österreichischer Adelsfamilien auf diplomatische Aufgaben vorzubereiten. Schüler aus dem Ausland waren verhältnismäßig stark repräsentiert, und so war Coudenhove-Kalergi nicht nur mit dem Nachwuchs seiner europäischen Nachbarn in Kontakt, sondern auch mit Indern, Chinesen oder Ägyptern, was zu dieser Zeit nicht jedem gegeben war. Von Jesuitischer und Piaristischer Moral geprägt, wurden die Schüler des Theresianum von der Außenwelt stark abgeschottet. So ist es nicht erstaunlich, dass Coudenhove-Kalergi den aufkommenden „-ismen“ fremd geblieben ist, da er ihnen erst entgegnet ist, als er schon selbständig und kritisch auf sie reagieren konnte. Was war nun seine Idee, um Europa vor diesen „-ismen“ und der sich wandelnden weltpolitischen Lage zu retten?

Hauptmerkmale der Pan-Europa Idee

Kurz gefasst, sollte Pan-Europa in vier Schritten aufgebaut werden: Erstens sollte eine Konferenz der Mitgliedstaaten zusammengerufen werden. Zweitens würde ein Gerichtshof aufgebaut werden, um den Frieden zwischen den Mitgliedstaaten juristisch zu sichern. Drittens sollten die europäischen Staaten eine Zoll- und Währungsunion bilden, denn Coudenhove-Kalergi hatte verstanden, dass die europäischen Staaten ohne wirtschaftliches Wachstum nicht aus der Wirtschafts- und Sozialkrise kommen würden. Wirtschaftliches Wachstum war für Coudenhove-Calergi auch nur dann möglich, wenn die Wirtschaftsmächte Deutschland und Frankreich miteinander kooperieren würden. Als letzte und wichtigste Etappe sah Coudenhove-Kalergi den Aufbau einer Art Vereinigten Staaten von Europa.

Als großes Beispiel für sein Pan-Europa sind die USA zu nennen: Dass man daher heutzutage das Ideal Pan-Europa als restriktiv föderalistisch annimmt, war keineswegs im Sinne Coudenhove-Kalergis. Eine der Hauptideen Paneuropas war es nämlich, die Nationalismen zu entschärfen. In diesem Sinne wollte er sie national begrenzen und ein internationales Verständnis fördern. Die Einschränkung der Nationalismen und damit die Wahrung des europäischen Friedens war jedoch nur einer der Hintergründe Pan-Europas: Welche waren die anderen Hauptgründe, die Coudenhove-Kalergi zu seiner sehr spezifischen Vision Europas gebracht haben?

Pan-Europa: eine Utopie aus reeller Not

Coudenhove-Kalergi sprach in der Zwischenkriegszeit von der Emanzipation der Welt. Er meinte damit das Aufkommen von neuen Weltmächten: einerseits Russland, das sich unter dem Bolschewismus langsam aber sicher stärkte, andererseits die Vereinigten Staaten und das britische Empire. Kontinentaleuropa war nicht mehr das Zentrum der Welt. Um diese strategische Position wieder zu erobern, durften sich die europäischen Staaten nicht mehr gegeneinander wenden, sondern sollten Einheit zeigen. Dass diese Einheit durch wirtschaftliche Zusammenarbeit am besten und schnellsten erreicht werden würde, zeigt wie gut Kalergi die Situation einschätzte.

Von großer Weisheit und Realismus geprägt, war das Pan-Europa Kalergis in fast jeder Hinsicht visionär. Thomas Mann beschrieb Kalergi als „einen der merkwürdigsten und übrigens schönsten Menschen“, die ihm je begegnet seien, während er für Adolf Hitler nur ein gewöhnlicher „Allerweltsbastard“ war. Dieses Adeligen-Image hat ihn wahrscheinlich am meisten daran gehindert, Pan-Europa unter die Menschen zu bringen. Dafür war wahrscheinlich wiederum seine Bildung verantwortlich. Die Utopie Pan-Europa hat jedoch Besseres verdient, als zur Verteidigung der heutigen Nationalismen zu dienen.

Bildung : Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi. Aus euroesprit.org

Anmerkungen

[1« Est-il possible que sur la petite presqu’île européenne, 25 États vivent côte à côte dans l’anarchie internationale, sans qu’un pareil état de choses conduise à la plus terrible catastrophe politique, économique et culturelle ?… » Manifeste Paneuropéen - 1926

[2Schüler des Teresianum waren unter anderem: Karl Lueger, Alfons XII, König von Spanien, Joseph Schumpeter oder Prinz Sultan Ertuğrul Osman V., Oberhaupt des Hauses Osman.

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