TTIP und die Bürgerinitiative – ein direktdemokratisches Feigenblatt?

, von  Michael Vogtmann

TTIP und die Bürgerinitiative – ein direktdemokratisches Feigenblatt?
Vorstandsmitglieder des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ werben in Brüssel für die Anerkennung von „Stop TTIP“ als Europäische Bürgerinitiative - bislang vergeblich. Foto: © Mehr Demokratie / Flickr / CC BY-NC-SA 2.0 Lizenz

Details des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP besorgen Bürger in ganz Europa. Dies hat zum Anwachsen der Kampagne „Stop TTIP“ geführt – mittlerweile unterstützen zwei Millionen Menschen die Initiative. Nichtsdestotrotz hat die EU-Kommission entschieden, „Stop TTIP“ nicht als offizielle Europäische Bürgerinitiative anzuerkennen. Ein Instrument der direkten Bürgerbeteiligung innerhalb der EU wird damit ignoriert.

Keine TTIP-Debatte im Parlament

Erst kürzlich gab es im Europaparlament eine große Kontroverse über TTIP. Die Aufregung war so groß, dass nicht einmal eine sachliche Debatte über das Thema möglich war. Befürworter beschimpften TTIP-Gegner als Radikale. Umgekehrt attestierten die Gegner den Befürwortern ein mangelndes Demokratieverständnis. Die Stimmung war dermaßen aufgeheizt, dass mit knapper Mehrheit beschlossen wurde, neben der Abstimmung auch die gesamte Debatte über das Thema zu verschieben. Es ist bedauerlich, dass die Debatte nicht geführt werden konnte. Nichtsdestotrotz zeigt sich das Europäische Parlament hier als das, was es sein sollte: nämlich als Vertretung der europäischen Bürger oder eben als Spiegelbild jener. Auch in der Bevölkerung polarisiert TTIP und sorgt für eine emotional aufgeheizte Debatte, die auch in Form einer Bürgerinitiative namens „Stop TTIP“ Gestalt annahm.

Gute Idee, schlechte Umsetzung

Im Vertrag von Lissabon wurde mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) der europäischen Bevölkerung eine Möglichkeit gegeben, einen direkteren Einfluss auf die europäische Politik auszuüben, um somit ein mehr an Demokratie in der Europäischen Union zu gewährleisten. Was allgemein nach einer schönen Idee klang, hat in der Praxis gewisse Schönheitsfehler. Im Gegensatz zu Volksbegehren auf nationaler Ebene richtet sich die EBI nicht an die Legislative, in dem Fall das Europaparlament, sondern an die europäische Exekutive, die Kommission. Ein weiteres Problem ist, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, eine Gesetzesinitiative zu starten, wenn genügend Unterschriften gesammelt werden. Das Sammeln von genügend Unterschriften selbst ist keine leichte Aufgabe, denn die Anerkennung einer EBI setzt voraus, dass eine Million Bürger aus mindestens sieben Mitgliedstaaten hinter der Initiative stehen.

Barroso nahm Initiatoren nicht Ernst

Im September 2014 schmetterte die Kommission unter José Manuel Barrosos den Anmeldeversuch einer EBI zum Stopp von TTIP und CETA, dem kanadischen Pendant von TTIP, nieder. Die knappe Begründung: Verhandlungsmandate zu Handelsabkommen seien keine Rechtsakte und daher nicht durch eine Bürgerinitiative anfechtbar. Kurz darauf wurde von Barroso, Herman Van Rompuy und Stephen Harper der erfolgreiche Abschluss der CETA-Verhandlungen verkündet. Zu dieser Zeit kamen auch viele pikante Details über CETA ans Tageslicht, etwa die geplanten Schiedsgerichte. Da CETA als Vorlage für TTIP gilt, wurde der Widerstand gegen TTIP weiter angeheizt. Die Initiatoren von „Stop TTIP“ reichten im November 2014 Klage beim Europäischen Gerichtshof ein und fordern weiterhin eine offizielle Anerkennung ihrer Bürgerinitiative durch die Kommission.

Frischer Wind oder alter Wein?

Als Jean-Claude Juncker das Amt des Kommissionspräsidenten übernahm, wollte er es besser machen. Er wollte die Gegner ernst nehmen und sich mit ihren Bedenken auseinandersetzen. Bisher ist aber außer Lippenbekenntnissen nicht viel dabei heraus gekommen. Die zuständige Kommissarin Cecilia Malmström deutete an, dass man den besonders umstrittenen Investorenschutz aus dem Abkommen nehmen könnte, tatsächlich ist aber nichts dergleichen passiert. Das Agieren der Kommission wirkt eher wie ein Vor- und Zurückrudern, das nur den Anschein von Beweglichkeit erwecken soll, obwohl man in der Sache stur an den bereits verhandelten Details festhält, um nicht die amerikanischen Partner zu verprellen. Juncker selbst und andere mächtige nationale Regierungschefs wie Angela Merkel und David Cameron haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie TTIP unbedingt wollen. Nur wird Juncker der einzige sein, der den Buhmann spielen darf, wenn sich herausstellt, dass die TTIP-Gegner Recht behalten und der erhoffte Wirtschaftsaufschwung ausbleibt und die negativen Effekte für Europa dominieren.

Bei der „Stop TTIP“-Initiative geht es aber mittlerweile nicht mehr nur um das Für und Wider des Freihandelsabkommens. Es geht um nicht weniger als ein demokratischeres Europa. Niemand erwartet von Juncker, die Verhandlungen sofort einzustellen, aber eine Anerkennung der Bürgerinitiative wäre doch schon geboten. Die Initiative sollte dann im Parlament und in den Nationalstaaten ausführlich debattiert werden, um nochmals für die Probleme zu sensibilisieren. Das käme keiner Einstellung der Verhandlung gleich, denn schließlich müssten sich dafür erst Mehrheiten finden. Die Hürden für eine EBI sind ohnehin hoch genug.

Ein Europa der Bürger

Wenn die Europäischen Institutionen jetzt die Botschaft aussenden, dass sie Initiativen nach Belieben ignorieren, wird das nur zur Folge haben, dass sich weniger Leute anstrengen werden, diese Hürden zu überwinden. Die EBI wird sich als Instrument totlaufen, da sie als das entlarvt wurde, als was sie behandelt wird: als direktdemokratisches Feigenblatt. Das wäre wirklich schade, denn entspricht es nicht dem Inbegriff des europäischen Geistes, wenn sich Bürger über Ländergrenzen hinweg für ein gemeinsames Ziel einsetzen? Wenn auf europäischer Ebene nicht einmal eine Bürgerbeteiligung in Form einer Initiative anerkannt wird, lohnt es sich gar nicht erst von gesamteuropäischen Volksabstimmungen zu träumen.

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