Österreichs brauner Schatten

, von  Felix Lehmann

Österreichs brauner Schatten
Heinz-Christian Strache, österreichischer Vizekanzler Foto: Franz Johann Morgenbesser / Flickr/ CC BY-SA 2.0 - Lizenz

Seit Sebastian Kurz im Dezember 2017 als österreichischer Bundeskanzler vereidigt wurde, ist das Land zum Problemfall für die Europäische Union (EU) geworden. Um die Koalition zwischen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei (FPÖ) zu erreichen und die Kanzlerschaft sicherzustellen, musste Kurz auf einen expliziten pro-europäischen Kurs verzichten. Die Folgen sind gravierend für Österreich und die EU.

Seit der Regierungsbildung zwei Monate nach der Nationalratswahl im Oktober 2017, bei der die FPÖ mit 26 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft wurde, ist das Alpenland der einzige EU-Mitgliedsstaat mit einer rechtspopulistischen Partei an der Regierung. Trotzdem ist der Wahlerfolg der Rechten nicht überraschend.

Die rechte FPÖ, eine normale Partei in Österreich

Im Gegensatz zu Deutschland – das nach viel Widerstand letztendlich die Verantwortung für die Nazi-Verbrechen als einen wichtigen Teil seiner Identität akzeptierte – hat sich Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges weitestgehend der eigenen Geschichtsverarbeitung entzogen. Österreich propagierte sich als „erstes Opfer“ eines expandierenden Nazi-Deutschlands, basierend auf dem „Anschluss“ von 1938, durch den die politische Ausrichtung des Landes durch Besatzung praktisch „erzwungen“ wurde.

Österreichs Rolle im Nationalsozialismus wurde somit relativiert und kein großflächiges Umdenken fand statt. Der Nährboden für Rechtsextremismus blieb erhalten, wodurch die Rechte in Österreich immer relativ stark vertreten war. Die FPÖ, 1956 gegründet und von ehemaligen SS-Offizieren geführt, lenkte seit den 1970-ger Jahren, mal mehr, mal weniger direkt, die Geschicke der Republik. Die starke Präsenz nationalsozialistischen Gedankenguts blieb so ein Bestandteil der Nachkriegspolitik- und gesellschaft.

Die Berichterstattung zur Nationalratswahl im Oktober zeigte deutlich, wie tief verwurzelt und normalisiert die Präsenz rechter Parteien in Österreich allgemein ist. Zwar wurde die FPÖ als Problem identifiziert, aber die nationalen Umstände dieses Erfolgs wurden nicht hinterfragt. Von Schock keine Spur. Bei der Bundestagswahl in Deutschland erzeugten die 13,1 Prozent der Alternative für Deutschland (AfD) ein ganz anderes Medienecho, repräsentierten sie doch den anscheinenden Zerfall der so sicher geglaubten post-nationalistischen Identität Deutschlands.

Gefahr für die EU

Im Gegensatz zur FPÖ ist die AfD nicht Teil der Bundesregierung. Wien ist zu einer Gefahr für die EU geworden, in einer Reihe mit den Staaten der Visegrad-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei). Zwar ist die Situation im Alpenland noch bei weitem nicht so gravierend wie in Warschau oder Budapest, doch die FPÖ ist mehr als bereit, die Werte der EU mit Füßen zu treten.

Obwohl das Regierungsprogramm sich zur EU bekennt, spiegelt die Aufgabenliste des ÖVP-FPÖ-Bündnisses tendenziell autoritäre Bestrebungen wider. Ein Hauptthema ist dabei Migration. Asylbewerbern sollen bei der Ankunft Handy und Geld abgeben. Auch gibt es Pläne, abendliche Ausgangssperren für Asylbewerber einzuführen und Migranten in staatlichen Zentren zu „konzentrieren“. Sollten diese Vorschläge zum Gesetz werden, ist eine fortschreitende Zersetzung von EU-Grundsätzen und gemeinsamer Politik auf breitere Front nicht auszuschließen.

Hinzu kommen die geplanten Attacken auf die Pressefreiheit. Es kein Geheimnis, dass der Jugendsender des Österreichischen Rundfunks (ORF), FM4, aufgrund seiner eher links-liberalen Berichtserstattung schon länger ein Dorn im Auge der FPÖ ist. Ende Januar veröffentlichte das österreichische Nachrichtenmagazin der Falter dann eine vertrauliche Mitteilung, dass FM4 von der Regierung ab 2019 abgeschaltet werden soll. „Offizielle Begründung: Nichterfüllung des Bildungsauftrags“.

Auch wenn eine Schließung des Senders einhergehende Gesetzesänderungen voraussetzen würde, so ist die alleinige Artikulation solch einer Drohung in einem demokratischen Staat ungeheuerlich. Und mögliche Gefahren für die Meinungsfreiheit sind nie einfach von der Hand zu weisen. So ließ FPÖ-Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Dezember verlautbaren, dass im ORF “Optimierungen“ vorgenommen werden sollen, „was die Objektivität betrifft”. Dem ORF zufolge wird ein Umbau der Organisation erwartet, nachdem der Stiftungsrat als politisches Kontrollgremium vorherrschend mit Vertretern der Regierungsparteien besetzt wurde.

Die heutige FPÖ ist radikaler als sie unter dem 2008 verstorbenen Parteichef Jörg Haider war. Gleichzeitig ist die Gesellschaft in den Jahren insgesamt weiter nach rechts gerückt. Österreich ist ebenso ein Symptom eines sich ausbreitenden Anti-EU-Sentiments, dass ein „Europa der Nationalstaaten“ einem unter der EU geeinten Europa entgegenstellt.

Dennoch besteht Hoffnung auf den Erhalt des europäischen Geistes in Österreich. Sebastian Kurz steht in der Verantwortung, die Rechte und Pflichten seines Landes der EU gegenüber aus reinem innenpolitischen Kalkül nicht zu vernachlässigen. Dass Kurz zu seinem Antrittsbesuch nach Brüssel fuhr, um die EU-Spitze zu beruhigen, war also ein wichtiges Zeichen – für Brüssel ebenso wie für seine Wiener Koalitionspartner.

Wenn Österreich am 1. Juli dieses Jahres die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, hat Kurz die Chance zu beweisen, dass er seine Regierung genug im Griff hat, um einen konstruktiven EU-Kurs durchzusetzen. Als eigentlich liberaler Politiker muss er dem Druck aus den Reihen der FPÖ standhalten, um die Stimmung in Österreich nicht kippen zu lassen.

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