"Auf den ersten Blick scheint die Abschaffung von Kernwaffen eine hoffnungslose Sache zu sein. Die Abrüstungskonferenz von Genf war über Jahre wie gelähmt. Der Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty) steckt in einer Krise. Die großen Atommächte weigern sich, in umfassende Verhandlungen zum Abbau von Kernwaffen einzutreten und boykottieren sogar internationale Treffen, deren Ziel es ist, die Aufmerksamkeit der Welt auf die katastrophalen humanitären Konsequenzen der Nutzung von Kernwaffen zu lenken. Die Atommächte zeigen der Welt die kalte Schulter: Kein schöner Ausblick.
Aber schauen wir etwas tiefer in das Thema. Zwei Drittel der Staaten auf der Erde haben sich dafür ausgesprochen, Verhandlungen über ein globales Verbot von Kernwaffen anzustoßen. Vor etwa zwei Wochen trafen sich Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Aktivisten aus 146 Nationen in Nayarit, Mexiko, um die erschütternden Auswirkungen zu untersuchen, die eine nukleare Detonation auf Gesundheit, Wirtschaft, Umwelt, Nahrungsversorgung und Transport haben würde - sei sie versehentlich oder gewollt. Eine internationale UN-Konferenz zu nuklearer Abrüstung auf höchster Ebene wird 2018 folgen und der 26. September fortan dem Internationalen Tag für die vollständige Abschaffung der Atomwaffen gewidmet sein.
Der Zeitgeist steht gegen den Besitz, nicht erst die Nutzung, von Kernwaffen durch jedweden Staat. Die Atommächte versuchen, diesen Trend aufzuhalten, bevor er Fahrt aufnimmt, aber sie können die Veränderung nicht stoppen, die sich nun in der Weltgeschichte abzeichnet.
„Der Zeitgeist steht gegen den Besitz von Kernwaffen“
Die Bewegung zum Abbau von Kernwaffen ist stärker als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn zunächst musste das Bewusstsein für das Thema geweckt werden. Mit dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt und einem neuen Verständnis von der Selbstverständlichkeit der Menschenrechte findet ein Zusammenwachsen der Menschheit statt. Wir kennen einander nun nicht nur trotz größter Entfernung, wir wissen auch um die Bedeutung, die wir füreinander haben, um unser gemeinsames Überleben zu sichern. Die neue Bedeutung der menschlichen Lebensbedingungen und des Zustandes unseres Planeten zeigt sich in Programmen wie den Millennium-Entwicklungszielen. Hier erwacht ein globales Bewusstsein.
Dies hat bereits jetzt einen großen Fortschritt für die Menschheit gebracht: die wachsende Erkenntnis im öffentlichen Bewusstsein, dass Krieg sinnlos ist. Der Drang nach Krieg und seiner Rechtfertigung schwindet. Dies schien noch im 20. Jahrhundert unmöglich zu sein, vom 19. ganz zu schweigen. Die öffentliche Ablehnung von Krieg als Mittel zur Lösung von Konflikten - zuletzt eindrucksvoll zu sehen bei der Frage der militärischen Intervention in Syrien - hat enorme Auswirkungen darauf, wie eine Gesellschaft ihre Angelegenheiten zu regeln vermag. Die Doktrin der Schutzverantwortung (Responsibility to protect doctrine, R2P) wird neu hinterfragt, darin inbegriffen die Bedrohung, die sich aus dem Besitz von Kernwaffen ergibt, um zu bestimmen, wann sie eingesetzt werden kann, um Leben zu schützen.
Ich sage keine globale Harmonie voraus. Die Tentakel des militärisch-industriellen Komplexes sind noch immer zu stark. Zu oft zaudern politische Führungen. Lokale Krisen können nach wie vor katastrophale Ausmaße annehmen. Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Doch wir haben schon zuvor Gelegenheiten verpasst, insbesondere den Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges. Vorausschauende politische Führungspersönlichkeiten hätten die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und begonnen, die Strukturen einer neuen Weltordnung aufzubauen. Ich sage, dass die Welt endlich, nach den bitteren Erfahrungen der Kriege in Afghanistan und Irak, zur Vernunft gekommen und auf einem Weg ist, der zwischenstaatliche Kriege zu einem Relikt der Vergangenheit machen kann.
Zwei Faktoren führen zu besseren Aussichten für den Weltfrieden: Rechenschaftspflicht und Vorbeugung. Man hat nie viel dazu gehört, inwiefern Regierungen gegenüber einer Öffentlichkeit ihre Taten in der großen Frage von Krieg und Frieden verantworten. Nun, mit der Verbreitung der Werte der Menschenrechte, ziehen zivilgesellschaftliche Aktivisten ihre Regierungen zur Verantwortung in der Frage nach einer weltweiten Strategie für die Entwicklung der Menschheit. Diese weltweiten Strategien, sichtbar in vielen Bereichen von Völkermordprävention bis zur Einbindung von Frauen in Mediationsprojekte, fördern Konfliktprävention.
