Bereits seit 2005 hat Nordmazedonien den Status als EU-Beitrittskandidat inne, 2022 begannen schließlich die Beitrittsgespräche. Viel Fortschritt in seinem Bestreben, der Union beizutreten, konnte das Land seitdem jedoch nicht verzeichnen: Immer wieder legen Streitigkeiten mit Nachbarländern, insbesondere Bulgarien und Griechenland, dem kleinen Balkanstaat Stolpersteine in den Weg.
Im September machte sich in Skopje Ernüchterung breit, nachdem offiziell bekannt wurde, dass der EU-Beitrittsprozess des Landes vom albanischen Prozess abgekoppelt wird. Zuvor hatte es das Land - trotz eines entsprechenden Abkommens mit Bulgarien - aufgrund einer fehlenden parlamentarischen Mehrheit versäumt, den Schutz der bulgarischen Minderheit in seiner Verfassung zu verankern.
Die Entscheidung wurde von nordmazedonischen Entscheidungsträgern mit Unverständnis aufgenommen. Premierminister Hristijan Mickoski, der der christdemokratischen Partei VMRO-DPMNE angehört, nannte sie ein “Diktat” der EU, während Präsidentin Gordana Siljanovska-Davkova ihrem Unmut über den endlos scheinenden Beitrittsprozess Luft machte:
„Für uns ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Union nach 20 Jahren Verhandlungen und 16 positiven Berichten der Europäischen Kommission wie Herr Godot [aus Samuel Becketts Theaterstück “Warten auf Godot”, Anm. der Red.], denn wir haben seit 2005 auf ihn gewartet, immer ermutigt von internationalen Vertretern mit dem Refrain: ‘Nur diese eine Bedingung oder nur dieses eine Zugeständnis mehr’“, so Siljanovksa-Davkova.
Die Abkopplung der beiden Länder war lediglich das letzte Kapitel eines Hürdenlaufs, in dem sich Nordmazedonien seit der Erlangung des Status als EU-Beitrittskandidat im Jahre 2005 befindet. Immer wieder wird der Fortschritt des Landes entweder durch interne Meinungsverschiedenheiten oder durch Forderungen von EU-Mitgliedsstaaten gehindert.
Ein Schrecken ohne Ende
Zuerst hatte der Namensstreit mit Griechenland die Perspektiven des Landes auf einen EU-Beitritt verkompliziert. Athen nahm Anstoß am Namen “Mazedonien”, da es territoriale Ansprüche vonseiten Skopjes auf die nordgriechische Region Makedonien befürchtete. Deswegen machte es den Beitritt seines nördlichen Nachbarn zur EU und zur NATO von einer zufriedenstellenden Regelung des Konflikts abhängig.
Ein Durchbruch in der Auseinandersetzung kam erst 2018 mit der Unterzeichnung des Prespa-Abkommens zustande, im Rahmen dessen sich beide Länder auf die Nutzung des Namens Republik Nordmazedonien einigten. Im Gegenzug zeigte sich Griechenland willens, dem Beitritt Skopjes zur EU und zur NATO keine Steine mehr in den Weg zu legen.
Nordmazedoniens Hoffnung, mit der Beilegung des Konflikts eine schnelle Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen erreichen zu können, wurde jedoch jäh enttäuscht: Trotz einer positiven Empfehlung der Kommission blockierten Frankreich und die Niederlande die Aufnahme der Gespräche. Während die Niederlande Bedenken bezüglich der erforderlichen Justizreformen und Korruption äußerten, forderte Frankreich eine allgemeine Reform der EU-Institutionen und Entscheidungsprozesse, bevor neue Mitglieder zugelassen werden können.
Selbst nachdem Skopje infolge einer diplomatischen Charme-Offensive die Bedenken seiner Skeptiker beschwichtigen konnte, tat sich in Form von Bulgarien eine neue Hürde auf. Sofia bezichtigte Nordmazedonien des Geschichtsrevisionismus und forderte eine Verfassungsänderung zur Anerkennung der bulgarischen Minderheit im Land. Zudem sprach es dem Mazedonischen den Status als eigenständige Sprache ab und nannte es stattdessen einen Dialekt des Bulgarischen. Diese Behauptungen wurden in Skopje als direkter Angriff auf die nationale Identität und Sprache wahrgenommen.
Die Streitigkeiten mit Bulgarien hüllten die Zukunftsperspektiven Nordmazedoniens in der EU weiter in einen Schleier der Ungewissheit, und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen wurde konsequent von bulgarischer Seite blockiert. Erst ein Kompromissvorschlag der französischen Ratspräsidentschaft Mitte 2022, im Rahmen dessen der Schutz der Rechte der bulgarischen Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung verankert werden sollte, konnte beide Seiten zusammenführen.
Innerer Widerstand
Der diplomatische Spießrutenlauf hinterließ Spuren in der nordmazedonischen Gesellschaft. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte 62.8% der Bevölkerung 2022 einen EU-Beitritt des Landes, verglichen mit 80% im Jahr 2014. Allerdings wurde dabei reichlich Selbstkritik geübt: 40,2% sahen den Grund für das Scheitern in innenpolitischen Schwächen, während weniger als halb so viele (19,2%) externe Faktoren dafür verantwortlich machten.
