Sollen EU-Bürger in nationalen Wahlen anderer EU-Staaten wählen dürfen?

, von  Juuso Järviniemi, übersetzt von Johanna Varanasi

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Sollen EU-Bürger in nationalen Wahlen anderer EU-Staaten wählen dürfen?
Fotolizenz: Flickr/ Marc Verch/ CC BY 2.0

Im Jahr 2016 haben Menschen weltweit die Präsidentschaftswahlen der USA verfolgt. In meiner Heimatstadt Edinburgh trafen sich Duzende, um die Debatten zwischen Donald Trump und Hillary Clinton auf der Großbildleinwand im Pub zu schauen. Der Grund war nicht nur die Sensationslust: Das Ergebnis der Wahl hatte auch Auswirkungen auf die Menschen, die in Großbritannien leben.

Diejenigen, die eben diese Debatte in der Kleinstadt Edinburgh, Indiana verfolgt haben, hatten tatsächlich eine Stimme. Die britischen Pubbesucher im schottischen Edinburgh hatten dieses Privileg hingegen nicht. Die Staaten der Europäischen Union sind natürlich noch viel enger verbunden: Denken wir nur an die Wahl in Italien, deren Ergebnis großen Einfluss auf die restliche Eurozone und damit auf die Wirtschaft aller EU-Mitgliedstaaten haben könnte. Oder an die französische Wahl 2017, für die sich politikinteressierte Menschen weit jenseits des französischen Staatsgebiets interessiert haben.

Wenn EU-Bürger*innen in unterschiedlichen Ländern von den Ergebnissen nationaler Wahlen in anderen EU-Ländern betroffen sind und außerdem über Themen informiert sind, sollten sie dann wahlberechtigt sein? Als Voraussetzung für das Wahlrecht wäre ein Test denkbar, der zuerst erfolgreich absolviert werden muss – ähnlich wie ein Einbürgerungstest. Bei Kommunal- und Europawahlen haben EU-Bürger, die in einem anderen Land leben, bereits ein Wahlrecht, welches auf ihrem dauerhaften Wohnort basiert. Vergangenen Monat unterstützte die britische Labour auf ihrem Parteitag den Vorschlag, EU-Bürgern mit Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich ein Stimmrecht bei Parlamentswahlen und Referenden in Großbritannien zu geben.

Das Wahlrecht auf Ihr Interesse an das Interesse an den Themen und nicht auf den physischen Wohnsitz zu knüpfen, wäre ein noch größerer Schritt. Man könnte es auch als intellektuellen Wohnsitz bezeichnen. In einer Welt, in der sich Nachrichten und politische Debatten über Landesgrenzen hinweg online verbreiten, ist es möglich, dass ein Bürger gleichzeitig in den demokratischen Diskursen mehrerer Länder teilnimmt: Ihr Facebook-Newsfeed zeigt Ihnen britische Nachrichten von der BBC, deutsche Nachrichten vom Spiegel und spanische Nachrichten von El País direkt nebeneinander an. Die Idee könnte die Europäer*innen dazu anregen, das aktuelle Geschehen in anderen EU-Ländern stärker als bisher zu verfolgen und so dazu beitragen, dass wir uns besser verstehen. Wer die Möglichkeit der Stimmabgabe hat, sollte auf dem Laufenden bleiben, was in einem Land passiert – auch wenn man kein Politik-Nerd ist.

Ausländische Invasion?

Ein Gegenargument ist, dass diese Idee gegen etablierte Prinzipien des Föderalismus verstößt: Auch die Deutschen Bürger*innen können nicht an den Landtagswahlen anderer Bundesländer teilnehmen. Dies sollte allerdings kein KO-Kriterium sein, wenn diese Idee doch mal diskutiert werden sollte. Schließlich ist die dem Idee der paneuropäischen Wahlkreise bzw. der transnationalen Listenauch in den föderalen Systemen der Welt einzigartig. Wenn die Reform zu Europa passt, dann sollte sie auch umgesetzt werden.

Ein weitaus schwierigeres Argument ist jedoch die Gefahr einer „ausländischen Invasion“. In Anbetracht der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung bei regionalen und nationalen Wahlen nicht besonders hoch ist – Wahlen bei einigen Menschen also einen eher geringen Stellenwert haben – würde man vielleicht keine Menschenmassen an den Wahlurnen des Nachbarlandes erwarten. Allerdings würden vielleicht Personen, die sich dem Land verbunden fühlen, an der Wahl teilnehmen: weil sie das Land oft besuchen, vielleicht eine Zeit lang dort gelebt haben oder sie Verwandte dort haben.

Jedoch verschreckt allein die Vorstellung, dass ein europaweites Netzwerk beschließt, Regierungsverantwortung eines kleinen Landes zu übernehmen, indem es eine immense Anzahl seine Anhänger für die Wahl registrieren lässt. In einem solchen Szenario gehen die Stimmen der maltesischen oder luxemburgischen Bürger*innen in der Masse der ausländischen Stimmen unter. Eine solches Wahlergebnis wäre kaum noch legitim. Bei jedem knappen Wahlergebnis, das durch „Fremdstimmen“ entschieden wird, ist Protest der unterlegenen Partei zu erwarten. Wenn die Idee, aus dem Ausland zu wählen, in dem Moment, in dem die Stimmen der ausländischen Wähler tatsächlich zu zählen beginnen, wie ein Affront erscheint, ist die Frage berechtigt, warum wir überhaupt darüber diskutieren sollten.

Denkanstöße

Es geht um das Gedankenexperiment. Ein Experiment, das eine Inspiration für moderatere und praktikablere Maßnahmen ist. In einem zunehmend vernetzten Europa sollten sich die EU-Mitgliedstaaten, wem sie das Wahlrecht werteilen. Wie bereits erwähnt können alle EU-Bürger mit festem Wohnsitz bereits bei Kommunal- und Europawahlen wählen. Beschwerden gibt es eigentlich keine. Warum sollte man angesichts dieser erfolgreichen Erfahrung nicht dasselbe bei nationalen Wahlen versuchen?

Was Nichtansässige betrifft, so könnten die Mitgliedstaaten, wenn das bloße Interesse nicht ausreicht, das Stimmrecht auf Personen ausdehnen, die eine andere Verbindung zum Land nachweisen können. Einige Ideen wurden bereits oben erwähnt: ehemaliger Wohnsitz, Ehe mit einem Staatsbürger des Landes oder Kinder, die im Land leben. Dies alles könnten Umstände sein, die die Stimmabgabe legitimieren.

Die Geschichte hat die Länder, die das Stimmrecht auf neue Personen ausgedehnt haben, eher positiv beurteilt. Wir loben die Länder, die bei der Frauenwahl Vorreiter waren, und wir neigen auch dazu, positiv über Länder zu sprechen, die das Wahlalter bereits auf 16 Jahre gesenkt haben. Ebenso würden Länder, die ausgewählten Gruppen von Nicht-Staatsangehörigen die Stimme geben, wohl als visionär angesehen.

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