Seaspiracy - Wie verheerend ist die Zerstörung unserer Ozeane wirklich?

, von  Laetitia Keune

Seaspiracy - Wie verheerend ist die Zerstörung unserer Ozeane wirklich?

„Wenn sich am gegenwärtigen Trend nichts ändert, werden unsere Ozeane bis 2048 praktisch leergefischt sein. “ - Mit Aussagen wie diesen schlägt die neue Netflix-Dokumentation „Seaspiracy“ hohe Wellen. Sie zeigt die Zerstörung der Ozeane und will damit auf die folgenschweren Auswirkungen des industriellen Fischfangs aufmerksam machen. Die einzige Lösung des Problems scheint für die Produzent*innen darin zu liegen, den weltweiten Fischkonsum komplett einzustellen. Aber Verzicht kann nicht die einzige Antwort sein. Ein Kommentar.

Worum geht es in Seaspiracy?

Die im März veröffentlichte Netflix-Dokumentation „Seaspiracy“ wurde von dem Umweltschützer Ali Tabrizi gedreht und soll die Schattenseiten der industriellen Fischerei aufdecken. Dabei werden Themen wie Überfischung, Zerstörung des Ökosystems in den Meeren und Plastikverschmutzung durch die Fischerei beleuchtet. Insbesondere die Frage, wie nachhaltige Fischerei in Zukunft aussehen könnte, wird behandelt und mit einem simplen Fazit geklärt: Der einzige Weg, unsere Ozeane zu schützen, ist, schlichtweg auf den Konsum von Fisch und Meeresfrüchten zu verzichten.

Überspitzte Statistiken lassen die Problematik bedrohlicher wirken

Um zu verdeutlichen, wie dramatisch die Auswirkungen der Fischindustrie auf unsere Meere eigentlich sind, werden bewusst überspitzte und bereits widerlegte Statistiken herangezogen. Die Aussage „Im Jahr 2048 werden keine Fische mehr in den Meeren schwimmen“, basiert beispielsweise auf einer veralteten Statistik, die bereits einige Jahre später von denselben Wissenschaftler*innen widerlegt worden ist. Auch die Behauptung „Fischernetze machen 46 Prozent des Plastiks im großen pazifischen Müllteppich aus“ ist zweifelhaft, da sich die Studie allein auf schwimmendes Plastik bezog und den Anteil an Mikroplastik im Meer nicht berücksichtigte. Aber insbesondere die Äußerung „Nachhaltigen Fischfang gibt es nicht“ lässt die Zuschauenden hoffnungslos und schockiert auf den Bildschirm blicken. Durch diese Überspitzungen entsteht der Eindruck einer verheerenden Zerstörung der Ozeane. Es ist verständlich, dass die Produzent*innen, denen das Thema sehr am Herzen zu liegen scheint, möglichst viel Aufmerksamkeit generieren und ihr Publikum wachrütteln möchten. Allerdings machen sie sich mit ihrem fehlerhaften Umgang mit wissenschaftlichen Quellen zugleich angreifbar.

Die Dokumentation erntet scharfe Kritik

Negative Kritik von Seiten der Fischereiindustrie war absehbar. Aber auch bei Verbänden und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Greenpeace, WWF und BUND e.V. ist „Seaspiracy“ sehr umstritten. Insbesondere die teilweise unwissenschaftlichen Fakten werden kritisiert und in einem Artikel vom BUND e.V auch geprüft.

Auch der in der Dokumentation beworbene Ansatz, ganz auf Fisch zu verzichten, wird kontrovers diskutiert. Wie es der Head of Oceans von Greenpeace, McCallum, auf den Punkt bringt: „Veganer zu sein, kann nicht die einzige Antwort sein…“ Es braucht eine langfristige Lösung, die sowohl den Menschen als auch unseren Planeten berücksichtigt.

„Die Aussicht auf eine Erholung der Meere ist nahezu elektrisierend“

Gegen Ende der Dokumentation erklärt der Journalist und Umweltschützer George Monbiot, dass es Grund zur Hoffnung gibt: „Maritime Ökosysteme erholen sich schnell - wenn man sie lässt…“. Dass eine solche Erholung möglich ist, hat eine Lebensader Europas - der Rhein - bereits vor einigen Jahren bewiesen. In den 1970er Jahren waren europäische Städte und Industrien noch nicht mit Kläranlagen ausgestattet und leiteten ihre Abfälle ungeklärt in den Fluss. 1986 trieben in Folge eines Großbrands im Schweizer Chemieunternehmen Sandoz hochgiftige Pestizide und Quecksilber in den Rhein. Die Folgen für das Ökosystem waren verheerend: das Wasser färbte sich blutrot und tötete auf einer Strecke von 400 Kilometern nahezu alle Aale, Zander, Hechte, Schnecken, Muscheln, Kleinstlebe-wesen sowie Wasservögel. Außerdem brach teilweise die Trinkwasserversorgung der Rheinanlieger*innen zusammen und die Wasserwerke mussten geschlossen werden.

