Social Media in europäischem Braun

Rechte Europapropaganda auf Tiktok und Instagram

, von  Ramona Schnall

Social Media in europäischem Braun
KI-generierte Grafiken wie diese landen in immer mehr Social Media Feeds Foto: KI-generiertes Bild erstellt mit ChatGPT (OpenAI), 2025

Bier, Berge und weißen Frauen, die über Blumenwiesen rennen. Unter #Europas Erwachen zelebrieren rechte Influencer auf TikTok und Instagram das weiße Europa. Jedoch vermischen sich in diese rechts populistischen Videos die Symbole der EU mit der eines rechtspopulistischen Europa - obwohl rechte Propaganda klar gegen EU mobilisiert. Wie hält Rechtspopulismus diesen Widerspruch aus, und welche Form nimmt er an, wenn er Nationalstaaten übergreift?

Europas braune Erwachen auf Social Media

Videos von Bergen, Bier, Ritter und weiße Frauen mit ihren Kindern, die über „europäische“ Blumenwiesen rennen, bringen seit Wochen die Bildschirmfläche zum Flimmern. Sie trenden unter den Hashtags European Classic oder Traditionalism auf Tiktok und Instagram - Blumenwiesen jedoch sind von diesen Videos nur die harmlose Variante des Trends.

Wenn man bei Tiktok Europa in dem Suchfeld eingibt, findet man Videos, die Armeen von Soldaten über den Bildschirm laufen lassen, männliche Soldaten, die mit ihren Uniformen, kantigen Gesichtszügen und Heldenhaltung dunkel an die Naziaufmärsche erinnern – nur, dass dort, wo das Hakenkreuz saß, heute die 12 Sterne der EU sind.

@chooseeurope We are Europe 🇪🇺 #eu #🇪🇺 #europeantiktok #europianunion #europeanarmy #european #europeans ♬ suono originale - Europa Caput Mundi

Mit großen Buchstaben proklamieren sie „Europas Erwachen" oder „Europa hat fast die komplette Herrschaft über die Welt erreicht. Ihre Genialität, Weisheit echot in allen Ecken der Welt“. Es sind Videos, die man schlichtweg als kriegsverherrlichend oder imperialistisch beschreiben kann.

Krisen, Krieg und die Sehnsucht nach Soldaten

Dass diese Reels heute durch unsere Social Media Feeds schwirren, ist nicht verwunderlich. „Identifikation mit der EU steigt oft, wenn sich die Bürger der EU mit Krisen wie der Invasion der Ukraine konfrontiert sehen “, erklärt David Gazsi, Assistenzprofessor am Institut für Europäische Integration der Universität Wien. Der Drang, sich „zusammen zu rotten“ und Sicherheit in der Gemeinschaft zu suchen, steigt, so Gazsi.

Und von Krisen haben wir gerade genug. Man muss nur an die Grenzen von Europa blicken, hin zur Ukraine, damit einem der Rauch von russischen Bomben entgegen bläst - oder zum Westen, wo die USA droht, die NATO zu verlassen, während sie gleichzeitig die EU in einen Handelskrieg verwickelten und sie mit Wein und Autoimport Tarifen beregnet.

Es scheint also logisch, dass unter EU-Flaggen marschierende Soldaten durch unseren Feed schwirren.

EU vs. Europa

Und dennoch jonglieren die Reels mit einem Widerspruch: Obwohl viele Reels mit EU-Sternen und blauen Flaggen ausstaffiert sind, haben sie wenig mit der EU zu tun.

„Die EU ist nicht gleich Europa, und ihre Identitäten sind es auch nicht “, erklärt Gazsi.

Denn grundsätzlich gilt: Die EU mit ihren Sternen und Flaggen symbolisiert die politische Institution, den Staatenverbund. Europa hingegen ist ein Kontinent, in dem mehrere Staaten nebeneinander existieren, von denen manche aber kein Teil der EU sind.

„Wenn ich meine Student*Innen Fragen, was sie zu EU-Bürgerinnen macht, nennen die meisten das freie Reisen, dass es keine Grenzkontrollen gibt “, erzählt Gazsi. Er ergänzt: „Mich macht Teil der EU, die Gesetze, die ich befolge und unsere gemeinsamen demokratischen Normen, Werte und Institutionen.“

Die Identität, die Gizes beschreibt, ist erwerbbar. Man muss nur die EU-Staatsbürgerschaft erlangen und sich an die Normen und Werte der demokratischen Institutionen halten und man ist Europäer*Inn. Prinzipiell, so Gazsi, kann jede Person Teil der EU werden.

Auf den Reels von Tiktok und Instagram wird eine andere Identität propagiert, eine, die sich zwar der Stern-Symbolik der EU aneignet, ihr sonst aber fundamental fremd ist.

Europa exklusiv in Weiß

In der Social-Media Dimension finden wir ein Ideal von Europäerinnen, das weiß und christlich ist, das Berge lieben, und Bier, das die blonden Frauen in Nachthemden vor nicht weißen Männern beschützen muss, dass eine Vergangenheit hat, von siegreichen Feldzügen und machtvolle Einflussnahme, die über den europäischen Kontinent weit hinaus geht. Es sind Videos, die ein Bild von Europäerinnen malen, das alles, das nicht „weiß wie Schnee“ ist, exkludiert.

