Die internationale Bedeutung
Nach dem Ende der Sowjetunion erodierte Moskaus Machtstellung im postsowjetischen Raum, was es den westlichen Mächten ab Mitte der 1990er Jahre ermöglichte, in diese Region einzudringen. Von besonderem Interesse waren für die USA und große EU-Staaten wie Großbritannien und Frankreich dabei die reichen Öl- und Gasvorkommen Aserbaidschans, Turkmenistans, Usbekistans und Kasachstans. Um diese Energieressourcen auszubeuten und unter Umgehung Russlands in die Europäische Union zu transportieren müssen die kaspisch-zentralasiatischen Energieträger den Südkaukasus passieren. Für einen reibungslosen Transfer durch diese Region ist dort politische Stabilität erforderlich, die jedoch nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht gegeben war. In Folge der Unabhängigkeitserklärungen ehemaliger Sowjetrepubliken im Kaukasus, weitete sich die Instabilität aus. In Georgien brach 1992 ein brutaler Sezessionskrieg aus. Zwischen Armenien und Aserbaidschan kam es zur gleichen Zeit zum sogenannten „Ersten Krieg um Bergkarabach“ von 1991 bis 1994. Regionale Stabilität wurde unter anderem deswegen Ziel der Europäischen Union.
Die Ursprünge
Im frühen 20. Jahrhundert entstanden im Südkaukasus die Nationalstaaten Armenien und Aserbaidschan. Kurz nach ihrer Gründung begannen Konflikte um die Zugehörigkeit der Regionen Nachitschewan, Sangesur und Bergkarabach. Die junge Sowjetunion versuchte den Konflikt zu schlichten, indem sie Nachitschewan Aserbaidschan und Sangesur Armenien zuteilte. Die jeweiligen ethnischen Minderheiten wurden in der Folgezeit vertrieben. Bergkarabach wurde hingegen geteilt: Ein Drittel des Gebiets wurde zur autonomen Oblast innerhalb Aserbaidschans erklärt - wies jedoch eine armenische Bevölkerungsmehrheit auf. Weder die Karabach-Armenier*innen, noch die armenische Sowjetrepublik akzeptierten diese Entscheidung und drängten in den folgenden Jahrzehnten vergeblich auf die Angliederung der Oblast an Armenien. Mit dem endgültigen Zerfall der UdSSR Ende 1991 wurde dann die Frage der staatlichen Zugehörigkeit Bergkarabachs drängend. Die Armenier*innen dieses Gebiets lehnten es ab, im nun unabhängigen Aserbaidschan zu leben, und riefen die unabhängige Republik Bergkarabach aus. Im Gegenzug hob Baku die die Autonomie der Oblast auf. Armenien intervenierte daraufhin militärisch. Der Weg zum Krieg lag nun offen.
Karte des Kaukasus von 1951-1991 Foto: Soviet Caucasus map.svg:Hellerick (talk , contribs)derivative work: rowanwindwhistlerCC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der Bergkarabach-Krieg 1992-1994
Der sogenannte „Erste Bergkarabach-Krieg“ dauerte bis 1994 und forderte verschiedenen Schätzungen nach bis zu 30.000 Opfer und über 1 Millionen Vertriebene. Mithilfe Russlands gewann Armenien diesen ersten Großkonflikt. Der größte Teil der ehemaligen Autonomen Oblast wurde unter die armenische Autorität gestellt. Zudem wurde in sieben angrenzenden aserbaidschanischen Bezirken ein „Sicherheitspuffer“ eingerichtet. Kurzzeitig bestand sogar die Möglichkeit eines armenischen Angriffs auf Nachitschewan. Der Sieg Armeniens über das bevölkerungsreichere Aserbaidschan wurde unter anderem durch das innenpolitische Chaos in Baku ermöglicht. Hinzu kamen der Rüstungsvorsprung Armeniens und die militärische Unterstützung durch die Russische Föderation. Moskau nutzte diesen Konflikt, um Aserbaidschan dazu zu bewegen, sich der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) anzuschließen und russischen Militärstützpunkten auf seinem Territorium zuzustimmen. Die siegreichen Armenier*innen waren dabei mit großer Brutalität vorgegangen.
