Sozialdemokratisches Europa, quo vadis?

, von  Gesine Weber, Sandra Schaftner, Tobias Gerhard Schminke

Sozialdemokratisches Europa, quo vadis?
treffpunkteuropa-Redakteure Tobias G. Schminke und Gesine Weber beim Interview mit Dr. Ute Finckh-Krämer © treffpunkteuropa.de

Neben Themen wie Konfliktlösung und Migration sprach Dr. Ute Finckh-Krämer, Mitglied des Bundestags und des Auswärtiges Ausschusses, im exklusiven Interview mit treffpunkteuropa auch über Sozialdemokratie in Europa - und die K-Frage der SPD.

Ob beim Freihandelsabkommen oder beim Thema Flucht und Migration: Es fällt immer mehr auf, dass wir da nicht mehr nationale Denkweisen haben, sondern über Europa reden. Trotzdem fehlen Brüssel immer noch Kompetenzen, um diese Probleme wirklich zu bewältigen, wie man bei den Quoten für Flüchtlinge in Europa sieht. Warum setzt sich die SPD nicht dafür ein, dass Brüssel mehr Kompetenzen hat?

Das Problem ist, dass wir Kompetenzen nur abgeben sollten, wenn es uns zielführend erscheint. Beim Beispiel Aufnahme von Flüchtlingen sind wir in Deutschland weiter als andere Staaten. Etwa 10 der 28 EU-Staaten haben über die letzten 20 Jahre gerechnet viele Flüchtlinge aufgenommen. Das heißt, wir haben 18 EU-Staaten, die am liebsten die Flüchtlinge von Europa abhalten wollen, zum Beispiel durch Grenzzäune. In diesem Fall wären wir nicht wirklich glücklich über die Abgabe von Kompetenzen. Deswegen muss man sehr genau schauen, welche Kompetenzen man nach Brüssel abgibt und welche nicht. Die SPD könnte nach meiner Einschätzung im Umwelt- und Klimaschutzbereich mehr Kompetenzen nach Brüssel abgeben, ebenso wie in der Finanzpolitik. Sinnvoll wäre da eine Einigung auf Mindeststeuersätze und Besteuerung dort, wo die Wertschöpfung stattfindet, statt dort, wo der Firmensitz ist, oder zumindest jeweils zur Hälfte.

Es ist ja schon interessant, dass Sie glauben, dass man den IS mit diplomatischen Mitteln in die Knie zwingen kann, aber dann nicht osteuropäische Regierungen von Migrationsquoten zu überzeugen kann.

Zu einer Lösung kommt man nicht, wenn man erst einmal mehr Kompetenz an Brüssel abgibt und danach beginnt, zu verhandeln. Man müsste in Bezug auf Migrationsquoten erst verhandeln und ihnen erst die Angst nehmen, und dann könnte man die Kompetenz abgeben. Es gibt da auch Ansätze: So macht die Ebert-Stiftung in Osteuropa bereits Seminare, wie man Menschen anderer Herkunft in die Gesellschaft integrieren kann. Es kommen zum Beispiel viele junge Ungarn nach Deutschland und sind begeistert, dass es hier eine bunte Gesellschaft gibt, aber ihnen fehlt das Handwerkszeug, das vor Ort umzusetzen. Das geht mit Dingen los wie der Integration von Kindern in der Schule. Da haben wir viel gelernt. Dieses Wissen können wir weitergeben, und auch das Wissen über unsere Fehler teilen. Ich glaube, wir haben inzwischen gelernt, dass wir nicht einfach Europa Kompetenzen übertragen und dann auf eine europäische Schwarmintelligenz hoffen können, sondern erst Kompetenzen abgeben sollten, wenn es eine gute Ausgangslage für eine gemeinsame Lösung gibt.

Ein Thema, das eng mit Migration verknüpft ist, ist Rechtspopulismus. Wenn heute Europawahl wäre, wären die Sozialdemokraten schwach wie nie, die Rechtspopulisten stark wie nie. Bei den Wählerwanderungen sieht man, dass Arbeitslose und Arbeitnehmer von den Sozialdemokraten zu den Rechtspopulisten abwandern. Das ist ein europäisches Phänomen. Was machen die Rechtspopulisten besser als die Sozialdemokraten?

Die Rechtspopulisten schaffen es in ganz Europa, den Eindruck zu erwecken, dass wenn man sie wählt, die anderen Parteien vernünftige Politik machen. Ich habe das während des Berliner Wahlkampfs in Gesprächen direkt erleben können. Diese Vorstellung, man kann die etablierten Parteien dazu bringen, etwas anders zu machen, wenn man eine Protestpartei wählt, die wird von vielen Leuten geäußert, und wird auch in der Presse und in den Medien so kommuniziert.

Wie kann man das ändern?

Das ist das große Problem. Da, wo Rechtspopulisten zeitweise lokal mit regiert haben, gab es teilweise sehr große Ernüchterung. Als ich hier nach Berlin gekommen bin, hatten wir die Republikaner im Abgeordnetenhaus, aber die sind nach wenigen Jahren wieder rausgeflogen, weil sie nichts konstruktiv beigetragen haben. Was ich mir für den Wahlkampf nächstes Jahr vorgenommen habe, ist, dass ich auch mit der AfD auf ein Podium gehe, wenn man mir garantiert, dass man über konkrete Probleme und konkrete Lösungen spricht.

Mit welchem Kanzlerkandidaten könnte die SPD am besten der AfD begegnen?

Ich glaube, das hängt nicht vom Kanzlerkandidaten ab, sondern davon, wie wir in allen 299 Wahlkreisen vor Ort mit der AfD umgehen. Es hängt von 299 Kandidatinnen und Kandidaten ab, die darauf bestehen, dass mit der AfD auch über Sachthemen diskutiert wird.

Denken Sie, dass man mit einem Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der in der EU sehr stark gegen Rechtspopulismus auftritt, einen europäischen Geist im Wahlkampf einbringen oder für Rechtspopulismus sensibilisieren könnte?

Sagen wir mal so: Idealerweise fragt man, welche Themen für den Wahlkampf besonders wichtig sind, und dann schaut man, mit welchem Kandidat man dieses Thema am besten besetzen kann. Martin Schulz hat sich in der Vergangenheit immer wieder gegen Rechtspopulismus und Nationalismus engagiert und dem seine echte Begeisterung für Europa entgegengesetzt. Davon hat die SPD im letzten Europawahlkampf massiv profitiert. Generell glaube ich, dass wir mehrere gute sozialdemokratische Kandidatinnen und Kandidaten haben. Martin Schulz ist sicherlich einer davon. Aber die Diskussion über die entscheidenden Themen für den Wahlkampf ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen bin ich auch gar nicht so unglücklich, dass wir die Entscheidung auf Januar verlegt haben.

Ute Elisabeth Finckh-Krämer (* 16. Dezember 1956 in Wiesbaden) ist eine deutsche Politikerin (SPD) und Pazifistin. Sie ist seit März 2005 eine von zwei gleichberechtigten Vorsitzenden des Bundes für Soziale Verteidigung. Im September 2013 zog sie über die Berliner Landesliste in den Deutschen Bundestag ein.
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