Zeitenwende auch in Tschechien?

Die Tschechische Republik wählt einen neuen Präsidenten

, von  Tereza Novotná

Zeitenwende auch in Tschechien?
Blick auf Prag Foto: Unsplash / Radek Kozák / Unsplash Lizenz

Der frühere NATO-General Pavel hat die tschechische Präsidentschaftswahl deutlich gegen den Ex-Regierungschef Babis gewonnen. Doch nach einem harten Wahlkampf ist die tschechische Gesellschaft gespaltener denn je. Wie steht es um eine Chance auf Versöhnung? Ein Gastkommentar einer Wählerin.

Zuerst einmal ein bisschen Grundwissen: Die Person für das Amt des/der Präsident*in wird in Tschechien erst seit 2013 von den Bürger*innen bestimmt. Davor funktionierte die Wahl ähnlich wie in Deutschland und die Vertreter*innen der beiden Parlamentskammern mussten sich auf einen Namen einigen. Generell unterscheidet sich das Amt nicht allzu gewaltig von der Position des/der deutschen Präsident*in.

Zu den wichtigsten Aufgaben des/der Präsident*in gehört das Unterschreiben neuer Gesetze, wofür er/sie auch über ein Vetorecht verfügt. Dieses kann allerdings durch eine einfache Mehrheit im Abgeordnetenhaus überstimmt werden. Außerdem kann er/sie die Verfassungsrichter*innen und den/die Gouverneur*in der Tschechischen Nationalbank ernennen. Nach einer Abgeordnetenhauswahl ernennt er oder sie den/die neue*n Premierminister*in. Und natürlich vertritt er oder sie Tschechien im Ausland. Zur Wahl 2023 wurden nach Erfüllung aller gesetzlichen Kriterien acht Männer und eine Frau zugelassen. Die Verfassung besagt, dass man kandidieren kann, wenn man zur Unterstützung eine Mindestgrenze von Unterschriften erreicht: entweder von 50 000 volljährigen Bürger*innen des Landes, oder von 20 Abgeordneten, oder 10 Senator*innen.

Meinungsumfragen hatten eine Stichwahl zwischen dem ehemaligen Premierminister Andrej Babiš und dem General Petr Pavel prognostiziert, was auch tatsächlich eintraf: Das endgültige Ergebnis brachte 35,40 % der Stimmen für Petr Pavel; 34,99 % für Andrej Babiš; und auf dem dritten Platz endete mit 13,92 % der Stimmen Danuše Nerudová, Ökonomin und ehemalige Hochschulrektorin.

Andrej Babiš ist Vorsitzender der von ihm gegründeten Partei ANO 2011 und war zwischen 2014 und 2017 Finanzminister sowie von 2017 bis 2021 der Premierminister Tschechiens. In den 1990er Jahren hat er die Firma Agrofert gegründet, die inzwischen zu einem Großkonzern gewachsen ist und derzeit etwa 40.000 Menschen beschäftigt. Wegen seines Freizeitresorts „Storchennest“ wurde Babiš mehrere Jahre, auch als Premierminister, aufgrund des Verdachts auf Veruntreuung von EU-Geldern strafrechtlich verfolgt, bis er am 9. Januar, in der Woche des ersten Wahlgangs, freigesprochen wurde. Dennoch ist das Urteil noch nicht endgültig, da die Staatsanwaltschaft noch Berufung einlegen kann. Außerdem ist sein Name auch in den “Pandora Papers” zu finden, in Bezug auf Immobilienkäufe in Frankreich. Generell hat Andrej Babiš eine sehr starke Position in der tschechischen Medienlandschaft – durch den Besitz der Aktiengesellschaft MAFRA könnte er laut einem Bericht der Europäischen Journalisten-Föderation aus dem Jahr 2019 etwa 30% der Medien in Tschechien beeinflussen.

Sein Herausforderer und Gewinner der Wahl war Petr Pavel, ein ehemaliger General, der mittlerweile außer Dienst ist. Zwischen 2012 und 2015 hat er den tschechischen Generalstab geleitet. Außerdem war er von 2015 bis 2018 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, in militärischer Hinsicht die höchste und in politischer Hinsicht die zweithöchste Position innerhalb des Bündnisses. Unter anderem nahm er in den 1990ern während des Jugoslawienkrieges an der UNPROFOR-Mission teil. Bis heute führt er ins Feld, dass er damals einen Einsatz leitete, der das Leben von mehr als 50 französischen Soldaten gerettet hat.

