Ein zentrales Thema, bei dem grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen existieren, betrifft den Bereich der Finanzen. Während SPD und Bündnis 90/Die Grünen dort relativ dicht beieinander liegen, verfolgt die FDP einen anderen Ansatz. Gerade in der Corona-Pandemie hat sich die EU im Zuge des Mehrjährigen Finanzrahmens lange mit der Vergabe der Haushaltsgelder beschäftigt. Bisher einmalig und ein Meilenstein für die Europäische Union war dabei das Wiederaufbau- und Investitionspaket #NextGenerationEU in Höhe von 750 Milliarden Euro. Erstmals hat die EU mit diesem Paket gemeinsam Schulden aufgenommen.
Diese Entscheidung wurde von vielen als wichtigen Schritt hin zu einer gemeinschaftlichen Finanzpolitik gewertet – doch es gab auch kritische Stimmen in den Reihen der Ampelparteien. Zwar hat die FDP der Ratifizierung des EU-Beschlusses im Deutschen Bundestag zugestimmt, jedoch in Stellungnahmen dazu betont, dass es sich um ein einmaliges und begrenztes Instrument handle. Die Corona-Pandemie, die eine Ausnahmesituation darstelle, würde dies erfordern und sei auch Ausdruck der Solidarität mit den vielen Mitgliedstaaten, die gesundheitlich und wirtschaftlich hart von der Pandemie getroffen wurden.
SPD und Grüne für Verstetigung von Finanzmitteln
Doch wie stehen die drei Parteien zu einer Verstetigung der EU-Eigenmittel? Im SPD-Wahlprogramm heißt es unter anderem: “Statt einer Rückkehr zur Kürzungspolitik der Vergangenheit bleiben wir bei der in der Corona-Krise begonnenen gemeinsamen Investitionspolitik Europas. Eine krisenfeste EU muss fiskalpolitisch handlungsfähig sein und sich zu einer echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion weiterentwickeln.” Außerdem will die SPD „die Finanzierung der EU dauerhaft gerechter und eigenständiger“ gestalten.
Auch im Programm von Bündnis 90/Die Grünen findet sich die Forderung nach einer Verstetigung entsprechender Finanzmittel. So heißt es dort, man wolle “das neu geschaffene Wiederaufbauinstrument verstetigen und in ein permanentes Investitions- und Stabilisierungsinstrument unter der Kontrolle des Europäischen Parlaments" überführen. Der EU-Haushalt soll mit eigenen Einnahmen ausgestattet werden, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene wird befürwortet, um Spekulationen und Kurzfristorientierung zu verhindern.
Auch die Fiskalpolitik sollte nach Ansicht der Grünen weiter vorangebracht werden, um durch diese mit nachhaltigen Investitionsfonds “in europäische öffentliche Güter wie Klima, Forschung, digitale Infrastruktur, Eisenbahn und Bildung” zu investieren. Genau wie die Grünen will die SPD den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu einem Nachhaltigkeitspakt weiterentwickeln. Durch die Vollendung der Bankenunion erhofft sich die SPD die Schaffung eines europäischen Kapitalmarkts, “der die wettbewerbsfähige Finanzierung europäischer Unternehmen“ sicherstellt. Hierzu gehört für die SPD auch die Schaffung einer Grundlage für eigene europäische Einnahmen.
Nach Ansicht von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wären in den nächsten Jahren also zahlreiche Reformen und Weiterentwicklungen in der Finanzpolitik notwendig. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätten sie – wird er denn im nächsten Jahr wiedergewählt – in einigen der angesprochenen Themen einen prominenten Unterstützer, der sich für ein EU-Budget ausgesprochen hat und damit bei der bisherigen Bundesregierung und der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf wenig Begeisterung gestoßen ist.
FDP stellt sich gegen Schuldenunion
Welche Position die deutsche Bundesregierung in Zukunft vertreten wird, hängt nicht unerheblich davon ab, auf welchen Konsens sich das Dreierbündnis verständigen wird. Ein Blick auf die FDP-Positionen zur EU-Finanzpolitik ist daher angebracht.
Im Wahlprogramm der FDP steht zum Thema der EU-Finanzen unter anderem die Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds, die Wiedereinsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und die Reform dessen, die Rückkehr zu einem schuldenfreien Haushalt sowie eine Neuaufstellung der europäischen Kohäsions- und Innovationspolitik. “Eine Schuldenunion lehnen wir ab. In der Coronakrise wurde 2020 einmalig eine zeitlich befristete Schuldenfinanzierung des EU-Haushalts beschlossen. Wir wollen, dass dieser Rückgriff auf die Schuldenpolitik einmalig bleibt, wie es die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern versprochen hat. Die immer wieder geforderte Einführung zusätzlicher EU-Steuern ist mit den europäischen Verträgen nicht vereinbar und wird von uns abgelehnt”, heißt es aus Seite 51 des FDP-Wahlprogramms.
Koalitionsvertrag wird Antworten geben müssen
Was bedeutet dieser fundamentale Gegensatz – SPD und Grüne auf der einen Seite pro Schuldenaufnahme, die FDP andererseits gegen eine Verstetigung der in der Corona-Pandemie erstmalig erfolgten Schuldenaufnahme – für die Position einer Bundesregierung der drei Parteien in der Finanzpolitik? Das Sondierungspapier gibt einen ersten Vorgeschmack auf die Haltung, die die nächste Bundesregierung verfolgen könnte: “Wir wollen dafür Sorge tragen, dass Europa auf der Grundlage solider und nachhaltiger Staatsfinanzen gemeinsam wirtschaftlich stark aus der Pandemie herauskommt, das Ziel der Klimaneutralität erreicht und den Green Deal konsequent umsetzt.“ Außerdem heißt es dort, dass “der Stabilitäts- und Wachstumspakt seine Flexibilität bewiesen” hat. “Auf seiner Grundlage wollen wir Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen.” Der Begriff der hier genannten Schuldentragfähigkeit lässt darauf schließen, dass sich die Bundesregierung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes für fristgerechte und zahlungsfähige Investitionen einsetzen will.
Ein Verweis auf #NextGenerationEU oder gar eine Schuldenaufnahme wird hier vermieden – vermutlich bewusst, weil an dieser Stelle ein Dissens zwischen den Parteien besteht. Der aus den aktuell laufenden Verhandlungen entstehende Koalitionsvertrag wird jedoch Antworten darauf geben müssen, wie Investitionen in genannte Projekte wie Klimaschutz oder Digitalisierung finanziert werden sollen, wenn nicht über eine europäische Schuldenaufnahme.
Die Diskussion um die Einführung eines Eurozonenbudget oder einer EU-Digitalsteuer (Finanztransaktions- und Körperschaftsteuer) zeigt, dass es noch Gesprächsbedarf zwischen den drei Ampelparteien gibt. Ob es am Ende möglich sein wird, zu einer gemeinsamen Position zu gelangen, oder aber das Thema nicht weiter angegangen wird, um die gemeinsame Regierungsarbeit nicht in Gefahr zu bringen, bleibt abzuwarten. Um die Auseinandersetzung mit genau diesen Fragen werden die drei Parteien jedoch nicht kommen. Somit bleibt es spannend, welche der Positionen sich in den Verhandlungen am Ende behaupten und voraussichtlich die deutsche Position auf EU-Ebene der nächsten vier Jahre bestimmen wird.
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