Überprüft: vier Vorurteile zum Europawahlkampf

, von  Vincent Venus

Überprüft: vier Vorurteile zum Europawahlkampf
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

2014 war alles anders. Bei den Europawahlen wählten die Bürger zum ersten Mal indirekt den EU-Kommissionspräsidenten - eine Chance für die Parteien, endlich den Wahlkampf ernst zu nehmen. Oder? Vincent Venus untersucht vier Vorurteile zum Wahlkampf und stößt dabei auf eine Überraschung.

Die Parteien nehmen die Europawahl nicht ernst. So lautete bei den vergangenen Wahlen der Vorwurf der Pro-Europäer. 2014 sollte dies anders werden: “Diesmal geht’s um mehr” verkündete das Europäische Parlament in seiner Mobilisierungskampagne und spielte damit vor allem auf das Amt des Kommissionspräsidenten an, das zum ersten Mal direkt mit der Europawahl verknüpft wurde. Wurden die Parteien diesem gesteigerten Wert gerecht? Das untersuche ich in meiner Masterarbeit anhand der Wahlkampfstrukturen und Wahlkampfkommunikation. Dabei zeigen sich einige Vorurteile bestätigt, aber es gibt auch Überraschungen.

1. Die Parteien knausern beim Europawahlkampf.

Das stimmt. Die CDU gab beim Bundestagswahlkampf 20 Millionen Euro aus, aber der Europawahlkampf war ihr nur 10 Millionen Euro wert (alle Werte für die Bundesparteien). Bei der SPD wurde noch mehr gespart: statt 23 standen nur 10 Millionen zur Verfügung. Selbst die pro-europäischen Grünen gaben nur 40 Prozent des Budgets für Europa aus: statt 4 nur 1,6 Millionen. Einzig Die Linke zeigte sich spendabel: 3,3 Millionen Euro investierte sie in den Europawahlkampf, das sind 73 Prozent der 5 Millionen für den Bundestagswahlkampf. Die Budgets sind derart niedrig, dass die Parteien sogar an der Europawahl verdienen! Denn pro Stimme erhalten sie 70 bis 85 Cent Wahlkampfkostenrückerstattung vom Staat. Laut FAZ nahm die CDU so 2009 28 Millionen und die SPD 19 Millionen ein.

Im Vergleich zur Europawahl 2009 sanken die Budgets der sechs großen Parteien sogar noch weiter. Es gibt jedoch einen Lichtblick: Laut meinen Berechnungen gaben die Parteien relativ gesehen mehr Geld für Europa aus. Denn nicht nur die Budgets der Europawahl sanken im Vergleich, sondern auch die der Bundestagswahl 2013 – und das stärker. Relativ zur nächsten Bundestagswahl gaben Grüne, SPD und die Linke im Vergleich zu den Wahlen 2009 mehr aus, die CDU gleich viel. Nur die FDP reduzierte ihren Anteil, was bei der Krise der Partei nicht verwundert.

2. Die Parteien verschweigen die Europawahl.

Nein. Keine der Parteien hat die Europawahl ignoriert, aber es zeigen sich klare Unterschiede. Um die Prominenz der Europawahl festzustellen analysierte ich alle Pressemitteilungen und Facebook-Posts der letzten fünf Wochen vor der Wahl. Dabei kam heraus, dass die CDU in allen ihrer 32 Beiträge auf Facebook die Europawahl thematisierte. Platz zwei belegt die SPD: 31 von 35 Posts waren europabezogen, das macht 89 Prozent. Nur Die Linke beschäftigte sich nur in wenigen ihrer Beiträge mit Europa (9/21 also 43 Prozent). Bei den Pressemitteilungen zeigt sich ein ähnliches Bild: relativ gesehen die CDU ist vorne, Die Linke hinten. Absolut haben allerdings SPD und FDP am meisten zu Europa veröffentlicht.

3. Die SPD setzte auf ihren Spitzenkandidaten, die CDU versteckte ihn.

Eher ja. Die SPD setzte tatsächlich voll auf Schulz, aber die CDU hat Jean-Claude Juncker nicht völlig versteckt. Um den Personalisierungsgrad der Wahlkampagnen festzustellen schaute ich mir neben Facebook-Posts und Pressemitteilungen auch noch die Poster und Wahlkampfspots an. Bei der SPD war Martin Schulz das Gesicht des Wahlkampfs: in Zweidrittel aller Facebook-Posts wurde er erwähnt oder gezeigt, und bei den Pressemitteilungen zur Europawahl waren es sogar Dreiviertel. Bei den Plakaten schaute er einen immerhin von jedem dritten Motiv an. Der Wahlwerbespot gar zeigt in jedem seiner 65 Sekunden Martin Schulz.

Das Gesicht der Kampagne: Martin Schulz

https://www.youtube.com/watch?v=T8Sbl_DksfY&list=PL85IMmq0WVlTQcvl_YVpQn0dSN0Zk8y5g&index=2

Da kann die CDU zwar nicht mithalten, aber Jean-Claude Juncker kam durchaus vor: in jedem vierten Facebook-Post und in drei von fünf Pressemitteilungen zur Europawahl. Doch bei den Plakaten und im TV-Spot spielt er keine Rolle. Bei diesen beiden reichweitenstärksten Medien setzte die CDU auf Themen – und auf Angela Merkel.

Der CDU-Spot

4. Die CSU setzte auf nationale Politiker und Themen wogegen die Grünen die Pan-Europäer schlechthin waren.

Ersteres Vorurteil wurde bestätigt, letzteres nicht. Die CSU erwähnte Jean-Claude Juncker weder auf Facebook, noch in einer Pressemitteilung. Stattdessen: Horst Seehofer. Der Bbayerische Regionalpolitiker bestimmte alle untersuchten Kommunikationskanäle. Die eigenen Europakandidaten kamen lediglich in der Hälfte aller CSU-Posts zur Europawahl vor und wenn, dann oft im Nebensatz nach Horst Seehofer.

93 Sekunden Seehofer

Von den Grünen war im Vorfeld genau das Gegenteil erwartet worden. Denn zum einen sind die Grünen europäisch ausgerichtet und zum anderen kommt mit Ska Keller eine der beiden Grünen Spitzenkandidaten aus Deutschland. Doch dem war nicht so. Ska Keller wurde nur ein einziges Mal auf Facebook erwähnt, und in den Pressemitteilungen, Postern und im TV-Spot kam sie gar nicht vor. Zwar setzten die Grünen nicht auf eine Personalisierung des Wahlkampfs, aber das sie sich kaum von der regionalistischen CSU abheben ist eine Überraschung.

Der einzige Post in dem Ska Keller vorkam:

Europawahl ist bestimmendes Thema

Die Bundesparteien gaben wenig aus für den Europawahlkampf, aber relativ gesehen mehr im Vergleich zu 2009. Die Europawahl war für alle Parteien bis auf Die Linke das bestimmende Thema. Die SPD setzte voll auf die Personalisierung des Wahlkampfes mit ihrem europäischen Spitzenkandidaten, die CDU deutlich weniger und die anderen Parteien fast gar nicht. Die CSU bestätigte das Vorurteil, das sie eine regionalistische Partei ist, und die Grünen konnten die pan-europäischen Erwartungen nicht erfüllen.

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