Mit ihrem essenzialistischen Weißheitswahn erinnert die europäische Identität eher an die rechts populistischen Nationalidentitäten der AfD oder FPÖ - Parteien, die gezielt gegen Schutzsuchende, gegen Menschenrechte und Multikulturalismus kämpfen. Forderungen, die auch die Kommentarleiste der Europavideos sprengen.

Die Erschaffung von Identitäten

Jedoch muss man sich in Erinnerung rufen, dass Identitäten an sich immer noch nicht die Endgegner für Inklusion und Solidarität einer multikulturellen Gesellschaft sind - obwohl nationalistische Identitäten wie die Europaidentität das massenhafte Ertrinken von Menschen im Mittelmeer begrüßen.

Identitäten findet man überall. Jede Art von Gemeinschaft, ob Nationalstaat, Staatenverbund wie die EU oder staatenloses Volk, benötigt Identität, um ein Wirgefühl und Gruppenzugehörigkeit zu schaffen. Nur so können Repräsentanten dieser Gruppe politische oder soziale Handlungen rechtfertigen, die für die Gemeinschaft sprechen – sei es Handelsabkommen oder Kriegserklärungen.

Was jedoch bleibt: Das ungesunde Beiprodukt von diesem Wirgefühl ist die Erschaffung des Anderen, ein anderer, der korrupter, weniger zivilisiert, schlicht weg weniger wert ist. Beides, das Selbst und das Andere entsprechen nicht unbedingt der Realität, das argumentierte schon Benedikt Anderson in den 80er in seinem revolutionären Buch „Immagined Communities“. Anstelle von faktischer Realität werden diese Identitäten durch Sprache, Rituale, Vergangenheitsmythen und Symbolen wie die blaue EU-Flagge imaginiert.

Der Rechte Flirt mit Exklusion

Auch die EU- Identität, exkludiert durch ihre demokratischen Normen, Amtssprachen und Flaggen. Entweder man hat sie, oder man ist ihr fremd. Der kritische Unterschied zur europäischen Tiktok-Identität ist: sie ist leichter zu erlangen. Die Europa-Identität hingegen ist Menschen durch die Geburt und ohne ihre Mitsprache aufgedrückt worden.

Dieser exkludierende Europa-Essentialismus gefällt jedoch natürlich den Parteien, die diese Narrative auch in ihrem Zuhause bewerben: Rechte Parteien. Und tatsächlich: Immer mehr rechts Politiker wagen sich über den Nationalismus ihres eigenen Staates heraus und „präsentieren sich als europäisch, als Beschützer Europas “, so Gazsi. Eine von ihnen ist die blonde rechtspopulistische Hardlinerin Eva Vlaardingerbroek, die mit ihrem „Ich bin stolze Europäerin“ Video in allen Filter- und Soundtrack Variationen durch Tiktok zieht.

Rechte Hassliebe für Europa

Der Widerspruch ist, dass obwohl die Sterne der EU durch den Videohintergrund fliegen, der Hauptvorsatz dieser rechten Ritter ist, Europa vor der EU zu beschützen, vor ihrem Angriff auf die Souveränität der Nationalstaaten - und natürlich auch vor den Migranten.

Es ist eine Gratwanderung, auf der sich die rechten Ritter befinden. Sie wollen die EU abschaffen, und doch propagieren die Videos den militärischen Zusammenhalt der europäischen Staaten angesichts der Bedrohungen von außen. Jedoch ist heute immer noch die EU die überzeugendste Garantie für dieses organisierte Sicherheitsbündnis.

EU’s Rutsch nach Rechts?

Die Vermischung der Identitäten in den Videos lässt fragen, inwieweit sich die von europäischer Identität und der EU-Identität in den kommenden Jahren weiter ähneln werden. Mit EU-Sternen, die über der europäischen Berglandschaft schweben, kann man schon heute eine Verwechslung, wenn nicht Verschmelzung erkennen.

Wie David Gazsi betont, ist die EU ein „wechselseitiges Produkt von den Menschen, die sie wählen und den Parteien an der Macht, die den gesellschaftlichen Diskurs formen“. Gegenwärtig wird in der EU das Wählen von rechtspopulistischen Parteien salonfähig. Parteien, die heute schon im EU-Parlament sitzen.

Zugleich gehen immer mehr Menschen für die EU auf die Straße. Man muss nur an Georgien, Slowakei, an Rom denken, wo Menschen vor Wasserwerfern stehen - nicht für Europa, sondern für die EU und die Demokratie und die Menschenrechte, die sie verkörpert.

Wenn man die Videos und Bilder von triefenden Menschen sieht, die sich für diese Werte die Stimmbänder ramponieren, so kann man auch glauben, dass die Krisen nicht nur die europäische Identität im Kurs steigen lassen, sondern auch die der EU.

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