Die Politik leitete ein ganzes Maßnahmenbündel in die Wege

Ökologische Themen wie die Rheinverschmutzung stiegen zu einem gesellschaftspolitischen Dauerbrenner auf und die Stimmen von grünen Parteien und Umweltverbänden wie Greenpeace wurden immer lauter. Mit Erfolg: Deutschland errichtete 1986 das Bundesumweltministerium und die Umweltminister der involvierten Anrainer - also Länder, die auch von der Katastrophe betroffen waren - erließen zahlreiche Gesetze und verabschiedeten Programme. Eines davon ist das dreiphasige „Aktionsprogramm“, das am 1. Oktober 1987 in Straßburg beschlossen wurde. Ziel war es, Gefahrenstoffe zu entfernen und bis 2000 Trinkwasserqualität zu erreichen und die Rückkehr der Lachse zu ermöglichen.

Europa zeigt einen Weg aus der Krise

All diese gemeinsamen Maßnahmen erwiesen sich als effektiv und haben dazu geführt, dass sich die Wasserqualität in den letzten Jahren deutlich verbesserte und heute Lachse, Heringe, Aale und viele weitere Fische wieder im Rhein heimisch sind. Auch die Industrie bekam strengere Auflagen und stellte auf eine umweltfreundlichere Produktion um, so dass überall Kläranlagen errichtet wurden. Finanziert wird das Ganze durch Umlagen: Wer wenig verschmutzt, zahlt wenig, und wer viel verschmutzt, zahlt viel.

Europas Lösung für die ganze Welt

So wie es Europa gelungen ist, das Ökosystem „Fluss“ wieder ins Gleichgewicht zu bringen, so könnte es auch der Welt gelingen, das Ökosystem „Meer“ ins Lot zu bringen. Denkbar wäre die Schaffung eines überstaatlichen Marine-Schutzministeriums der Vereinten Nationen, das für alle Länder verbindliche Schutzverordnungen erlässt und diese kontrolliert. Eine andere Möglichkeit wäre der Abschluss internationaler Verträge, die klare Richtlinien etablieren und nachhaltige Maßnahmen einleiten. Eine davon könnte die Errichtung von konkreten „Regenerationszonen“ sein, also von Meeresflächen, in denen nicht gefischt werden darf, so dass sich der Ozean regenerieren kann. Andererseits könnte eine vertragliche Norm die Anzahl, Ort und Art des Fischfangs regulieren, was von einer zwischenstaatlichen „Haute Autorité“ - sprich einer internationalen Aufsichtsbehörde - überwacht wird. Dabei könnten auch Anreize für die Industrie geschaffen werden, tatsächlich eine nachhaltigere Produktion einzuleiten, indem ein ähnliches Prinzip wie bei der Lösung der Rheinkrise eingeführt wird: Wer nachhaltig fischt, erhält Subventionen und wer nicht nachhaltig fischt, wird sanktioniert. So wird es für die Fischerindustrie reizvoller, ihren nachhaltigen Fischfang zu beweisen, statt destruktiven Fischfang zu verheimlichen.

Es wird Zeit, neue Wege zu gehen

Es wird also deutlich, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, die in „Seaspiracy“ aufgeführten Probleme zu lösen. Am wichtigsten dabei ist unser erklärter Wille, endlich neue Wege einzuschlagen, um den nachfolgenden Generationen langfristig einen lebendigen Ozean garantieren zu können. Und auch wenn weltweiter Verzicht nicht die einzige Antwort auf die Überfischung sein kann, ist es jetzt an der Zeit, seinen eigenen Fischkonsum zu überdenken und bewusst zu reduzieren. Noch viel wichtiger aber ist die Durchsetzung von globalen Spielregeln, an die sich alle Länder halten müssen. Insbesondere die EU sollte sich dafür einsetzten und die ersten wegweisenden Impulse geben.

So umstritten die Dokumentation Seaspiracy auch sein mag - sie hat einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie mit schockierenden Videos und Bildern auf ein Problem aufmerksam macht, das jede und jeden von uns etwas angeht.

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