„Atomwaffen und Menschenrechte sind unvereinbar“
Diese neue Ebene verleiht der Debatte um nukleare Abrüstung neue Kraft. Zunehmend werden Kernwaffen nicht mehr als Mittel zur Gewährleistung staatlicher Sicherheit empfunden, sondern als Bedrohung der Sicherheit von Menschen. Immer mehr wird klar, dass Kernwaffen und Menschenrechte nicht gemeinsam auf dem Planeten existieren können. Doch die Regierungen tun sich schwer mit der Umsetzung einer Politik, die auf dem neuen Verständnis der Anforderung an Sicherheit für Menschen fußt. Daher leben wir immer noch in einer Zwei-Klassen-Welt, in der die Mächtigen sich das Recht auf Kernwaffenbesitz anmaßen, während sie eben jenes anderen Staaten verwehren. Wir sehen uns mit der Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen konfrontiert, weil die großen Atommächte es ablehnen, ihre Autorität auszuüben, um einen spezifischen Beschluss zu erwirken, mit dem alle Kernwaffen verboten werden. Damit untergraben sie die Erklärung des Internationalen Gerichtshof von 1996, der forderte, dass jede Drohung oder Nutzung von Kernwaffen immer illegal sein müsse und alle Staaten die Pflicht hätten, die nukleare Abrüstung weiter zu treiben.
Diese Argumentation unterstützt nun eine weltweite Bewegung, die gerade damit beginnt, einen diplomatischen Prozess in Gang zu setzen, mit dem atomare Abrüstung auch ohne die direkte Kooperation der Atommächte möglich sein soll. Die Konferenz von Nayarit und das Folgetreffen in Wien Ende 2014 stellen den Anfang dieses Prozesses dar. Regierungen, die um ein umfassendes Verbot von Kernwaffen bemüht sind, müssen sich nun entscheiden: Fangen sie diplomatische Verhandlungen an, ohne auf die Atommächte Rücksicht zu nehmen oder schränken sie ihre Ambitionen ein, indem sie innerhalb der Grenzen des Atomwaffensperrvertrages und der Abrüstungskonferenz arbeiten, wo die Atommächte dauernd ihrem Einfluss geltend machen.
Nach meiner Erfahrung ist es vorzuziehen, einen Prozess in Gang zu setzen, in dem Staaten mit ähnlichen Interessen Vorbereitungen mit dem Ziel völkerrechtlicher Verbindlichkeit beginnen. Das erfordert, die rechtlichen, technischen, politischen und institutionellen Anforderungen einer kernwaffenfreien Welt zu identifizieren, um die Grundlagen für die Verhandlungen zum Verbot von Kernwaffen zu legen. Daraus wird ohne Zweifel ein langer Prozess. Aber die Alternative, ein schrittweiser Prozess, würde weiterhin von den Atommächten lahmgelegt, die jedweden bedeutenden Fortschritt seit dem Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrages 1970 verhindert haben. Ich dränge die Parlamentarier, ihren Zugang zur Macht zu nutzen und in jedem Parlament der Welt eine Resolution zu verabschieden, die den sofortigen Beginn mit der Arbeit an einem globalen Rahmen zum Verbot der Produktion, des Tests, des Besitzes und der Nutzung von Kernwaffen durch alle Staaten fordert und ihre Vernichtung mit wirksamer Überprüfbarkeit sicherstellt.
„Parlamentarier haben mehr Macht als ihnen oft klar ist“
Fürsprechen durch Parlamentarier funktioniert. Parlamentarier sind in der richtigen Position, um sich für neue Initiativen stark zu machen und ihre Umsetzung zu verfolgen. Sie sind in einer herausragenden Position, um bestehende Grundsätze in Frage zu stellen, Alternativen zu präsentieren und Regierungen im Allgemeinen zur Verantwortung zu ziehen. Parlamentarier haben mehr Macht als ihnen oft klar ist.
In meinen frühen Jahren im Kanadischen Parlament, als ich Vorsitzender der Parliamentarians for Global Action war, leitete ich die Delegationen nach Moskau und Washington, um bei den damaligen Supermächten für ernsthafte Schritte zu nuklearer Abrüstung einzutreten. Unsere Arbeit führte zur Bildung der Six Nation Peace Initiative. Es war die gemeinsame Anstrengung der Führungen von Indien, Mexiko, Argentinien, Schweden, Griechenland und Tansania, die Gipfeltreffen abhielten und die Atommächte dazu drängten, ihre Kernwaffenproduktion anzuhalten. Gorbatschow sagte später, dass die Six Nation Peace Initiative der Schlüsselfaktor war, um zum INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) von 1987 zu kommen, welcher zur Vernichtung einer ganzen Klasse von nuklearen Mittelstreckenraketen führte. [...]
Die Stimme der Parlamentarier könnte in Zukunft noch stärker werden, wenn die Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen (UN Parliamentary Assembly, UNPA) verfängt. Die Kampagne hofft, dass einmal Bürgerinnen und Bürger aller Länder in der Lage sein werden, ihre Repräsentanten in einer neuen UN-Versammlung direkt zu wählen und damit die globale Politik mitzubestimmen. Es mag sein, dass dies erst in einem neuen Kapitel der Weltgeschichte wahr wird, doch ein erster Schritt wäre schon einmal, einen Teil der Delegation von den nationalen Parlamenten wählen zu lassen. Diese wären damit in der Lage, in der neuen UN-Versammlung zu sitzen und Themen direkt beim Sicherheitsrat vorzutragen. Das Europäische Parlament, dessen 766 Abgeordnete schon heute von den Mitgliedsländern direkt gewählt werden, stellt dabei ein Vorbild für diese globale Parlamentarische Versammlung dar.
„Der Stoff, aus dem politische Führung besteht“
Man muss nicht auf zukünftige Entwicklungen in der Global Governance warten. Schon heute können Parlamentarier ihre einzigartige Position in der Regierungsstruktur nutzen, um humanitäre Politik und den Schutz des Lebens auf diesem Planeten voran zu bringen. Schließt die Schere zwischen Arm und Reich. Haltet die Klimaerwärmung auf. Keine Kernwaffen mehr. Dies ist der Stoff, aus dem politische Führung besteht."
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