„Ich bin hierher gekommen, um zu betonen, dass sich Ihre Wirtschaft und unser Binnenmarkt einander annähern sollten. Und wir können jetzt damit beginnen, noch bevor Sie unserer Union beitreten“, erklärte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche in einer Pressekonferenz mit der moldauischen Präsidentin Maia Sandu. „Wir stehen an der Seite der Republik Moldau und ihrer tapferen und hart arbeitenden Menschen. Und wir werden Moldau bei jedem Schritt auf seinem Weg in die Europäische Union begleiten.”
Aktueller Stand der EU-Moldau Beziehungen
Die wirtschaftliche Integration ist nicht erst seit Moldaus Antrag auf eine EU-Mitgliedschaft und der Anerkennung als offizielles EU-Bewerberland im Jahr 2022 Thema in den Beziehungen zwischen der EU und Moldau. Das im Jahr 2014 unterzeichnete Assoziierungsabkommen und die darin enthaltene „vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA)” dienen dazu, Moldau Zugang zum Europäischen Binnenmarkt zu gewähren. Dazu gehören freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- sowie auch Personenverkehr. So können Personen mit moldauischen Pass von bis zu 90 Tage Visumfreiheit in der EU profitieren. Auch das Erasmus+ Programm hat dazu beigetragen, dass immer mehr moldauische Studierende an akademischen Programmen innerhalb der EU teilnehmen können.
Doch der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen der EU und Moldau geht darüber hinaus. Denn während von der Leyen in ihrer Presseerklärung andeutet, dass die wirtschaftliche Annäherung zwischen EU und Moldau noch immer ein Projekt der Zukunft sind, sind die Moldauer*innen, die von der Leyen in ihrer Rede immer wieder hervorhebt, bereits wichtiger Bestandteil der europäischen Wirtschaft.
Arbeitsmigration: Eines der beherrschenden Themen
Moldau ist ein Land mit einer hohen Emigrationsrate. Mehr als ein Viertel der moldauischen Bevölkerung lebt außerhalb der Republik Moldau. 70% moldauischer Eltern geben an, dass sie die Zukunft ihrer Kinder im Ausland sehen. Doch gerade die befristete Arbeitsmigration ist die am weitesten verbreitete Form der Auswanderung aus der Republik Moldau. Und zu den beliebtesten Zielländern für moldauische Arbeitsmigrant*innen gehören dabei die Mitgliedsstaaten der EU.
Als temporäre Migrant*innen in der EU werden sie besonders häufig Opfer von Ausbeutung und Arbeitsmissbrauch, wie ein Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte verdeutlicht. Durch Strategien wie Isolation, Beschlagnahme von Dokumenten, finanzielle Kontrolle, körperliche Gewalt und Einschränkung der Bewegungsfreiheit werden viele Migrant*innen davon abgehalten, diese unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verlassen. Auch mangelnde Kenntnisse der eigenen Rechte und der Landessprache sowie fehlendes Eingreifen durch die zuständigen Behörden tragen dazu bei, dass die Ausbeutung weitgehend uneingeschränkt bestehen bleibt.
Nicht zu vergessen ist, dass dieser Missbrauch auch das Ergebnis der europäischen Migrationspolitik ist, durch welche die Arbeiter*innen abhängig von den Arbeitgeber*innen gemacht werden - vor Allem dann, wenn die Aufenthaltsgenehmigung an den Arbeitsvertrag gebunden ist. Zusätzlich haben Arbeiter*innen ohne unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und ohne Wahlrecht nur begrenzt Möglichkeiten, sich politisch gegen diese ungleichen Machtverhältnisse zu wehren oder ihre Kritik öffentlich zum Ausdruck zu bringen.
Dabei ist die EU von Arbeitsmigrant*innen abhängig. Moldauische Arbeitsmigrant*innen sind dafür ein klares Beispiel. Ein Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zeigt, dass die Arbeitsbereiche, in welchen moldauische Migrant*innen am stärksten vertreten sind, genau die Sektoren sind, in welchen die EU einen erheblichen Arbeitskräftemangel aufweist. Moldauische Männer arbeiten vor allem im Baugewerbe, aber auch im Verkehrs- und Kommunikationssektor, während Frauen vor allem in den Bereichen Haushalt, Gesundheit und Sozialhilfe tätig sind. In vielen Fällen, und insbesondere in Westeuropa, handelt es sich hierbei nicht um die Sektoren, für die die Arbeiter*innen in ihrem Heimatland ausgebildet wurden. Viele Arbeitserfahrungen und Qualifikationen gehen also verloren, wenn Moldauer*innen auf der Suche nach besseren Gehältern und Einkommensmöglichkeiten ins Ausland gehen - eine Tatsache, die der EU sehr zugute kommt, da sie Arbeitskräfte benötigt, um ihren Arbeitskräftemangel zu beheben.
Welche Ziele verfolgt die EU?
Die EU selbst hat sich zum Ziel gesetzt, die sichere und legale Arbeitsmigration zu fördern. Denn vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung muss die EU mit einer abnehmenden Anzahl an Arbeiter*innen und einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsversorgung sowie sozialen Dienstleistungen rechnen. Um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einzuschränken, ist die Zuwanderung zum EU-Arbeitsmarkt unvermeidlich.
Moldauer*innen sind also ein wichtiger Teil der europäischen Wirtschaft, und werden es auch weiterhin sein. Sie sind entscheidend für die Besetzung von Stellen in Sektoren, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht. Dies gilt insbesondere für Bereiche, die notorisch unterfinanziert und unterbesetzt sind, und in denen die Arbeitnehmer*innen den schlimmsten Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind.
Von der Leyens Bekräftigung des europäischen Einsatzes für die Stärkung der moldauischen Wirtschaft deutet auf eine positive Entwicklung für moldauische Arbeiter*innen in Moldau hin. Wie die EU-Präsidentin selber sagt, der „ehrgeizige Wirtschaftsplan für die Republik Moldau”, den die Europäische Union unterstützen will, „bedeutet gute Arbeitsplätze und eine bessere Lebensqualität für die Moldauer und Moldauerinnen”. Es bleibt nur zu klären, ob Arbeitsmigrant*innen in der EU auf die gleichen Entwicklungen hoffen können.
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