Interview mit Rita Maglio von „Better Birth Control“

„Verhütung soll kein großes Thema mehr sein.”

, von  Lima Fritsche

„Verhütung soll kein großes Thema mehr sein.”
Rita Maglio (links) und Jana Pfenning (rechts) haben Better Birth Control gegründet. Foto zur Verfügung gestellt von: Thilo Kunz Rita Maglio (links) und Jana Pfenning (rechts) haben Better Birth Control gegründet. Foto: Thilo Kunz

Die Studentin Rita Maglio ist eine der beiden Gründerinnen von Better Birth Control. Die Forderung der Kampagne: Verhütung muss besser für alle werden. Was sie in Deutschland gestartet haben, wollen sie nun auf EU-Ebene bringen.

treffpunkteuropa.de: Ihr habt Better Birth Control gegründet. Was muss sich denn an der aktuellen Verhütungs-Lage verbessern?

Rita Maglio: Wir haben das Jahr 2021. Die Pille ist seit 60 Jahren auf dem Markt und noch immer das meistgenutzte Verhütungsmittel. Sie schützt zwar zuverlässig vor ungewollten Schwangerschaften, die lange Liste an Nebenwirkungen ist aber unzumutbar. Bei anderen Methoden für Frauen sieht das nicht besser aus. Außerdem sind kaum Verhütungsmittel für Männer auf dem Markt. Verhütung muss endlich kostenlos, nebenwirkungsfrei und gleichberechtigt werden.

Wieso ist so lange nichts passiert?

Dabei spielen patriarchale Strukturen eine große Rolle. Die Pille kam damals auf den Markt, weil Frauen sich dafür eingesetzt haben. Männern war Verhütung nicht genauso wichtig, schließlich müssen sie bei einer Schwangerschaft nicht die gleichen Konsequenzen tragen wie Frauen. Sie haben in der Pille eine langfristige Lösung gesehen: Frauen hatten ja nun eine Möglichkeit, zu verhüten. Auch heute sind in den Pharmaunternehmen und in der Politik viele ältere Männer in den hohen Positionen. Verhütung ist allerdings ein Thema, was primär junge Menschen betrifft.

Denkst du, dass Männer überhaupt Interesse an neuen Verhütungsmethoden haben?

Ja, denn die Gesellschaft hat sich verändert. Eine Umfrage des Berliner Zentrums für Epidemiologie und Gesundheitsforschung aus dem Jahr 2005 zeigt, dass die Mehrheit der Männer mehr Verantwortung bei der Verhütung übernehmen wollen würde. Sie wollen ihre Partnerin entlasten und außerdem selbst kontrollieren können, wann sie ein Kind in die Welt setzen.

Warst du selbst mal mit einer Situation konfrontiert, in der du dir mehr Verhütungsmöglichkeiten gewünscht hättest?

Ich glaube, jede Frau kennt das Gefühl. Man zerbricht sich den Kopf darüber, wie man verhüten möchte, geht die Optionen durch und merkt, dass diese unzureichend sind. Hormonelle Methoden haben viele Nebenwirkungen. Das Kondom hat zwar keine Nebenwirkungen, dafür aber eine hohe Fehlerquote. Es muss nur beschädigt sein oder reißen und schon braucht man die Pille danach.

Also haben Jana und du im September 2020 Better Birth Control gegründet.

Genau. Wir haben uns noch vor Corona im Europäischen Parlament kennengelernt. Jana hat dort gearbeitet, ich habe ein Praktikum gemacht. Eines Abends waren wir zusammen mit Kolleg*innen was trinken und das Thema Verhütung kam auf. Männer und Frauen aller demokratischen Parteien waren dabei und sich einig, dass die aktuelle Verhütungs-Lage unbefriedigend ist. Wir haben uns gefragt: Wenn doch alle einer Meinung sind, warum passiert dann nichts? Daraufhin hat Jana recherchiert, ob es schon eine Interessenvertretung gibt, die sich für bessere Verhütung einsetzt. Sie wurde nicht fündig, also hat sie mich gefragt, ob wir das machen wollen. Im ersten Moment war ich etwas überrascht, habe ihr dann aber sofort zugesagt.

