Update US-Wahl: Keine gute Ausgangslage für Trump

, von  Marco Bitschnau

Update US-Wahl: Keine gute Ausgangslage für Trump
Nate Silver, ehemaliger Hofstatistiker der New York Times rechnet Hillary Clinton eine Wahlchance von derzeit 86,6% aus © Ted Eytan /Flickr/ CC 2.0-Lizenz

Noch gut drei Wochen sind es bis zum politischen Großereignis des Jahres: Mit der 58. Präsidentschaftswahl am 8. November wird entscheiden, wer die Supermacht USA die nächsten vier Jahre anführen wird. Aber wie geht das nochmals genau? Und wie ist die Ausgangslage für die beiden Kandidaten? Willkommen zum wöchentlichen treffpunkteuropa-Wahlupdate.

Diese Wahl mag nicht in Europa stattfinden aber das heißt nicht, dass sie Europa nicht unmittelbar betrifft. Denn ob im kommenden Januar der New Yorker Immobilientycoon Donald Trump oder die ehemaligen First Lady und Außenministerin Hillary Clinton schon bald die Nachfolge des scheidenden Präsidenten Barack Obama antreten wird, wird nicht nur die US-Politik der nächsten vier Jahre beeinflussen. Vielmehr ist es eine Richtungswahl mit globaler Signalwirkung; gewissermaßen ein Kondensat der überall auf der Welt zutage tretenden politischen Rupturen zwischen kulturkämpferischen Populisten, Chauvinisten und Neo-Isolationisten auf der einen und Anhängern einer freien und offenen Gesellschaft auf der anderen Seite. Der Wahlkampf in den USA stellt in diesem Sinne nur eine Variation dieses Themas dar - allerdings eine von erheblicher Sprengkraft.

Rekurs: Wahlmänner, Swing States, Kongressmehrheit

Schauen wir uns heute zunächst noch einmal die Funktionsweise des Ganzen an. Das US-amerikanische Präsidialsystem kennt nämlich so manche Eigenheiten und Sonderwege, die sich bei der Präsidentschaftswahl von ihrer schönsten aber manchmal auch verworrensten Seite zeigen. Die Grundstrukturen sind dabei eigentlich recht einfach: Beide Kandidaten kämpfen um eine Mehrheit von 270 der insgesamt 548 Wahlmänner, die sich auf die 50 Einzelstaaten und den District of Columbia verteilen. Die Anzahl der Wahlmänner pro Staat wird dabei über die addierte Anzahl aller Kongressabgeordneten aus besagtem Staat bestimmt, changiert also zwischen 3 (1) und 55. Weiterhin gilt das „Winner-takes-it-all“-Prinzip - wer auch immer die meisten Stimmen in einem Staat erreicht, bekommt alle dem Staat zugewiesenen Wahlmännerstimmen zugeschlagen. Der Verlierer geht dagegen leer aus. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt lediglich für Maine und Nebraska, wo neben dem staatweiten Ergebnis auch das der jeweiligen Einzeldistrikte mit einbezogen wird. So gewann etwa der Republikaner John McCain bei der Präsidentschaftswahl 2008 eine deutliche Mehrheit im ländlichen Nebraska, musste sich aber im Wahlbezirk NE-02 rund um die größte Stadt Omaha seinem Konkurrenten Obama knapp geschlagen geben. Am Ende schlugen somit vier Stimmen für McCain und eine für den künftigen Präsidenten zu Buche.

Allerdings kann man bei vielen Staaten ob der Demographie, der politischen Kultur oder der Geschichte recht genau prognostizieren, wie sie aller Voraussicht nach abstimmen werden. Die, bei denen man es nicht immer genau sagen kann sind dagegen als Swing States bzw. als Battleground States bekannt: Staaten, die je nach politischer Großwetterlage mal so und mal so abstimmen und damit letztendlich für die eigentliche Wahlentscheidung sorgen. Der Begriff ist allerdings nicht selten reichlich irreführend und kann zu Verwirrung führen, impliziert er doch eine gewisse Statik, die nicht immer mit der Realität übereinstimmt. So wird New Hampshire beispielsweise hierzulande gerne als Swing State gelistet, ist aber seit 1992 nur ein einziges Mal ins republikanische Lager gewechselt. Ähnliches gilt für Pennsylvania, das stählerne Herz Amerikas mit den Industriestädten Pittsburgh und Philadelphia, das im selben Zeitraum gar ausschließlich demokratisch votierte. Und in Colorado oder Virginia - Staaten, die unter wohlmeinenden Deutschen in keiner Swing-State-Aufzählung fehlen dürfen - haben jüngste Umfragen teils zweistellige Vorsprünge für Clinton gemessen (2), während Trump seit Anfang August selbst im konservativen Texas nur zweimal um mehr als fünf Prozentpunkte vorne lag. Was also genau Swing State ist und was nicht bleibt in aller Regel dem Betrachter überlassen und kann durchaus auch raschen Veränderungen unterworfen sein.