Jerewans Fähigkeit, Bergkarabach militärisch zu halten, hing in zunehmenden Maß von den Streitkräften Russlands ab
Dennoch ist diese Erbarmungslosigkeit nur vor dem Hintergrund der armenischen Geschichte zu verstehen: Der Armenische Genozid von 1915 prägt weiterhin das nationale Selbstverständnis Armeniens. Die Erinnerung an die brutalen Massaker und an den Verlust des zum Osmanischen Reiches gehörenden „Westarmenien“ intensivierte die armenische Angst vor einem neuen Völkermord und weiteren Gebietsverlusten.
Friedensbemühungen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)
Der blutige Krieg um Bergkarabach zog internationale Aufmerksamkeit auf sich. Daraus bildete sich die Minsk-Gruppe der OSZE, mit den federführenden Mächten Russland, den USA und Frankreich. Um die Situation zu deeskalieren, schlug die Gruppe vor, dass Armenien den „Sicherheitspuffer“ räumen und die Rückkehr der Vertriebenen ermöglichen sollte. Des Weiteren sollte Bergkarabach unter der Souveränität Aserbaidschans verbleiben, allerdings eine weitreichende Autonomie mit eigener Hymne, Flagge, Armee und Polizei erhalten.
Umstritten blieb aber, ob der armenische Rückzug aus Aserbaidschan parallel zur Festsetzung des endgültigen Status der ehemaligen Autonomen Oblast erfolgen sollte oder bereits davor, wie es Aserbaidschan forderte und Armenien ablehnte. Schließlich schlug im Jahr 2001 die Minsk-Gruppe vor, Bergkarabach samt Latschin-Korridor an Armenien anzuschließen und Aserbaidschan im Austausch dafür eine exterritoriale Verbindung durch Sangesur nach Nachitschewan zu gewähren. 2007 wurden die „Madrider Prinzipien“ vorgestellt, die ein Unabhängigkeitsreferendum für Bergkarabach vorsahen. Baku verlangte eine Abstimmung in ganz Aserbaidschan, Jerewan wollte das Referendum auf die Republik Bergkarabach begrenzen. Aufgrund dieser Uneinigkeit scheiterte der Vorschlag.
Die Rolle der Europäischen Union
Da die EU zu einer direkten Machtprojektion im Südkaukasus nicht in der Lage war, bemühte sie sich darum, die Staaten der Region über die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) diplomatisch an sich zu binden. Teil dieses Vorhabens war es, Jerewan und Baku zu einer friedlichen Übereinkunft zu bewegen: Bergkarabach sollte innerhalb des aserbaidschanischen Staates autonom werden. Doch auch diese Vermittlung schlug fehl. Besonders die Karabach-Armenier*innen lehnten jeden Kompromiss ab, der sie Aserbaidschan unterstellt hätte.
Poster in der Hauptstadt von Bergkarabach, Stepanakert Foto: Aufgenommen am 6. Mai 2016 von Clay Gilliland via flickr
Die militärische Lösung des Konfliktes
Der 1994 errungene armenische Sieg in Bergkarabach blieb ein Provisorium und wurde weder international noch von Aserbaidschan anerkannt. Baku lehnte es entschieden ab, auf rund 14% seines Staatsgebietes zu verzichten und erwog eine militärische Rückeroberung. In den folgenden fast 30 Jahren wuchs Aserbaidschan zu einer Energiemacht heran. Die Einkünfte aus dem Energiegeschäft investierte das Land zu großen Teilen in die Verstärkung seiner Armee. Armenien hingegen sah sich nach dem Sieg von 1994 aus den südkaukasischen Energiekorridoren ausgeschlossen und verarmte. Jerewans Fähigkeit, Bergkarabach militärisch zu halten, hing in zunehmenden Maß von den Streitkräften Russlands ab. Die „samtene Revolution“ im Jahr 2018 in Armenien und die außenpolitischen Veränderungen durch den Ukraine-Krieg führten dazu, dass der russische Schutz wegfiel. So konnte Aserbaidschans Militär schrittweise Bergkarabach zurückerobern, indem es zunächst eine Blockade über das Gebiet verhängte und es anschließend angriff. Die dortige Bevölkerungsmehrheit floh im September 2023 nach Armenien. Der Bergkarabach-Konflikt scheint damit sein vorläufiges Ende gefunden zu haben. nt damit sein vorläufiges Ende gefunden zu haben.
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