Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

, von  Martin Samse

Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief in der Rede zur Lage der EU zu Maßnahmen gegen die Steuerflucht in Europa auf. © European External Action Service / Flickr/ CC BY-NC 2.0-Lizenz

In seiner Rede zur Lage der Union sagt Jean-Claude Juncker viel Richtiges, doch die jungen Europäer können seinen Worten nicht trauen. Ein Brief an den Kommissionspräsidenten.

Sehr geehrter Herr Juncker,

ich habe Ihre Rede Wort für Wort gelesen und wie oft wollte ich die Arme hoch reißen und sagen : „Ja! Genau darum geht es! An die Arbeit, wir haben viel zu tun!“. Am liebsten würde ich meinen Freunden Ihre Rede zeigen und Ihnen sagen: „Hört euch den an: Er sagt so viel Gutes. Das ist unser Mann!“. Doch ich kann nicht. Ich kann Ihren Worten nicht trauen. Sie sind kein ehrlicher Mann.

Verstehen sie mich bitte nicht falsch: Sie haben vor dem Europäischen Parlament so viel Richtiges gesagt. Die Krisen, die Uneinigkeit, der Streit; die Verhandlungen und Krisengipfel; die Orientierungslosigkeit der Politik und die Ermüdung der Wähler. All diese Dinge zerstören das Fundament unseres Europas. Sie haben ja so recht: Wir müssen etwas unternehmen, sonst bricht unser Friedensprojekt auseinander. Und grade deshalb tut es mir so weh, dass ich Ihnen nicht trauen kann.

Sie wissen genau wovon ich rede: Vor Ihrem Amt als Kommissionspräsident waren sie Finanzminister und Ministerpräsident von Luxemburg. Unter Ihrer politischen Führung wurde Luxemburg zu einer gigantischen Steueroase aufgebaut. Amazon, Apple, Ebay und Konsorten sparten dort ihre Unternehmens- und Gewinnsteuern. Der Schaden für die Nationalstaaten liegt im dreistelligen Milliardenbereich. Wie dringend hätten wir das Geld gebraucht um die verherrenden Probleme zu bewältigen vor denen wir stehen.

Und sie tun so, als hätten sie von alldem nichts gewusst? Schlimmer noch: Sie stellen sich vor das Parlament und prangern die Steuerhinterziehung an? Herr Juncker: Ich befürchte nicht nur, dass sie uns belügen - ich glaube sie wollen uns für dumm verkaufen.

In Ihrer Rede haben sie gesagt, dass Europa nicht der Wilde Westen ist; dass hier Steuergesetze gelten. Sehr richtig: Glück für Sie, dass wir nicht im Wilden Westen leben. Dort hat man die Schurken noch mit Teer und Federn über die Stadtgrenze gejagt. Sie hingegen wurden Präsident der Europäischen Kommission. Das ist bemerkenswert.

Sie waren der Steigbügelhalter für die eigentlichen Sozialschmarotzer Europas. Wissen sie wie gigantisch groß Ihre Taten sein müssen, damit wir Ihnen wieder trauen können?

Wenn es Ihnen ernst sein sollte, dann erwarten wir von Ihnen, dass sie Ihren alten Freunden ins Gewissen reden. Setzen sie sich dafür ein, dass Steuervermeidung in Europa unterbunden und Steuerhinterziehung bestraft wird. Damit nicht länger diejenigen aufeinander gehetzt werden, die eh schon wenig oder überhaupt nichts haben. Die Populisten stehen bereit um uns auf zu stacheln: Die Jungen gegen die Alten, die Schwachen gegen die Schwächsten. Sie kennen diese Leute, also setzen sie Ihrem Treiben konkrete politische Ergebnisse entgegen.

Dann kann ich auch meinen Freunden erzählen, dass sie kein Ganove sind, sondern einer von den Guten. Und das sind sie doch, oder etwa nicht?

Wir setzten ganz auf Sie.

Hochachtungsvoll,

Ein überzeugter Europäer

Ihr Kommentar
  • Am 18. September 2016 um 12:02, von  duodecim stellae Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    Herr Juncker kriegt in letzter Zeit aber viele Briefe... Ein sehr gefragter Mann. :)

    Ich habe zuerst befürchtet es läuft wiedermal auf ein Herauskramen der LuxLeaks-Affäre und plumpes Juncker-Bashing hinaus, aber bei all der Schelte scheint ja doch eine Gewisse Hoffnung durch, dass der Saulus zum Paulus wird. Und die aktuellen Ereignisse rund um Irland und die 13 Apple-Milliarden, lassen hoffen auf ein Ende des Steuerdumpings in Europa und dass es die Juncker-Kommission ernst meint.