Doch was bedeutet der Wahlkampf für die innere Politik und die Regierung? Andrej Babiš erwähnte immer wieder gerne, dass Pavel der „Kandidat der Regierungskoalition“ sei, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entspricht. Wahr ist, dass Pavel die informelle Unterstützung der Koalition genießt. Allerdings basierte seine Kandidatur auf mehr als 80.000 Unterschriften der Bürger*innen. Babiš selbst war derjenige, der die formelle Unterstützung lieber bei den Abgeordneten aus seiner eigenen Partei gesucht hatte. Babiš warnte davor, dass mit Pavel als Präsidenten die Regierungskoalition die Kontrolle über alle wichtigen Institutionen haben würde: Abgeordnetenhaus, Senat, Präsident… was zu einer „neuen Totalität“ führen würde und eine Zensur in die Wege leiten wird. Generell wird diese Wahl in der Öffentlichkeit als Kampf zwischen Gut und Böse (von beiden Seiten) betrachtet, was die Gesellschaft dann natürlich immer weiter spaltet.

Ansonsten drehte sich der Wahlkampf vor der Stichwahl hauptsächlich um die kommunistische Vergangenheit der beiden Kandidaten und um den Ukraine-Krieg. Sowohl Babiš als auch Pavel waren vor 1989 Mitglieder der kommunistischen Partei. Babiš soll mit der StB (die tschechoslowakische Version der Stasi in der DDR) zusammengearbeitet haben. Er selbst lehnte diese Zusammenarbeit sehr vehement ab und hat die Tatsache, dass in den Archiven sein Name unter der Agent*innen des kommunistischen Regimes geführt wird, auch vor Gericht angefochten. Pavel beschrieb seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei als einen jugendlichen Fehler, den er bereute. Er behauptete, dass er nur wegen seiner Karriere ein Mitglied wurde, um Berufssoldat werden zu können. Pavel hatte noch während des kommunistischen Regimes seine Ausbildung im Nachrichtendienst angefangen, die er dann zwei Jahre nach der Samtenen Revolution beendet hatte. All diese Fakten wurden während des Wahlkampfes immer wieder betont, was zu hitzigen Momenten in den Fernsehdebatten führte, wer denn der größere „Apparatschik“ war.

Anderes Thema des Wahlkampfes, was aber erst nach dem ersten Wahlgang in den Vordergrund gerückt wurde, war die mögliche direkte Beteiligung Tschechiens am Ukraine-Krieg. Im ganzen Land waren an den Plakattafeln u.a. Textplakate mit folgendem Inhalt aufgetaucht: „Der General glaubt nicht an Frieden. Wählen Sie Frieden. Wählen Sie Babiš.

Dies hatte tatsächlich viele Bürger*innen, vor allem Rentner*innen und Kinder, erschrocken und verängstigt. Babiš selbst wiederholte dieses Narrativ auch in den Fernsehduellen immer wieder: Er will Frieden, wenn der General die Wahl gewinnt, würde es heißen, dass unsere Söhne und Enkel in die Armee eingezogen werden. Sein Friedensnarrativ ging sogar so weit, dass, wenn er gefragt wurde, ob er im Falle des Angriffs auf Polen eine militärische Hilfe (laut Artikel 5 des Bündnisses) leisten würde, direkt erwiderte: „Bestimmt nicht!“. Obwohl Babiš seine Aussage nachträglich korrigierte, könnte ihn auch das den Sieg gekostet haben. Hätte Babiš die Wahl gewonnen, hätte das für Europa vieles verändert: Auch wenn es jeder Person selbstverständlich zusteht, Fehler zu machen, und sicher redet jede*r von uns manchmal schneller als er/sie denkt, im Amt des Präsidenten wiegen solche Fehler doch ein bisschen schwerer und können das Bild von Tschechien bei unseren Freund*innen und Verbündeten im Ausland auch dauerhaft beschädigen. Auch bereits vor diesem Vorfall konnte man in Europa gewisse Zweifel an Babiš erkennen. Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, merkte auf eine direkte Nachfrage zur tschechischen Präsidentschaftswahl an: „Nobody is waiting for Babiš, nobody really.

Wenn ihr mich fragt (bzw. hat mich die Redaktion von treffpunkteuropa.de gefragt), was ich mir von dem neuen Präsidenten wünsche, ist es Anstand, stabile Repräsentanz im Ausland, und vor allem gute, konstruktiv-kritische Zusammenarbeit mit der Regierung. Ich hoffe sehr, dass der neue Präsident die Regierung auch kritisiert, und dass er in die gesellschaftliche Debatte mehr von Themen bringt, die gerade die jüngere Generationen betreffen. Seit der letzten Parlamentswahl ist das Abgeordnetenhaus wieder älter und konservativer geworden. Deswegen brauchen wir in der künftigen politischen Landschaft starke Stimmen, die sich für junge Menschen einsetzen und den Blick in die Zukunft richten. Einer davon muss der Präsident (und irgendwann hoffentlich auch die Präsidentin) sein.

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