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Um all diesen Exotika noch einen weiteren Umstand hinzuzufügen, sei angemerkt, dass am 8. November nicht nur Präsidentschaftswahlen stattfinden. Auch die Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus finden parallel statt, bei erstem wird ein Drittel der Mitglieder neu bestimmt (Class 3), bei zweitem dagegen steht sogar die Besetzung aller 435 Sitze auf dem Prüfstand. Hinzu kommen Gouverneurs- und etliche andere Ämterwahlen. Auf Deutschland übertragen hieße das in etwa, dass wir zur gleichen Zeit eine Direktwahl des Kanzlers, des Bundestages, einer Handvoll Ministerpräsidenten und eines hyperpotenten Bundesrates hätten, von den kommunalen Wahlämtern ganz zu schweigen. Ein Umstand, den man als interessierter Beobachter dringend im Auge behalten sollte. Schließlich haben gerade die Ergebnisse aus den beiden Häusern für die Präsidentschaft eine unmittelbare Relevanz, denn auch das höchste Amt im Staat ist in den USA alles andere als ein politischer Persilschein zum „Durchregieren“ - Senat und Repräsentantenhaus verfügen über so manche tückische Daumenschraube. Sollte ein republikanisch dominierter Kongress nicht mitspielen, dann wird beispielsweise auch eine Präsidentin Clinton ihre liebe Mühe damit haben, das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP doch noch durchzuwinken. Und umgekehrt wird selbst ein Präsident Trump Probleme mit dem Bau seines angedachten Grenzwalls bekommen, sollte ein überwiegend demokratischer Kongress sich weigern, die dafür erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen (es sei denn natürlich, dass die Kosten doch noch jemand anders übernimmt...). Im unwahrscheinlichen Fall, dass es in Sachen Wahlmännerergebnis zu einem Gleichstand kommt (269 - 269), steht dem Kongress sogar die Aufgabe zu, Tiebreaker zu spielen und Präsident (Repräsentantenhaus) sowie Vizepräsident (Senat) selbst nach eigenem Ermessen unter allen Kandidaten auszuwählen. Je nach Machtverhältnissen könnte es dann sogar zu einer gemischten Kombination Trump/Kaine, Clinton/Pence oder sogar zu einer Berücksichtigung des libertären Kandidaten Gary Johnson kommen.

Trump nur mit Außenseiterchancen

Aber das ist letztlich eine eher akademische Diskussion. Stand jetzt gibt es im US-Wahlkampf nämlich zwei große Leitmotive, was die Wahlchancen der beiden Kontrahenten anbelangt: Zum einen geht die Volatilität des Wahlausgangs langsam aber sicher zurück. Immer mehr Menschen ergreifen Partei für Trump oder Clinton, was die Zahl der Unentschlossenen und der Drittparteiwähler (Libertäre, Grüne, Konstitutionalisten) sinken lässt und zu einem höheren Maß an Sicherheit und narrativer Kohärenz führt. Zum anderen wird derzeit immer deutlicher, dass Donald Trump keine große Chance auf den Einzug ins Weiße Haus mehr hat. Das mag hart klingen, entspricht aber im Großen und Ganzen einem komplexen Puzzle aus Wahlumfragen auf Bundes- und Einzelstaatsebene, Beliebtheitswerten, wirtschaftlichen Rahmendaten, verfügbaren Finanzmitteln, und dem Organisationsgrad der jeweiligen Kampagne. Keiner dieser Punkte spricht für den schimpfenden Republikaner, jeder dagegen für seine routinierte Herausforderin. Nate Silver, ehemaliger Hofstatistiker der New York Times rechnet Hillary Clinton auf seinem (sehr lesenswerten) Portal Fivethirtyeight.com sodann auch eine Wahlchance von derzeit 86,6% aus (3) ; über die Woche hinweg schwankte der Wert zwischen 82% und 87%. Tendenz: Noch weiter aufwärtsgehend. Auch der Wettmarkt schließt sich diesem Urteil grundsätzlich an und weist Clinton eine erquickliche Siegchance von 81% (PredictIt) beziehungsweise Quoten zwischen 1.17 und 1.22 (BetFair) zu.

