Allmählich läuft in Deutschland der Wahlkampf an und die Parteien positionieren sich strategisch und inhaltlich für die Wahl im September. Vom Ergebnis wird auch ein Signal auf die europäische Ebene ausgehen, vor allem deshalb, da mit Martin Schulz erstmals ein Kanzlerkandidat antritt, dessen politischer Werdegang die Landes- und Bundespolitische Ebene ausgespart hat. Auch wird sich mit dieser Wahl entscheiden, ob der Vormarsch der Rechtspopulisten auf absehbare Zeit gestoppt werden kann.
Durch das Aufkommen (und den Abstieg) neuer Parteien in den letzten Jahren – die erneuerte Linke, die Piratenpartei, und schließlich die AfD – werden klassische Muster der Wahlabsichten und Koalitionsbildung aufgebrochen, sodass sich keine der Parteien auf Farbenspiele mehr einlassen möchte. Diese Vielfalt ist in einer parlamentarischen Demokratie gewünscht und Ausdruck politischen Wettbewerbs um die besten Inhalte und Kandidaten.
Auf europäischer Ebene findet dies seinen Ausdruck im Europäischen Parlament mit seinen nach Parteifamilien angeordneten Fraktionen. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass im Gegensatz zu nationalem Wahlkampf und medialen Debatten der Raum für grenzüberschreitende Diskussionen um europäische Themen fehlt. Nach wie vor findet die auf nationaler Ebene statt, sodass häufig national definiert wird was gesamteuropäische Interessen sind oder sein sollten (so etwa die Griechenland- und die Immigrationsdiskussion).
Um die 28 nationalen Diskurse um Europa aufzubrechen braucht es eine transnationale Bühne und Bündnisse, die die Vielfalt an Vorstellungen zum Ausdruck bringen und gemeinsame Lösungen für europäische Herausforderungen erarbeiten. Parteien auf europäischer Ebene können dabei eine wesentliche Rolle spielen indem sie politische Programme erarbeiten, die einen transnationalen Blick einnehmen und Politikangebote an eine europäische Wählerschaft richten. Eine Europäisierung des politischen Systems ist eine logische Folge verstärkter politischer Integration.
Das Positive: Es gibt bereits europäische Parteien, die jedoch den meisten Wählern allerdings unbekannt sein dürften. Dies liegt mitunter daran, dass sie in ihren Strukturen nach wie vor Föderationen aus nationalen Parteien sind, die ihre politischen Leitlinien zwischenparteilich aushandeln, allerdings wenig konkretere Arbeit zum aktuellen Politikgeschehen leisten (können). Für diese Aufgabe sind vielmehr die Fraktionen des Europaparlaments mit ihren politischen Mitarbeitern zuständig, die ihrerseits aber wenig Außenwirkung entfalten können. Kurzum: Die Kritik an der geringen transnationalen Struktur der Europäischen Union, die so zu sehr nationalstaatliche Interessen in das Zentrum rückt, trifft bislang ebenso auf europäische Parteien zu.
Dennoch kam es in den letzten Jahren zu wichtigen positiven Entwicklungen auf europäischer Ebene, sodass man Ansätze einer stärker organisierten Parteienlandschaft sehen kann. Nicht zuletzt hat das Europäische Parlament durch finanzielle Mittel dafür gesorgt, dass Europas Parteien eine dauerhafte Größe im politischen Konzert darstellen. Es lohnt sich also, sich näher mit den europäischen Parteifamilien und ihren Strukturen auseinander zu setzen.
Europas Parteien auf dem Vormarsch
Die Mehrheit der Europäischen Parteien fungiert bislang als Bündnis nationaler Parteien, wobei auch Parteien aus nicht-EU Ländern aufgenommen wurden. Eine rechtlich bindende Ausschließlichkeitsklausel gibt es nicht, sodass eine nationale Partei Mitglied in mehreren Europäischen Parteien sein kann. Für die Anerkennung als Europäische Partei durch das Europäische Parlament hingegen zählt lediglich, dass sie Mitgliedsparteien aus mindestens 7 EU-Ländern mit Mandaten in nationalen oder regionalen Parlamenten vorweisen kann. Ab dem kommenden Jahr wird es notwendig sein, mindestens einen Europaabgeordneten in den eigenen Reihen zu haben (diskutiert wird auch, diese Schwelle künftig auf 7 oder gar 21 Abgeordnete anzuheben).
Finanziell sind die Parteien im Gegensatz zu ihren nationalen Mitgliedern weit mehr auf staatliche Zuschüsse angewiesen, da die Mitgliedsbeiträge bei weitem nicht die Kosten decken können. Im Falle der Europäischen Parteien gewährt das Europaparlament diese Zuschüsse nach einem Verteilungsschlüssel, der unter anderem auch die Zahl der gewählten Abgeordneten berücksichtigt. In diesem Jahr belaufen sich die Zuschüsse auf einen Grundbetrag von etwa 300.000 Euro der durch die Anerkennung selbst ausgezahlt wird, dazu etwa 40.000 Euro für jeden Abgeordneten.
Hier kommt es allerdings zu Verzerrungen, da die nationale Parteizugehörigkeit eines Abgeordneten nicht notwendig die Verbindung zu einer Europäischen Partei festlegt. Zwar ist das in den meisten Fällen deckungsgleich, doch können in manchen Fällen Abgeordnete entscheiden, sich einer Europäische Partei nicht anzuschließen. Für die Europäischen Parteien heißt das auch, dass vor Beginn eines jeden Geschäftsjahres die Mitgliedschaft der Abgeordneten neu geklärt werden muss: Abgeordnete von Mitgliedsparteien haben im Grunde ein Abonnement, dass sich jährlich kündigen lässt; Abgeordneten ohne Parteizugehörigkeit oder von anderen Parteien steht es frei, sich auf die Liste einer Europäischen Partei einzutragen, wobei dieses Bekenntnis jährlich erneuert werden muss.
