Schwedens Einsatz für ein soziales Europa

, von  Anna Rääs, übersetzt von Daniel Michel

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Schwedens Einsatz für ein soziales Europa

Obwohl Arbeits- und Sozialpolitik zu den Kompetenzen der Mitgliedsstaaten gehören, hat der Vorschlag der Europäischen Kommission, eine europäische Säule sozialer Rechte zu schaffen, die Debatte um die Entwicklung einer sozialen Dimension der Europäischen Union erneut entfacht. Schweden applaudiert.

Auf dem Weg zu einer europäischen Säule sozialer Rechte

Europa ist nach der Finanzkrise ein Synonym für einen schwachen wirtschaftlichen Aufschwung, und für manche auch für ein System, das nicht zu besseren sozialen Bedingungen führen wird. Im März 2016 hat die Europäische Kommission ihre erste Version der Europäischen Säule Sozialer Rechte vorgestellt, die durch ihren Präsidenten Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union angekündigt worden war. Als Teil des Plans der Kommission, eine integriertere und gerechtere Wirtschafts- und Finanzunion zu schaffen, greift die soziale Säule die Probleme der Arbeits- und Sozialpolitiken an. Die Kommission hofft, dass die Säule dazu beitragen wird, ein soziales Europa zu schaffen, das mehr im Einklang mit der Wirtschaftsunion liegt und gleichzeitig den Vorteil der Europäischen Arbeitnehmer*innenrechte schützt. Der erste Vorschlag umfasst drei große Kategorien: Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt, gerechte Arbeitskonditionen und eine adäquate und haltbare soziale Absicherung. Das Ziel dabei ist, 20 Prinzipien einzuführen, um so die bereits existierenden Errungenschaften der Sozialunion zu vervollständigen und die Evaluation und Verbesserung der Arbeits- und Sozialpolitiken auf Ebene der Mitgliedsstaaten anzuleiten. Auf diese Weise soll letzten Endes die Harmonisierung der Mitgliedsstaaten im sozialen Bereich voran getrieben werden. Zwar zielt die neue Säule in erster Linie darauf ab, die Annäherung innerhalb der Euro-Zone zu fördern, Nicht-Mitglieder der Eurozone werden trotzdem dazu eingeladen sein, sich von sich aus der Säule anzuschließen.

Der Weg zu einem sozialen Europa

Schweden wünscht sich, eine führende Rolle in diesen Diskussionen einzunehmen. Seit ihrer Einsetzung 2014 hat die aus Sozialdemokraten und Grünen bestehende Regierung es sich zum Ziel gesetzt, ein soziales Europa zu schaffen, um Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln. Unter dieser Regierung ist die schwedische Forderung nach einer Vertiefung des gemeinsamen Marktes und der Dynamisierung des Wettbewerbs untrennbar mit einer Forderung nach gerechteren Arbeitsbedingungen und einem besseren Arbeitsschutz verbunden. Als Teil der Arbeit an einer stärkeren sozialen Dimension Europas hat die Regierung angekündigt, kommenden Herbst in Stockholm einen Sozialgipfel ausrichten zu wollen. Dieses Treffen soll zum Ziel haben, die Grundsteine für ein sozialeres Europa zu legen. Nach dem Brexit-Votum hat der Premierminister Stefan Löfven die Notwendigkeit betont, die Zusammenarbeit Europas auf sozialem Niveau zu vertiefen, um besser auf die Bedürfnisse der Bürger*innen reagieren zu können. Als Nicht-Mitglied der Eurozone sind die Chancen Schwedens, auf die Schaffung einer wirklichen Sozialpolitik innerhalb der Eurozone Einfluss zu nehmen, offensichtlicher Weise gering. Daher würde die Regierung eine soziale Säule bevorzugen, die alle Mitgliedsstaaten einschließt. Mit einer möglichen Machtverschiebung nach dem Brexit zum Vorteil der Euro-Staaten, muss Schweden nun neue Allianzen knüpfen, um seinen Einfluss auf die Europäische Sozialpolitik zu sichern. In diesem Sinne wäre der Sozialgipfel eine gute Möglichkeit, einen Zeitplan festzulegen. Nach Aussagen der Regierung arbeiten Premierminister Löfven und seine Minister bereits in enger Zusammenarbeit mit der Kommission an der Planung der sozialen Säule. Und, wie durch Zufall, ist die für dieses Thema in der Kommission zuständige Person kein anderer als der Ex-Finanzminister Schwedens, der Sozialdemokrat M. Allan Larsson.

