Berichte von Protesten auf Mayotte

Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

, von  Celina Wald, Elena Iwanski, Malek S, Stéphanie-Fabienne Lacombe

Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße
„Frankreich hat die Asylsuchenden vergessen“ – Demonstranten stehen der Polizei in Mayotte gegenüber Copyright: privat

Im französischen Überseedepartement Mayotte schlafen und protestieren Hunderte von Asylbewerber*innen seit Ende Oktober auf den Straßen. Sie kommen vor allem aus der Region der Afrikanischen Großen Seen. Sie sind tropischen Regenschauern, Hitze und wütenden Nachbarn ausgesetzt und protestieren für die Einhaltung des französischen Asylrechts. Malek und Bertrand, zwei Asylsuchende, berichten von ihren Eindrücken vor Ort. Ein Erfahrungsbericht.

In Mayotte ist eine Arbeitserlaubnis für die Mehrheit der Asylsuchenden nicht zugänglich. Die Arbeitslosenquote auf der Insel ist im Allgemeinen hoch. Die Corona-Maßnahmen, die die französische Regierung seit März 2020 eingeführt hat, haben das wirtschaftliche Überleben vieler Asylsuchenden auf dem Überseeterritorium stark beeinträchtigt. Diese Zustände halten seit einigen Monaten an, wie wir im Juni berichteten.

Eine aussichtslose Situation

Im September haben die lokalen Behörden von Mamoudzou, der Hauptstadt von Mayotte, den Straßenhandel für illegal erklärt. Jedoch sind gerade viele der Asylbewerber*innen auf Gelegenheitsjobs auf den Straßen von Mamoudzou angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch dieses offizielle Verbot des Straßenverkaufs haben viele Asylsuchende keinerlei Einnahmequellen mehr. Bertrand (Pseudonym), einer der Demonstranten, erklärt: "Zuvor verkauften wir im Zentrum von Mamoudzou Zwiebeln, Knoblauch, Gemüse und Früchte. Dann sagte uns der Bürgermeister ‚Ich will das nicht mehr!‘. Wir müssen dieses Gesetz befolgen, obwohl der Straßenhandel uns geholfen hat, die Miete und etwas zu essen zu bezahlen“.



Das Lager der Demonstranten Copyright: privat


Diese jüngsten Beschränkungen waren für viele ausschlaggebend. Der Ausnahmezustand, die Verzweiflung und die Wut ließen die Asylsuchenden Ende Oktober auf die Straße gehen. Unter ihnen sind schwangere Frauen, Mütter mit Kindern und alte Menschen. Sie harren im Freien aus, mit kaum mehr als einigen alten Matratzen und einem gemeinschaftlichen Campingkocher. Viele der Betroffenen waren nicht in der Lage, ihre Miete zu zahlen und haben ihre Wohnung verloren oder stehen kurz davor. Sie werden von ohnehin prekären Lebensbedingungen in noch schlimmere gedrängt und sind dadurch umso mehr der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus ausgesetzt.

Aufgrund von Krieg, Gewalt und/oder Verfolgung sind die Asylsuchenden aus ihrer Heimat geflüchtet, stets in der Hoffnung, auf französischem Territorium Frieden und Sicherheit zu finden. Stattdessen fühlen sie sich nun, wie Bertrand, von den französischen Behörden im Stich gelassen: „Sie betrachten uns als Taugenichtse.“



Sitzstreiks in Cavani. Copyright: privat


Die Verletzung des französischen Asylrechts dauert an

Das letzte Verbot ist nur der jüngste Ausdruck einer anhaltenden Ungleichbehandlung, die die Demonstranten auf die Straße drängte. Malek, selbst Asylsuchender, sagt: „Unsere Geduld ist am Ende. Wenn die Behörden der Insel nicht wollen, dass wir illegal arbeiten, sollten sie uns die Rechte zugestehen, auf die wir Anspruch haben, wie Unterkunft, Nahrung, Gesundheit und Bildung. Bislang werden uns diese Rechte nicht gewährt.“

Theoretisch gilt in Mayotte das gleiche Asylgesetz wie auf dem französischen Festland. Im Rahmen des französischen staatlichen Aufnahmesystems (Dispositif National d’Accueil) haben registrierte Asylsuchende das Recht auf Unterkunft, finanzielle Unterstützung sowie medizinische Versorgung. Faktisch werden den Asylsuchenden in Mayotte diese Rechte jedoch systematisch verweigert: Die Behörden stellen weder Unterkünfte zur Verfügung, noch gibt es finanzielle Unterstützung. Eine kleine Ausnahme: Während der ersten sechs Monate nach der Ankunft, gibt es einige Lebensmittelgutscheine in Höhe von 30 Euro pro Monat.