Wichtig ist festzuhalten, dass die Zugehörigkeit von Abgeordneten zu Europäischen Parteien soweit nichts mit den im Europäischen Parlament formierten Fraktionen zu tun hat – obgleich die Fraktionen meist entlang europäischer Parteifamilien geformt werden. Fraktionswechsel müssen daher nicht notwendig mit dem Ausscheiden aus einer Europäischen Partei einhergehen, ebenso wenig wie die nationale Parteizugehörigkeit festlegt, welcher Fraktion ein Abgeordneter angehören muss (die beiden AfD-Abgeordneten etwa sitzen in unterschiedlichen Fraktionen).
Wer mit wem: Parteien im Europäischen Parlament
Im laufenden Geschäftsjahr des Parlaments wurden 16 Europäische Parteien für Zuschüsse des Parlaments anerkannt und teilen sich einen Maximalbetrag von mehr als 30 Millionen Euro (wobei aufgrund weiterer Regelungen der tatsächliche finanzielle Anspruch häufig niedriger liegt). Von den 751 Europaabgeordneten sind 675 mit Europaparteien assoziiert, entweder als Teil ihrer nationalen Partei oder als individuelles Mitglied.
Die beiden größten Parteien sind dabei die konservative Europäische Volkspartei (EPP) sowie die Partei der Europäischen Sozialisten (PES). Beide dominieren zusammen nicht nur die Parteienlandschaft, sondern haben jeweils auch ihre eigene Fraktion (die S&D bei den Sozialisten), die lediglich um eine Handvoll unabhängiger Abgeordneter ergänzt wird. Mittelgroße Fraktionen setzen sich aus mehreren Europäischen Parteien zusammen, jedoch auch hier mit einer dominierenden Partei.
So wird die national-konservative und europaskeptische Allianz der Konservativen und Reformisten (ACRE), denen unter anderem die Britischen Tories und die Polnische PO angehören, in der Fraktion durch 5 Abgeordnete einer christlich-fundamentalistischen Partei (ECPM) ergänzt; die 13 Abgeordneten der zentristisch orientieren Europäischen Demokraten (EDP), denen unter anderem auch die Freien Wähler angehören, teilen sich eine Fraktion mit Guy Verhofstadts Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE); die Europäischen Grünen (EGP) haben sich in ihrer Fraktion mit Abgeordneten regionalistischer und teilweise separatistischer Parteien in der Europäischen Freien Allianz (EFA) zusammengetan, darunter auch zwei Abgeordnete der Partei der Schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon.
Anders verhält es sich an den Rändern des politischen Spektrums, wo es bislang schwierig war, Parteien mit verschiedenen Ideologien und Bestrebungen unter ein gemeinsames Zelt zu bekommen. In der Partei der Europäischen Linken (PEL) etwa reicht die Spannweite der Mitgliedsparteien von der eher sozialreformistisch eingestellten Linkspartei über die Griechische Syriza bis hin zur trotzkistischen französischen Kommunistischen Partei. Der Vereinigten Europäischen Linken (GUE/NGL), der fünftgrößten Fraktion im Europaparlament, gehören allerdings nur 33 der 52 Abgeordnete der PEL an.
Ein Defizit weißt auch die Allianz für Direkte Demokratie (ADDE) auf, die vor allem von der Britischen UKIP getragen wird und primär die Beseitigung der Europäischen Union zum Ziel hat. Nicht alle Abgeordneten der Brexit-Partei gehören auch der ADDE an, sodass die Partei ihr finanzielles Potential nicht ausschöpft. Hinzu kommt ein Skandal über Veruntreuung der Fördergelder, wodurch die Partei ihren Anspruch auf weitere Hilfen zu verlieren droht. Besser organisiert sind hingegen die Rechtsradikalen in der Bewegung für ein Europa der Nationen und der Demokratie (MENL) unter Führung des französischen Front National, der italienischen Lega Nord und der österreichischen FPÖ. Hatten sie zu Beginn der Wahlperiode noch Schwierigkeiten, eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament zu bilden (später gründete sich die ENF-Fraktion durch eine UKIP-Überläuferin), sieht es momentan danach aus, als wird sich diese Partei als feste Größe im Europäischen Parteiensystem etablieren können.
Fraktionen kommen und gehen, und häufig findet man Fraktionen vor, die eher Zweckbündnissen auf Zeit gleichen (die EFDD Fraktion mit der Fünf-Sterne-Bewegung und UKIP ist sicher so ein Konstrukt). Europäische Parteien jedoch sind gekommen um zu bleiben. Ein Indiz dafür ist, dass sie seit diesem Jahr eigene europäische Rechtspersonen darstellen und eine Behörde zur Kontrolle der Parteien eingeführt wurde. Auch werden sie künftig bei der Europawahl sichtbarer sein: Die vom Parlament vorgeschlagene Wahlrechtsreform sieht vor, dass die Logos von Europäischen Parteien nun bald auch Stimmzettel und Wahlplakate, Fernsehspots und Wahlprogramme zieren werden.
Hinweis: Unter www.partyeurope.eu kann bei Interesse die Zugehörigkeit von nationalen Parteien zu Europäischen Parteien und Fraktionen im Europäischen Parlament in einem eigens dafür erstellten Datensatz eingesehen werden.
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