Die Wahrung des schwedischen Modells

Während die schwedische Regierung von ganzem Herzen das Konzept der sozialen Säule und die Schaffung eines sozialeren Europas unterstützt, ist es wichtig zu verstehen, was sie sich wirklich davon verspricht. In der Tat stimmen die Meisten der vorgeschlagenen Prinzipien mit der schwedischen Agenda im sozialen Bereich überein, wie beispielsweise die Verbesserung der Bildungssysteme, die Förderung des lebenslangen Lernens, die Weiterentwicklung der Koordinierung der Sozialsysteme, sowie die Ermutigung zu einer besseren work-life balance sowie gendergerechter Elternzeiten. Trotzdem stimmen nicht alle Vorschläge mit den schwedischen Vorstellungen überein. Die Ideen zum Thema Mindestlohn könnten der Regierung Kopfschmerzen bereiten. Die schwedische Europaabgeordnete Marita Ulvskog teilte der schwedischen EU Nachrichtenwebsite Europaportalen mit, dass das Schwedische Modell, in dem die Arbeitgebenden und die Tarifparteien das Lohnniveau sowie die Arbeitsbedingungen ohne Einmischung der Regierung verhandeln, ein Erfolg sei, und von daher beschützt und gewahrt werden müsse. Es scheint außerdem, dass die schwedische Regierung es bevorzugt, dass der Bereich der sozialen Sicherung eine nationale Kompetenz bleibt, zweifelsohne weil sie das schwedische System auch hier beibehalten wollen, um eventuellen zukünftigen neuen europäischen Gesetzen aus dem Weg zu gehen, die nationale Regelungen aufweichen könnten.

Soziale Fragen nehmen eine immer wichtigere Bedeutung auf der EU Agenda ein. Neben der Sozialen Säule hat die Europäische Kommission die Bedeutung und das Gewicht der sozialen Überlegungen im Europäischen Semester erhöht und Initiativen vorangebracht, die die Mobilität von Arbeitnehmer*innen einfacher und gerechter gestalten sollen. So hat sie beispielsweise eine Revision der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgeschlagen. Diese Revision trifft den Kern des Kampfes der schwedischen Regierung gegen Sozialdumping innerhalb der EU, ihr Ansatz ist „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Elf nationale Parlamente haben bereits ihre Opposition gegenüber dieser Revision zum Ausdruck gebracht und Ann Linde, die Schwedische Europaministerin, hat die Entscheidung der Kommission weiter an dieser Revision zu arbeiten gegenüber Europaportalen als „einen Sieg für uns“ bezeichnet.

Die Leitlinie der Europäischen Säule Sozialer Rechte mit ihren 20 Prinzipien war bis zum 31. Dezember 2016 Thema einer breiten öffentlichen Konsultation. Das Ziel war es, eine Auswertung der aktuellen Situation zu erhalten sowie Kommentare zur ersten Version des Vorschlags. Außerdem sollten die Nicht-Euroländer dazu ermutigt werden, darüber nachzudenken, ob sie der Säule beitreten möchten oder nicht. Es wird erwartet, dass die Kommission ihren überarbeiteten Vorschlag Anfang 2017 präsentiert. Die Form und das juristische Gerüst der Säule sind Punkte, die noch diskutiert werden müssen. Trotz des Ehrgeizes der schwedischen Regierung bleibt unklar, ob sie bekommen, was sie sich wünschen: der Wille, gewisse Aspekte des nationalen Systems sozialer Sicherung und des Modells des Arbeitsmarktes zu wahren könnten nicht mit den Erwartungen aus Brüssel und der Agenda der anderen Mitgliedsstaaten übereinstimmen.

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