Auch auf politischer Ebene lagen die Nerven spürbar blank. In Hinblick auf den französischen Kompromissvorschlag betonte Premierminister Dimitar Kovačevski von der Sozialdemokratischen Liga (SDSM), dass jegliche Verfassungsänderungen erst nach Aufnahme der Beitrittsgespräche erfolgen sollten, da andernfalls die Möglichkeit bestehe, dass Bulgarien immer weitergehende Forderungen stellen würde. Nach Gesprächen mit der EU lenkte er allerdings ein und unterstützte den Vorschlag.
Die Zustimmung der nordmazedonischen Regierung zum Vorschlag führte zu massiven Protesten in Skopje und anderen Städten, wobei die Opposition und weite Teile der Zivilgesellschaft ihren Unmut darüber äußerten, dass die nationale Kultur, Identität und Sprache Teil der Beitrittsverhandlungen werden sollten.
Die schärfste Kritik hinsichtlich des französischen Vorschlages kam vonseiten der Oppositionspartei VMRO-DPMNE. „Wir brauchen Europa nicht, wenn wir assimiliert werden müssen“, sagte Hristijan Mickoski, damals noch als Oppositionsführer.. „Die Antwort lautet Nein zum jüngsten französischen Vorschlag.“ Die parlamentarische Abstimmung zum Vorschlag, bei der seine Befürworter eine Mehrheit erringen konnten, boykottierte die Partei.
Fehlende Mehrheit
Mit der Annahme des französischen Vorschlags konnten die EU-Beitrittsgespräche endlich beginnen. Um die notwendigen Verfassungsänderungen durchzuführen, ohne die sich Bulgarien weiterhin quer stellen würde, bedurfte es jedoch einer Zweidrittelmehrheit im Parlament (80 von 120 Stimmen), die von der VMRO-DPMNE mit ihren 44 Sitzen konsequent blockiert wurde. Über anderthalb Jahre befand sich das Land daraufhin in einer politischen Sackgasse, wobei die Opposition der Regierung immer wieder vorwarf, sich vor Bulgarien zu kapitulieren.
Die Unzufriedenheit mit dem stockenden EU-Beitrittsprozess, die “Kapitulation” vor den bulgarischen Forderungen und die grassierende Korruption im Land führten bei den folgenden Parlamentswahlen im Mai 2024 zu einem Erdrutschsieg der VMRO-DPMNE, die mit knapp 45% der abgegebenen Stimmen mit deutlichem Abstand stärkste Kraft wurde. Die Sozialdemokratische Liga unter dem bisherigen Premierminister Kovačevski stürzte derweil ab und verlor über 20% verglichen mit der Wahl davor.
Ungewisse Zukunft
Obwohl auch die neue Regierung unter Führung der VMRO-DPMNE den EU-Beitritt als eines seiner wichtigsten Ziele formuliert hat, wird jeglicher Fortschritt ohne ein entsprechendes Verfassungsreferendum nur schwer zu erreichen sein. In ihrer Wahlkampagne versprach die Partei, keine Zugeständnisse gegenüber den Forderungen Sofias zu machen.
Zudem riss die neu gewählte Präsidentin Gordana Siljanovska-Davkova, die ebenfalls der VMRO-DPMNE angehört, gleich zu Beginn ihrer Amtszeit alte Wunden auf, indem sie während ihrer Amtseinführung das Land “Mazedonien” statt “Nordmazedonien” nannte, was bei Nachbar Griechenland einige Federn aufrüttelte.
Skopje pocht weiterhin auf einen Start der Beitrittsverhandlungen, bevor es zu irgendwelchen Verfassungsänderungen kommt. Premierminister Mickoski hat diesbezüglich geäußert, er warte auf “die Wahl einer regulären Regierung” in Sofia, die das bulgarische Veto aufheben würde. Trotz der politischen Volatilität Bulgariens - in den letzten vier Jahren wurden insgesamt 7 Parlamentswahlen durchgeführt - ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine künftige Regierung von den Forderungen, die im französischen Vorschlag gestellt wurden, Abstand nehmen wird. Daher ist davon auszugehen, dass das nordmazedonische Bestreben, der EU beizutreten, auch in näherer Zukunft kaum vorankommen wird.
Runter vom absteigenden Ast
Dabei könnte die EU durch einen zügigen Beitritt Nordmazedoniens einige der Imagepunkte wiedergewinnen, die sie vor allem auf dem Balkan aufgrund des ewig dauernden Beitrittsprozesses eingebüßt hat. Viele der potenziellen Kandidaten fühlen sich im Stich gelassen und durch immer neue Bedingungen drangsaliert.
Gerade jetzt, wo das Thema der EU-Erweiterung aufgrund des Ukrainekrieges und anderer geopolitischer Spannungen erneut im Rampenlicht steht, würde die EU gut daran tun, aktiv die Wogen zwischen ihren skeptischen Mitgliedstaaten und den Beitrittskandidaten zu glätten sowie die Beitrittsgespräche zu beschleunigen. Ein baldiger Beitritt von Ländern wie Albanien, Nordmazedonien und anderen würde ein wichtiges Signal nach außen senden, dass die EU keineswegs auf dem absteigenden Ast ist und weiterhin ein attraktives Ziel für potenzielle Beitrittskandidaten darstellt.
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