Viktor Orbáns Politik in Ungarn

Woraus besteht dein Christentum?

, von  Tamás Vekerdy

Woraus besteht dein Christentum?
Anbetungskirche in Budapest Foto: Flickr / jaime.silva // CC BY-NC-ND 2.0

Viktor Orbán beruft sich in seiner Politik oftmals auf Werte des Christentums – doch wie definiert er es? Der ungarische Autor Tamás Vekerdy nähert sich poetisch der Frage an.

Ich lese in Matthäus 25: 31-40:

„Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan”

Das sind die Wahrhaftigen, sie stehen auf der gerechten Seite und bekamen Einlass im Reich des Herrn, auf der anderen Seite stehen die, die unter den Geringsten den Größten nicht erkannt hatten. Sie wurden dem ewigen Feuer übergeben.

Viktor, liest du nicht dasselbe? Papst Franziskus hat das gelesen. Ein Versager.

Aber die Geschichte der Christenheit ist die Geschichte der Versager. Die Menge schrie einhellig Barabas, als sie gefragt wurde, wer dem Tode entgehen soll. So wird statt Barabas der Mann aus Nazareth zum Tode verurteilt. Ein Versager.

Auch alle seine Jünger und Apostel sind Versager, denn auch sie wurden ermordet.

Viktor, du bist kein Versager, du bist ein glorreicher Sieger, genau wie auch dein Freund Matteo Salvini.

Was soll geschehen mit den Menschen, die nach Schiffbruch im Mittelmeer um ihr Leben kämpfen?

Muss man sie nicht retten?

Der Antwort würdest du gerne aus dem Weg gehen. Du würdest sagen, was auch György Soros immer gesagt hat: „Das Problem muss man dort lösen, wo es entsteht.”

Gewiss.

Bis dahin lassen wir sie ertrinken?

Solche Fragen magst du, Viktor, nicht. Boshaft wie ich bin, nehme ich an, dass du am liebsten sagen würdest: Ja, lassen wir sie ertrinken.

Ist dieses Gedankengut wirklich geeignet, ein christliches Ungarn aufzubauen? Was heißt eigentlich „christliches Ungarn”? Das haben wir schon mal gehört in den für dich so vorbildhaften 1930-er und 1940-er Jahren. Es bedeutete: kein Jude.

Nach zwanzig Jahren Judenhass, und der dazu anstiftenden nationalen Erziehung, haben wir im Zweiten Weltkrieg sechshunderttausend Ungar*innen in den Tod geschickt. Eichmann könnte das leicht bezeugen. Und wir haben alles gestohlen, was den jüdischen Menschen gehörte. Weil wir im Plündern nämlich Spitze sind.

Wer eine Menge Menschen als Masse behandelt – Juden und Jüdinnen oder Migrant*innen –, der hat sich auf den Weg zu ihrer Ermordung begeben.

Woraus besteht also dein Christentum, Viktor?

Dieser Text erschien im Original am 7.09.2018 in der (noch existierenden) Wochenzeitung „Élet és Irodalom“. Die Übersetzung wurde treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt.

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