Zum EU-Gipfel Ende Juni mangelte es nicht an großen Worten. Kommissionspräsidentin Von der Leyen betitelte den Gipfel als historisch. Und auch die Regierungsspitzen der einzelnen Mitgliedsstaaten zeigten sich mit der Einigkeit der EU gegenüber Russland zufrieden. Viel beachtet wurde der Kandidatenstatus der Ukraine, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar auf westliche Hilfe und eine Mitgliedschaft in der EU hofft. Neben der Ukraine hat allerdings auch das kleine Moldau den Kandidatenstatus zugesprochen bekommen.
Historic day for #Moldova🇲🇩! EU🇪🇺 Member States have granted us the #EU candidate status. An unequivocal & strong signal of support for our citizens and #Moldova's European future. We are grateful & committed to advancing on the path of reforms.
— Maia Sandu (@sandumaiamd) June 23, 2022
Im Schnellverfahren hatte die EU den erst im März gestellten Beitrittsantrag Moldaus geprüft. Doch, dass der endgültige Beitritt alles andere als schnell gehen könnte, scheint auch der moldauischen Regierung klar zu sein. Die Präsidentin des Landes Maia Sandu sprach von einem „schwierigen Weg“, der Moldau bevorstehe.
Ein „schwieriger Weg“
Um der Europäischen Union beitreten zu können, müssen die Kopenhagener Kriterien erfüllt werden. Dazu gehören sowohl politische als auch wirtschaftliche Elemente. Insbesondere aus wirtschaftlicher Sicht ist die Union Hoffnungsträger Moldaus. Dieser Wunsch nach wirtschaftlicher Annäherung mündete bereits in einem Assoziierungsabkommen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU. Dadurch wurde Moldau ein beschränkter Zugang zum Europäischen Binnenmarkt gewährt. Dennoch gilt Moldau als eines der ärmsten Länder Europas. Zwar hat sich das BIP pro Kopf des Landes in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, doch beträgt es nur etwa ein Drittel des BIPs vom Nachbarland Rumänien, dem Land mit dem zweitniedrigsten BIP pro Kopf innerhalb der EU. Und auch andere Probleme plagen die moldauische Wirtschaft. So sind große Teile der arbeitenden Bevölkerung noch immer im primären Sektor beschäftigt. Ebenso gelten eine große Schattenwirtschaft, sowie Korruption als wirtschaftliche Erschwernisse.
Abseits der Wirtschaft hat Moldau in den letzten Jahren eine politische Wende hin zu Europa vollzogen. Symbolisch für diese Annäherung ist die aktuelle proeuropäische Präsidentin Maia Sandu. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 gewann sie gegen den prorussischen Amtsinhaber Igor Dodon mit knapp fünfzehnprozentigem Vorsprung und verfolgt seit ihrer Amtsübernahme einen proeuropäischen Kurs. Bestätigt wurde die Politik Sandus bei der Parlamentswahl 2021: Sandus Regierungspartei konnte ihr vorheriges Ergebnis nahezu verdoppeln und so die absolute Mehrheit erreichen. Auch der Einfluss von Oligarchen auf die moldauische Politik ist stark zurückgegangen. Bemerkenswert ist vor Allem die Flucht des Oligarchen Wladimir Plahotniuk ins Exil nach einer Regierungskrise im Jahr 2019. Zuvor wurde Moldau oft als einen durch Plahotniuk gekaperten Staat zu bezeichnet.