    Ein Kritikpunkt muss ich aber doch anbringen: „Sie sind kein ehrlicher Mann.“ Nennen sie mich einen Nihilisten, aber Ehrlichkeit ist nicht die erfolgversprechendste Tugend eines Politikers. Würden sie Angela Merkel, David Cameron, Viktor Orban, Vladimir Putin, Barack Obama, Matteo Renzi, Nicolas Sarkozy, Sigmar Gabriel oder Horst Seehofer als „ehrlich“ bezeichnen? Die Tugend eines guten Politikers ist es vielleicht ehrlich und vertrauenswürdig zu wirken, aber sicher nicht zu sein. Wie gesagt Juncker hat keine saubere Weste. Das hat aber so gut wie niemand der es in der Politik zu etwas gebracht hat. Gute Absichten sind für mich persönlich eher ein Kriterium. Bisher zeugen Junckers Initiativen und Taten von diesen guten Absichten, nur leider hat die Kommission weder die Mittel noch die Exekutivmacht diese Initiativen im Europa der Nationalstaaten in die Realität umzusetzen. Das ist das Problem, weniger Herr Juncker als Person. Aber ich hoffe Juncker hört auch auf die Kritik und reflektiert darüber, weil sie im einzelnen absolut berechtigt ist!

  • Am 19. September 2016 um 09:37, von  angry-snorlax Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    >> Glück für Sie, dass wir nicht im Wilden Westen leben. Dort hat man die Schurken noch mit Teer und Federn über die Stadtgrenze gejagt. Sie hingegen wurden Präsident der Europäischen Kommission. Das ist bemerkenswert.

    BÄM! So ist es. Um die Glaubwürdigkeit des Projektes wieder herzustellen, bedürfte es eigentlich eines kompletten Austauschs der ganzen sich als korrupt und opportunistisch erwiesenen Führungsriege der EU. Das aktuelle Personal, vom EZB-Chef über den Präsidenten bis zu seiner Kommission, hat jegliche Glaubwürdigkeit und Vertrauen des Wählers systematisch und öffentlichkeitswirksam verspielt. So ist dem Durchmarsch von AfD und Co. Tür und Tor geöffnet. Offenbar gilt für eine wachsende Wählerschaft „sie sind zwar widerlich, aber marginal weniger widerlich als der stinkende Fischkopf, den wir jetzt haben“.

    Der Frust derer, die ökonomisch oder ideologisch nicht von den jeweiligen landeseigenen, pro-europäischen Regierungsparteien mitgenommen wurden, entlädt sich nun in einer (paradoxerweise gerade für sie selbst) gefährlichen Welle, und auch diejenigen, die niemals selbst rechts wählen würden, ertappen sich dabei, wie sie angesichts der Panik und der Erklärungsversuche der Etablierten trotz des allgemein mulmigen Gefühls auch eine gute Portion Schadenfreude verspüren. Nur, wessen persönlicher Schaden wird es letztendlich sein? Sicher nicht Herrn Junckers.

    Mme Le Pen möchte im Falle eines Wahlsieges übrigens ein Referendum über den Verbleib Frankreichs in der EU abhalten. Der Frexit und damit das Ende der EU ist tatsächlich nicht so absurd und fern, wie es vielleicht vor 5-10 Jahren erschien. Schade um eine schöne, hehre Idee, die allzu früh von Lobbyisten gekapert und als Vehikel für rücksichtslose neoliberale Politik am Volk vorbei missbraucht wurde.

    Herr Juncker wird die EU nicht mit einer feurigen Rede retten können. Nein, es muss so gründlich aufgeräumt werden, dass die Menschen den Eindruck bekommen, hier ändert sich wirklich etwas (*) - NUR das kann die EU jetzt noch retten. Es wird aber nicht geschehen, da das bekannte Personal zu sehr an ihren Pöstchen klammert. Vielleicht muss man aber auch nüchtern feststellen, dass die Mitgliedsstaaten untereinander nie die gleiche Vision von der EU hatten, und die meisten Mitgliedsstaaten ihre Mitgliedschaft viel abgeklärter sehen als Deutschland, wo die EU Staatsräson, beinahe Religion ist.

    Was kommt danach? Hat jemand schon einen Plan?

    (*) Aus der persönlichen Wunschliste: Goldman-Gesachs kriegt allgemeines Hausverbot in Brüssel. Bitte bitte? :-)

  • Am 19. September 2016 um 12:15, von  duodecim stellae Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    @angry-snorlax Es nützt überhaupt nichts Personalkarussel in Brüssel zu spielen, während die eigentlichen Verursacher der Handlungsfähigkeit der Union im Europäischen Rat / den nationalen Hauptstädten weiter auf ihren Posten sitzen bleiben (Merkel, Orban, Szydlo...). Juncker ist nur der installierte Sündenbock, so wie Barroso vor ihm. Und Sie fallen auf diese eigentlich durchschaubare Strategie der rechten Anhänger des Europas der Vaterländer herein (Begriff geht übrigens zurück auf Charles de Gaulle und nicht Frauke Petry), faseln etwas von Goldman Sachs und Neoliberalismus, damit das gutbürgerliche, linksliberale Gewissen besänftigt ist.