Wie sowohl Malek als auch Bertrand erklären, fordern die Demonstranten in erster Linie die Gleichbehandlung mit den Asylbewerbern auf dem französischen Festland. Die Protestierenden sind sich sehr wohl bewusst, dass möglicherweise nicht all ihre Forderungen erfüllt werden, zumindest nicht in unmittelbarer Zukunft, wie beispielsweise die Unterbringung in entsprechenden Unterkünften. Bertrand betont, dass es daher umso wichtiger ist, den Asylsuchenden eine Arbeitserlaubnis zu erteilen und ihnen realistische Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten, damit sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, anstatt in Abhängigkeiten gefangen zu sein. Malek, der einen Master-Abschluss in Englisch und Linguistik besitzt, weist darauf hin: "Es gibt so viele Asylsuchende, die hochqualifiziert sind und beeindruckende berufliche Qualifikationen in verschiedenen Bereichen haben. All diese Fachkräfte werden im Stich gelassen und ihre Fähigkeiten vernachlässigt. Anstatt von ihren Kompetenzen zu profitieren, lassen die Behörden ihnen keine andere Wahl, als informellen Tätigkeiten nachzugehen, wie dem Verkauf von Obst und Gemüse, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“

Lokale NGOs verfolgen die aktuellen Proteste mit zunehmender Besorgnis. In der Pressemitteilung von La Cimade Mayotte betonen die Autoren die paradoxe Situation, die die Behörden verursacht haben. Einerseits machen sie es den Asylsuchenden unmöglich zu arbeiten und ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern, andererseits verweigern sie ihnen finanzielle Unterstützung seitens des Staates. "Wie soll man als Asylsuchender überleben, wenn man weder legal arbeiten darf noch finanzielle Unterstützung erhält, da es diese in Mayotte nicht gibt?“

Langsame Reaktionen der Behörden

Bisher haben die lokalen Behörden sehr zurückhaltend auf die Demonstrationen reagiert. Nach mehreren Tagen im Freien wurden 40 als besonders schutzbedürftig eingestufte Personen - hauptsächlich Frauen mit kleinen Kindern - vorübergehend im Jugend- und Kulturzentrum von M’Gombani untergebracht. Infolgedessen kam es zu großer Unzufriedenheit und Protesten in der örtlichen Bevölkerung.

Am 23. Oktober wurde eine Delegation von Vertretern der Demonstranten von der Präfektur Mayottes empfangen, um ihre Forderungen zustellen. Viel gebracht hat es bislang nicht, wie Bertrand berichtet: „In der Präfektur sagte man, sie würden uns eine Antwort geben. Jedoch hat uns niemand ein Datum genannt. Wir sind also immer noch hier und warten, ohne Aussicht auf eine Fortsetzung. Wir wissen nicht, was wir tun sollen.“

Die Situation erinnert an die langen Wartezeiten im Asylverfahren, wie Bertrand und Malek erwähnen. Für viele Asylsuchende steht das Leben auf der Insel für zwei oder sogar mehr Jahre still und ist voller Unsicherheiten, bevor ihr Verfahren abgeschlossen ist. „Die Menschen beginnen, sich furchtbar deprimiert, frustriert und enttäuscht zu fühlen“, beobachtet Malek. „Ich persönlich kenne einige Leute, die wegen des sogenannten langen Verfahrens der CNDA alle ein bis zwei Monate eine Sitzung bei einem Psychiater brauchen. Für uns ist das wie eine Phobie“. Vor nicht allzu langer Zeit, im Sommer 2019, beging ein junger Kongolese Selbstmord, nachdem er eine Ablehnung seines Asylantrags erhalten hatte. Auf höchst tragische Weise macht dieser Fall deutlich, in welch große Aussichtslosigkeit die administrative Gewalt die Asylbewerber bringen kann.

Die Hoffnung bewahren

Derzeit setzt sich La Cimade Mayotte für die Einbeziehung der überseeischen Gebiete in die Überarbeitung der Richtlinien zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen ein, die demnächst in der französischen Nationalversammlung diskutiert werden sollen. Sollten sie hiermit Erfolg haben, würde dies eine grundlegende Änderung der Asylpolitik in den Überseegebieten bedeuten. Angesichts der zunehmend restriktiven Handhabung des Asylrechts stehen die Erfolgsaussichten jedoch nicht besonders gut. Nationale politische Lösungen für die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Asylsuchenden auf dem französischen Festland und in den Überseegebieten stehen noch aus.



