Spanien ist seit 1978 eine parlamentarische Monarchie und seitdem haben sich immer zwei Parteien an der Macht abgewechselt: die christdemokratische Volkspartei Partido Popular (PP), beziehungsweise ihre Vorgängerpartei, und die sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Español (PSOE). Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 hatte erstmals keine der beiden Parteien eine absolute Mehrheit. PP kam auf 29, PSOE auf 22 Prozent. Dafür erzielten zwei neue Parteien, Podemos und Ciudadanos, historische Ergebnisse von 21 und 14 Prozent. Für eine Regierungsmehrheit war also eine Koalition nötig – eine völlig neue Situation im bisherigen Zweiparteiensystem, die die Parteien überforderte. Nach wochenlangen Verhandlungen kam keine Einigung zustande, auch nicht nach erneuten Wahlen im Juni 2016. Zum einen konnten sich die drei Oppositionsparteien nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, zum anderen lehnten sie alle eine Zusammenarbeit mit PP-Chef Mariano Rajoy ab. Niemand möchte sich mit der Partei einlassen, die seit Jahren mit Korruptionsskandalen Schlagzeilen macht. Vor Kurzem hat ein neuer Prozess gegen zahlreiche Parteimitglieder begonnen.
2016 - Jahr des Stillstands
So befinden sich seit Dezember die politischen Prozesse in Spanien in der Warteschleife. 2016 wurde noch kein einziges Gesetz verabschiedet. „Das Land steht völlig still. Die Minister trauen sich nicht, auch nur einen Vertrag zu unterschreiben. Die Haushaltsmittel sind ja längst ausgegeben“, sagte Santiago Ramírez, Betriebsratschef der UGT bei einem der großen spanischen Baukonzerne, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Er erklärte: „Es wird auch nichts mehr repariert und ausgebessert. Die Autobahnen, Brücken oder Tunnel nicht, selbst die Zugstrecken nicht.“ Die Großbank BBVA schätzte den Investitionsausfall im ersten Halbjahr 2016 auf sieben bis acht Milliarden Euro. Nicht nur für öffentliche Ausgaben benötigt Spanien dringend einen neuen Haushalt. Auch vonseiten der EU drohen Sanktionen, sollte Spanien nicht bis zum 15. Oktober einen Etat für 2017 präsentieren. Das Problem dabei: Die Regierung unter Rajoy ist derzeit nur geschäftsführend tätig und darf in dieser Position keinen Haushaltsentwurf aufstellen.
Die Wirtschaft trotzt unterdessen der politischen Misere. Laut Zahlen des Auswärtigen Amtes befindet sich Spanien im wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regierung rechnet für 2016 mit einer Steigerung des BIP um 2,7 Prozent. Außerdem sinkt die Arbeitslosigkeit weiter. Mit etwa 20 Prozent ist sie jedoch immer noch eine der höchsten in der EU. Politischer Stillstand bedeutet nicht gleich eine wirtschaftliche Katastrophe für ein Land. Das zeigen auch andere Fälle. Doch für Reformen und Pläne für den Schuldenabbau braucht Spanien möglichst bald wieder eine funktionierende Regierung.
Einigung oder dritte Wahl?
Neue Möglichkeiten haben sich vor Kurzem aufgetan, als der Sozialistenführer Pedro Sánchez zurücktrat. Jetzt haben die Parteien bis 31. Oktober Zeit, sich auf einen Regierungschef zu einigen – sei es Rajoy oder ein anderer Kandidat. Sollte ihnen das nicht gelingen, muss König Felipe VI die dritten Neuwahlen einberufen. Laut dem Wahlgesetz würden sie genau auf den ersten Weihnachtstag fallen. Ein Urnengang am 25. Dezember – das wollen weder die Wähler noch die Politiker.
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