    Die Europäische Union wurde ja nicht von neoliberalen Aliens gekapert, die Juncker installiert haben. Die Bürger haben auf nationaler und europäischer Ebene, konservative und wirschaftsliberale Parteien gewählt, oder Sozialdemokraten, die den Sozialabbau vorantreiben. Jeder konnte 2014 bei der Europawahl wissen (wenn er es wollte), dass Juncker Spitzenkandidat der CDU/CSU war und jeder konnte wissen, dass Luxemburg eine Steueroase unter vielen innerhalb der Union war. Das Versagen der Europäischen Union, oder der Europäischen Demokratie ist letztlich das Versagen der Europäischen Bürger / Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist sozialen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit als Wert anzuerkennen.

  • Am 19. September 2016 um 13:41, von  Martin Samse Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    In der Debatte in den Kommentaren clasht grundsätzlich die Fragestellung, wo der „Verursacher“ der Probleme zu suchen ist: in den europäischen Institutionen, den Nationalstaaten oder der apathischen Haltung der Bürger. Wie so oft ist die Mitschuld vermutlich gleichmäßig unter allen Beteiligten verteilt.

    Bezüglich der Debatte um eine Neoliberalisierung der EU: Gewiss wurde die EU nicht von neoliberalen Aliens gekapert. Das ist auch gar nicht notwendig. In der Politik- und Sozialwissenschaft kommt man bisweilen zu dem Ergebnis (Windolf, Streeck), dass die Grundrichtung der Ausgestaltung des europäischen Wirtschaftsraumes (Lissabon-Strategie: Europa 2020, Finanzmarktunion) stark anglo-amerikanisch und neoliberal geprägt ist. Um „Gefasel“ wird es sich bei der Haltung von angry-snorlax wohl eher nicht handeln.

    Wie groß der Impact dieser Programme ist und wie widerstandsfähig die tradierten Institutionen in den Nationalstaaten tatsächlich sind ist Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte.

  • Am 21. September 2016 um 15:19, von  mister-ede Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    @angry-snorlax

    „Was kommt danach? Hat jemand schon einen Plan?“

    Ich denke, Amerikaner, Russen und Chinesen werden sich bei der Aufteilung Europas schon einigen. Nach dem Zerfall von Gesellschaftssystemen, wie bei der UdSSR, dauert das eigentlich nie so arg lange. Und vielleicht haben wir ja wieder so viel Glück wie schon nach dem zweiten Weltkrieg und kommen in die amerikanisch-britische Zone.

    Ansonsten kann ich Ihrem Text nur zustimmen, mit einer Ausnahme: Viele der von Politik, Eliten und der EU frustrierten Menschen gehen einfach gar nicht mehr wählen. Diese Gruppe darf man nicht aus dem Auge verlieren.

  • Am 21. September 2016 um 15:39, von  mister-ede Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    @Martin Samse

    Völlig korrekt. Diese Strukturform, die sich an ganz unterschiedlichen Stellen wiederfindet (EU, WTO oder auch in der heutigen Währungsstruktur - man denke nur an das frühere Bretton-Woods-System), beschäftigt mich sehr viel. Leider gibt es kaum Bereitschaft über solche Grundsatzfragen zu reden. Oftmals wird das gar als Verschwörungstheorie abgetan, obwohl es besser wissenschaftlich belegt ist als z.B. das, was an unseren Unis als Wirtschaftswissenschaften verkauft wird.

    Aber was will man machen, wenn einem die ganze Welt sagt, die Sonne drehe sich um die Erde, man könne es doch jeden Tag sehen.

  • Am 21. September 2016 um 23:59, von  Martin Samse Als Antwort Sind Sie in Steuerfragen glaubwürdig, Herr Juncker?

    @mister-ede

    Japp, das deckt sich sehr stark mit meinen Erfahrungen. Es ist bisweilen schon absurd, dass Theorien die im Seminar relativ offen diskutiert werden (oder in Bestsellern erläutert werden siehe: David Graeber), im Internet so schnell einen Sturm der Entrüstung auslösen können. Die Herrschaftsstruktur auf den Finanzmärkten (Windolf), die Rolle der U.S.A im Weltmarkt (Otte) und die Bindung des Dollars an das Öl; diese Themen sollten unbedingt lanciert werden. Ich glaube, dabei sollte man aber darauf achten möglichst analytisch und sachlich zu bleiben, sonst hat man am Ende diese schmierige „BRD-GmbH“-Fraktion an der Backe. Und die braucht nun wirklich kein Mensch...

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