„Wenn die EU zusammenbricht, wird es Krieg im West-Balkan geben“. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte mit diesen Worten die neue US-Regierung davor, über den Austritt weiterer Mitgliedsländer zu spekulieren. Die EU könne Bosnien-Herzegowina, die Republika Srbska, Macedonien, Albanien und all diese Länder nicht allein lassen warnte Juncker im Interview mit der Financial Times Anfang März.
Bezeichnend für die konkrete Drohung ethnischer Spannungen auf dem Balkan ist dabei, dass Juncker die Republika Srbska gesondert aufzählte. Dabei handelt es sich um den serbisch besiedelten Teil Bosnien-Herzegowinas. Im komplizierten Regierungssystem des Landes hat die Republika Srbska als autonome Region ein eigenes Staatsoberhaupt. Der derzeitige Präsident, Milorad Dodik befeuert seit langem Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen.
Aufsehen erregte Dodik zuletzt wegen der Ausrichtung eines Feiertages am 9. Januar diesen Jahres im serbischen Teil des Landes. Das Verfassungsgericht Bosnien-Herzegowinas hatte gefordert den Feiertag zu verschieben. Die offizielle Begründung des Gerichtes war, dass der Tag des von Orthodoxen verehrten Heiligen Stephan Muslime und Katholiken diskriminiere. Die eigentliche politische Sprengkraft liegt jedoch darin begründet, dass sich am 9. Januar 1992 die Volksgruppe der Serben von Bosnien-Herzegowina abspaltete. Danach begann der Bosnien-Krieg. Der blutigste der Balkankriege. Präsident Dodik ließ sich von der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht beeindrucken und im September 2016 in der Republika Srbska ein Referendum über das umstrittene Datum abhalten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Milorad Dodik die serbische Bevölkerung mit einem Referendum politisiert. Bereits 2015 plante seine Partei ein Referendum über die „friedliche Auflösung“ Bosnien-Herzegowinas und die Abspaltung der Republika Srbska für das Jahr 2018. Die unverhohlenen Wünsche nach Sezession erregten schon damals Befürchtungen, dass das mühsam erreichte Friedensabkommen von 1995 in Gefahr sei. Genauso unmissverständlich Dodiks Äußerungen zum Massaker von Srebrenica: Von einem Völkermord zu sprechen sei eine „Lüge“. Ein Verhalten über das die Partner in der EU bislang hilflos den Kopf schüttelten.
Die Europäische Union ist der größte einzelne Investor in Bosnien-Herzegowina. Seit 1996 wurden über 3,5 Milliarden Euro im Land investiert. Bis 2000 lag der Fokus auf der humanitären Hilfe in dem vom Krieg zerstörten Land. Seit der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens 2008 wird Bosnien-Herzegowina durch das Instrument für Heranführungshilfe IPA unterstützt. Die Zahlungen sind verschiedenen Bereichen zugeordnet, die im Hinblick auf den EU-Beitritt Reformen anstoßen sollen. Um die Bereiche Demokratie und gute Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit („rule of law“) und Grundrechte, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, sowie Bildung, Beschäftigung und Sozialpolitik zu stärken wurden seit 2014 165,8 Millionen Euro aufgewendet.
Die unübersichtliche Verwaltung Bosnien-Herzegowinas erleichtert Korruption und Veruntreuung. Befürchtungen, die auch die Infrastrukturhilfen internationaler Geldgeber wie der Europäischen Union betreffen. Nach der Flutkatastrophe 2014 wurden Zweifel an der Verwendung von internationalen Hilfsgeldern laut. Eine Koalition lokaler NGOs hatte die Entschädigungszahlungen von Regierungsinstitutionen überprüft und lediglich bei 54 Prozent ausreichende Informationen über deren Verwendung erhalten. Eine höhere Transparenz ließ sich dagegen bei den Hilfsgeldern feststellen, die direkt von internationalen Organisationen und nicht über die öffentlichen Institutionen in Bosnien-Herzegowina verwaltet wurden.
Wut über ausbleibende Reformen und die unhaltbare soziale Lage brachte die Bevölkerung 2014 auf die Straße. Die Arbeitslosigkeit in Bosnien-Herzegowina lag 2016 bei fast 26 Prozent. Mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 67 Prozent belegt Bosnien-Herzegowina in der Liste der Weltbank einen traurigen Spitzenplatz. Wobei ein großer Teil der Bevölkerung in der Schattenwirtschaft arbeitet.
Am 15. Februar 2015 beantragte Bosnien-Herzegowina die EU-Mitgliedschaft. Angesichts der zahlreichen ungeklärten Fragen und der offenen Sezessionsbestrebungen im Land bleibt die Beitrittsperspektive vage. Erfolgreiche Strukturhilfen zu leisten um die soziale und wirtschaftliche Situation zu verbessern tut jedoch not. Denn gerade die jungen gut ausgebildeten Bosniaken haben sich bereits für Europa entschieden und stimmen mit den Füßen ab. Schätzungen gehen davon aus, dass seit 2013 über 80 000 Menschen das Land in Richtung EU verlassen haben.
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