Zwischen den Stühlen
Dennoch bleibt der Konflikt zwischen proeuropäischen und prorussischen Kräften bestimmend für die moldauische Politik, sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart. So hat Moldau etwa eine besondere Beziehung zu Rumänien. Die rumänische Sprache ist Amtssprache des Landes und einige politische Bewegungen fordern gar die Wiedervereinigung mit Rumänien – Zuletzt war Moldau in der Zwischenkriegszeit Teil Rumäniens. Gleichzeitig gehörte das Land ab 1812 zum Russischen Kaiserreich und ab 1945 zur Sowjetunion. Während beider Epochen war Moldau einer Politik der Russifizierung unterworfen. Unter anderem wurde das lateinische Alphabet zu Sowjetzeiten durch das kyrillische ersetzt. Aus dieser Zeit stammt auch eine größere russische Minderheit, die besonders im Osten des Landes zu finden ist.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit des Landes befand sich Moldau plötzlich zwischen den Stühlen. Der Wunsch einer Annäherung an den Westen, insbesondere an das benachbarte Rumänien, stand dem gegenüber, sich weiterhin an Moskau zu orientieren. Im Osten und Süden des Landes kam es zum Konflikt. Transnistrien, ein Landstrich entlang des Flusses Dnister an der Ostgrenze zur Ukraine und Gagausien im Süden erklärten ihre Unabhängigkeit. Während Gagausien 1994 mit weitreichender Autonomie wieder in Moldau eingegliedert wurde, kam es in Transnistrien zu einem Krieg zwischen den prorussischen Separatisten und der neugegründeten Republik Moldau. Der jungen und schwachen Republik gelang es 1992 nicht, den abtrünnigen Landstrich einzunehmen. Seitdem existiert Transnistrien als ein von Russland unterstützter de facto-Staat an der Grenze zur Ukraine.
Angst vor Russland?
Die separatistische Regierung in Transnistrien hat seit jeher einen nach Moskau gerichteten Kurs geführt. So sind etwa 1.500 russische Soldaten auf dem Gebiet stationiert, weshalb der Europarat Transnistrien als von Russland besetzt einstuft. 2014, nach der Annexion der Krim durch Russland, stellten die Separatisten einen offiziellen Beitrittsantrag zur Russischen Föderation. Dieser wurde von Russland abgelehnt. Nicht zuletzt wäre Transnistrien ein vom restlichen Russland komplett isoliertes Gebiet gewesen.
Mit dem 24. Februar 2022 und dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich die Lage jedoch von Grund auf verändert. Sollte Russland sein explizites Kriegsziel erreichen, den gesamten Süden der Ukraine einzunehmen, stünde einer Annexion Transnistriens nichts mehr im Wege. Aus diesem Grund geht für Moldau und die Ukraine aus Transnistrien eine große Gefahr aus. Die Befürchtungen stützen sich einerseits auf die dort stationierten Truppen, die womöglich die Ukraine von dort angreifen könnten, und andererseits auf die Tatsache, dass ein Zusammenschluss der russischen Truppen in der Ukraine mit denen in Transnistrien eine Ausweitung des Krieges auf Moldau bedeuten könnte. Beispielhaft für die angespannte Lage ist ein Angriff auf zwei russische Radiomasten in Transnistrien im April. Der Kreml bezichtigte die Ukraine, für den Angriff verantwortlich zu sein. Die ukrainische Regierung hingegen sprach von einer versuchten Destabilisierung der Region durch Russland.
Aus genau diesem Grund treibt die moldauische Regierung die Annäherung an die EU voran und stellte im März den Beitrittsantrag an die Union. Und auch in der Bevölkerung schlägt sich die Angst vor einer russischen Invasion nieder. Erste Umfragen nach Beginn des Krieges zeigen eine weitere Verlagerung der öffentlichen Meinung hin zu Europa und weg von Russland. Doch ob ein Beitritt zur Union als Schutz vor Russland rechtzeitig erfolgen kann, ist fraglich. Sowohl wirtschaftlich als auch politisch hat Moldau in den vergangenen Jahren immense Fortschritte gemacht, bleibt jedoch hinter den anderen EU-Mitgliedern deutlich zurück. Und selbst wenn es nicht zu einer Auseinandersetzung mit Russland kommen sollte, bleibt der eingefrorene Konflikt um Transnistrien ein Hindernis für einen Beitritt zur Europäischen Union, wodurch die Kopenhagener Kriterien verletzt werden würden. Gleichzeitig kommen aus Gagausien erneut zunehmend separatistische Töne. Die Region, in der bei den letzten Wahlen über 90% prorussische Parteien wählten, hat etwa die Unabhängigkeit im Falle einer Wiedervereinigung mit Rumänien angekündigt.
Die Zukunft der Republik Moldau und ihr Verhältnis mit der Europäischen Union steht also, trotz schnellem Kandidatenstatus, noch in den Sternen. Doch ob diese Sterne, die auf der europäischen Flagge sind, wie es sich die Moldauer erhoffen, wird sich zeigen.
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