Wie lief der Gründungsprozess ab?

Jana und ich haben jede Woche telefoniert und uns Gedanken dazu gemacht, was wir genau erreichen wollen und wie wir das am besten angehen. Wir haben beschlossen, ein Team zusammenzustellen, das uns bei der Kampagne unterstützt. Im Januar 2021 haben wir unseren offiziellen Instagram-Account und die Petition online gestellt. Better Birth Control hat von Anfang an viel Aufmerksamkeit bekommen. Das liegt an unseren prominenten Unterstützer*innen (Anm. d. Red.: wie Influencerin Louisa Dellert, Comedian “El Hotzo” und Politiker Kevin Kühnert), vor allem aber daran, dass viele Leute unsere Meinung teilen.

Mittlerweile haben über 90.000 Menschen (Anm. d. Red.: 100.000) eure Petition unterschrieben, die an Gesundheitsminister Spahn, Familienministerin Giffey und die Pharmaindustrie gerichtet ist. Was erhofft ihr euch davon?

Wir wollen erstmal mit den Adressat*innen unserer Petition ins Gespräch kommen. Unser politisches Ziel ist aber auch, Verhütung in die Parteiprogramme aller demokratischen Parteien zu bekommen, damit das Thema bei der Bundestagswahl 2021 eine größere Rolle spielt.

Stellt ihr auch konkrete Forderungen an die Politik und die Pharmaindustrie?

Die Petition ist ideell gedacht. Wir wollen den Austausch zwischen Politik, Gesellschaft und Pharmaindustrie starten und das Thema in den Köpfen der Menschen platzieren. Für den Moment stellen wir also erstmal vage Forderungen, die wir mit der Zeit aber konkretisieren werden - gerade, wenn es um finanzielle Fragen geht. Das muss im Austausch mit Wissenschaft und Politik geschehen.

In einem Interview mit der taz habt ihr gesagt, dass es eins eurer nächsten Ziele ist, die Kampagne auf EU-Ebene zu bringen.

Wir versuchen das Thema aktuell durch Gespräche mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments in die relevanten Ausschüsse zu bekommen: sowohl in den Gesundheitsausschuss als auch den FEMM-Ausschuss für Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. Außerdem wollen wir, dass die Europäische Kommission sich mit Verhütung beschäftigt. Ob man schon in den nächsten Jahren mit einer europapolitischen Lösung rechnen kann, ist aber fraglich. Der neue EU-Haushalt wurde gerade erst beschlossen, es stehen demnächst erstmal keine Gelder zur Verfügung.

Ist die Verhütungs-Lage in anderen EU-Ländern vergleichbar mit der in Deutschland?

Europa ist vielfältig, demnach gibt es Unterschiede. In einigen Ländern müssen sich Frauen immer noch dafür einsetzen, ihre Schwangerschaft abbrechen zu dürfen, es gibt aber auch Positiv-Beispiele. In Frankreich ist Verhütung zumindest teilweise kostenlos. Trotzdem: Allein, dass es europaweit nicht wirklich im Bereich der Verhütung geforscht wird, zeigt, dass Europa noch viel nachholen muss.

Angenommen, eure Kampagne ist erfolgreich. Wie würde die Welt in ein paar Jahren aussehen?

In ein paar Jahren wird sie vermutlich noch genauso aussehen wie jetzt. Studien brauchen ihre Zeit, wenn dabei pharmazeutische Produkte mit möglichst wenig Nebenwirkungen entstehen sollen. Wir hoffen, dass Verhütung irgendwann kein großes Thema mehr ist. Alle sollen ohne negative Folgen, ohne finanzielle Barrieren und ohne Angst vor ungewollten Schwangerschaften ihre sexuelle Freiheit ausleben können.

*Ntr. d. Red.: Im Text wird eine sehr binäre Sprache verwendet. Nicht alle Menschen, die schwanger werden können, sind Frauen und nicht alle Menschen, die Spermien produzieren, sind Männer. Better Birth Control setzt sich für bessere Verhütung für alle Menschen ein.

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