Verglichen mit nahezu allen anderen Präsidentschaftsduellen der letzten 25 Jahre sind das absolut erdrückende Werte, die bei Trump noch von Dutzenden Skandalen und Skandälchen flankiert werden. Allein im letzten halben Jahr hatte der gebürtige New Yorker schließlich nicht nur zu allerhand politischen Gehässigkeiten ausgeholt, sondern auch mit mutmaßlicher Steuerflucht in großem Stil, Betrugsvorwürfen (Trump University), wüsten Beleidigungen und aggressiven Tweets von sich Reden gemacht. Der letzte Tiefschlag war ein sexistisches Videotape aus dem Jahr 2005, das auch innerhalb der eigenen Partei zu einem Sturm der Entrüstung geführt hatte und Trump insbesondere bei einer zentralen Wählergruppe - Frauen - noch weiter in Misskredit zu bringen wusste. Ob hochrangige Parteifunktionärinnen oder gebildete Republikanerinnen aus den Speckgürteln von Atlanta, Charlotte, Columbus oder Phoenix, sie alle haben die, pardon, Schnauze gestrichen voll von der Misogynie und Uneinsichtigkeit ihres Kandidaten. Dazu kommen immer mehr Desertationen und Distanzierungen von hochrangigen Republikanern, ein abfallender Enthusiasmus in der eigenen Parteibasis und die gefährliche Tendenz, dass die illustren Großspendern der Partei sich mehr und mehr scheuen, konkurrenzfähige Beträge in eine so offenkundige verloren scheinende Sache zu investieren. Zuletzt war ein solches Muster 1996 beim Wahlkampf von Bob Dole zu sehen gewesen und hatte am Ende zu einer krachenden Niederlage desselbigen geführt. Der Name seines damaligen Rivalen um den Platz im Oval Office? Clinton.

Dennoch hat Trump natürlich noch immer eine theoretische Wahlchance, so klein sie auch sein mag. Der Election Forecast der New York Times hat dazu ein nettes Pfadmodell mit den vermutlich wahlentscheidenden Staaten entwickelt. Im Endeffekt muss der 70-Jährige sich dabei vor allem Florida (NYT: 78% Clinton) sichern und North Carolina verteidigen (NYT: 66% Clinton). Dann könnte er etwa mit einer Kombination aus Siegen in Ohio (NYT: 63% Clinton), Iowa (NYT: 55% Clinton), Nevada (NYT: 76% Clinton) und New Hampshire (NYT: 89% Clinton) doch noch ans Ziel kommen. Es hat sicherlich schon leichtere Wege zur Präsidentschaft gegeben. Aber zumindest die Chance ist da. Noch. Am Mittwoch findet um 3 Uhr nachts deutscher Zeit die dritte und letzte Debatte in den Räumlichkeiten der University of Nevada in Las Vegas statt. Für Clinton wird es dabei um die Frage gehen, ob aus der Pflicht eine Kür gemacht werden kann. Für Trump geht es dagegen schon jetzt um Alles oder Nichts.

(1) Drei Wahlmänner als Mindestanzahl setzt sich aus der Anzahl der Senatoren (jeder Staat stellt zwei) und der Vertreter im Repräsentantenhaus (mindestens einer) dar. Allerdings stehen als Ausnahme von der Regel auch dem District of Columbia drei Wahlmänner zu, der bekanntlich im Kongress überhaupt nicht vertreten ist. Die US-Überseegebiete (Puerto Rico & Co.) gehen dagegen leer aus; sie erhalten keinen einzigen Wahlmann.

(2) So z.B. für Virginia: 44% Clinton - 29% Trump (Christopher Newport University; 16.10.) oder 46% Clinton - 34% Trump (Hampton University; 28.09.-02.10.) und für Colorado: 44% Clinton - 33% Trump (Keating Research; 27.-29.09.) und 49% Clinton - 38% Trump (Monmouth; 29.09.-02.10.).

(3) Stand: 16.10.16, 22:30 Uhr EDT

Ihr Kommentar
  • Am 20. Oktober 2016 um 10:38, von  mister-ede Als Antwort Update US-Wahl: Keine gute Ausgangslage für Trump

    Ich würde wetten, dass Trump nach seiner Zeit als US-Präsident nicht Berater der Deutschen Bank wird. Aber wer würde darauf wetten, dass Juncker (EVP) nicht wie Barroso (EVP) oder Kroes (ALDE) bei einer US-Bank anheuert?

    Ich glaube, das ist ein Hauptgrund, warum die Bürger mittlerweile lieber Leute wie Trump wählen und nicht mehr die Junckers, Barrosos und die anderen Kroesusse dieser Erde. Wenn Sie anderer Meinung sind, freue ich mich auf Ihre Gegenargumente.

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