Kochen im Regen. Copyright: privat


Trotz der Unsicherheit über eine für die Asylsuchenden günstigere Politik haben die Demonstranten gezeigt, dass sie sich ihrer Rechte bewusst sind und bereit sind, für diese einzutreten. Malek zeigt sich kämpferisch: "Wir werden so lange protestieren, bis sie uns die Rechte gewähren, die uns ein friedliches Leben ermöglichen.“ Doch nicht alle schließen sich der Bewegung an. Einige haben Angst, dass ihre Teilnahme an den Protesten Konsequenzen für ihr Asylverfahren haben könnte. Andere fürchten verbale Einschüchterungen sowie körperliche Aggressionen seitens der lokalen Bevölkerung – beides ist inzwischen tägliche Realität geworden. Andere, meist abgelehnte Asylsuchende, meiden die Straßen wegen der Polizeipräsenz und der Gefahr, verhaftet zu werden, wodurch sie nicht einmal dazu kommen, ihre politischen Forderungen öffentlich zu äußern.

Nichtsdestoweniger verdeutlichen die aktuellen Proteste das Potenzial, das in der Vereinigung von Kräften, der Bildung von Solidaritätsnetzen und dem Widerstand gegen das unterdrückende Migrationsregime steckt. Mayotte ist bisher nicht wie der europäische Kontinent von der zweiten Covid-19-Welle erfasst worden. Ein zweiter Lockdown könnte die Fortsetzung der Proteste gefährden. Die damit verbundenen Forderungen und Hoffnungen bleiben jedoch bestehen: "Wenn Frankreich uns unterstützen kann, wird es uns helfen zu leben, nicht nur zu existieren.“

Ihr Kommentar
  • Am 30. November 2020 um 14:54, von  Al-Suhaiqi Nabeel Als Antwort Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

    HELLO Your Honour, I am one of the asylum seekers in Mayotte. I testify and declare that our representative whose name is Malek is completely right and all what he said is correct. We as an asylum seekers have no rights in Mayotte. We suffer a lot. We are so neglected and abandoned. We need our message to be out and delivered to the authorities to really consider our cases.we run away from a fast death in Yemen to a slow death in Mayotte, France. This is not a life. They treated us like animals.

  • Am 30. November 2020 um 15:00, von  Akram Als Antwort Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

    I’m one of those refugees ..and every word in this article are specific discrabtion about what we suffer ... I hope they listen to us and at least give us our normal rights..

  • Am 30. November 2020 um 15:37, von  Ahmed Als Antwort Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

    Nous espérons qu’il y aura un résultat

  • Am 30. November 2020 um 18:11, von  Mohmmed saeed Als Antwort Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

    Bonjour tout le monde

    Je veux remercie monsieur Malik shomasyi

    Pars que tout le temps il parle de tout le réfugiés et ses souffrir dans île Mayotte

    Courage mon frère

    Je espère success pour toi

  • Am 1. Dezember 2020 um 19:16, von  منصور عبدالكريم Als Antwort Sie kämpfen für ihre Rechte: Mayottes Asylbewerber*innen demonstrieren auf der Straße

    مساء الخير جميعا انا احد طالبي اللجوء في مايوت خريج بكالوريوس ادارة اعمال حتى الان سنتين وسبعه اشهر وانا في هذه الجزيره ولم اجد حل لاوراقي التي مازالت في محكمه( CNDA) واتفق مع مالك في كل ما قاله للاسف نحن نعيش في وضع معيشي صعب جدا نعاني من مشاكل صحيه نفسيه بسبب تاخر المعاملات وعدم مساواتنا مع طالبي اللجوء في فرنسا هربنا من الحرب من اجل ان نجد السلام في فرنسا لكن للاسف نحن نعاني من وضع قاسي اشد من الحرب بحيث نتعرض لضغوط نفسيه ونحتاج الى زيارة طبيب نفسي هنا في جزيرة مايوت يعتبر موت بطيء ارجوا ان تصل رسالتنا الى من هم مسوولين عن طالبي اللجوء ومساواتنا مع طالبي اللجوء في فرنسا وسرعة اتخاذ القرارات لانها تشكل ضغط نفسي وشكرا لكم

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom