Revision der EU-Jugendstrategie: Da ist noch Luft nach oben

, von  Louise Guillot, übersetzt von Johanna Varanasi

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [français]

Revision der EU-Jugendstrategie: Da ist noch Luft nach oben
Tibor Navracsics, EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport Fotoquelle: Flickr / Krum Stoev (EU2018BG Bulgarian Presidency) / CC BY 2.0

Wussten Sie, dass es eine Jugendstrategie der Europäischen Union gibt? Seit 2010 setzt die Europäische Kommission in Absprache mit den Mitgliedstaaten Maßnahmen zugunsten der europäischen Jugend in acht Schlüsselbereichen um: „Beschäftigung und Unternehmergeist, soziale Inklusion, Teilhabe, Allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheit und Wohlbefinden, Freiwilligentätigkeiten, Jugend in der Welt sowie Kreativität und Kultur“. Die Strategie läuft Ende 2018 aus und wird derzeit für den Zeitraum 2019-2027 überarbeitet und erneuert.

Die EU-Jugendstrategie im Überblick

Bildung und Jugend sind Zuständigkeitsbereiche, in denen die Europäische Union Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Mitgliedstaaten umsetzen kann. Sie kann die Mitgliedstaaten nicht zwingen, ihre nationalen Gesetze zu harmonisieren, und keine rechtsverbindlichen Handlungen in diesem Bereich verabschieden, sondern ihren Mitgliedern nur beratend beiseite stehen. Ein Vergleich der Bildungs- und Jugendpolitik zeigt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Möglich sind allerdings bestimmte Maßnahmen auf europäischer Ebene, von denen Bürger*innen aller Mitgliedstaaten profitieren können: beispielsweise Initiativen zur Erleichterung der Mobilität junger Menschen mit dem Programm Erasmus+ oder die Unterstützung der am stärksten benachteiligten Jugendlichen bei der Suche nach einer Ausbildung, einem Praktikum oder einem Arbeitsplatz. Letzteres existiert dank der EU-weiten Jugendstrategie.

Da Initiativen der EU in diesem Bereich nicht rechtsverbindlich sein können, ist die Jugendstrategie das Ergebnis einer Initiative der Mitgliedstaaten, die auf europäischer Ebene stärker im Bereich Jugend und Bildung zusammenarbeiten wollen. Die Offene Koordinierungsmethode (OKM) macht dies möglich. Diese Methode definiert und etabliert einen Rahmen für die Zusammenarbeit, indem z.B. Ziele in bestimmten Bereichen gemeinsam definiert werden: die Berufsberatung stärken, die Qualität von Praktika oder Lehrstellen fördern, den Unternehmergeist fördern, die Schulabbruchsquote verringern, den Übergang von der allgemeinen und beruflichen Bildung in den Arbeitsmarkt verbessern, die Beteiligung von unterrepräsentierten Jugendgruppen, Jugendorganisationen sowie anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Politik fördern. Die Europäische Kommission kann dann eine unterstützende und koordinierende Rolle spielen, um den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.

Neuausrichtung der Europäischen Jugendstrategie bis Ende 2018?

Die gemeinsame Strategie läuft nun Ende dieses Jahres aus, eine Verlängerung für den Zeitraum 2019-2027 wird seitens der Mitgliedstaaten jedoch befürwortet. Nötig ist hierfür lediglich ein Beschluss des Rates der Europäischen Union. Da die Strategie kein Gesetzgebungsakt ist, muss diese nicht im Europäischen Parlament beschlossen werden – die Mitgliedstaaten können den Inhalt gemeinsam mit der EU-Kommission definieren. Bereits im vergangenen Mai hat die EU-Kommission eine Mitteilung für eine neue europäische Jugendstrategie veröffentlicht. Sie beruht auf einer Bewertung der noch aktuellen Strategie, einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments und dem Beitrag des Europäischen Jugendforums, eines repräsentativen Gremiums aus Jugendlichen sowie Vertretern von Jugendorganisationen auf europäischer Ebene. Wichtig zu wissen ist, dass das Jugendforum Teil des Strukturierten Dialogs zwischen den europäischen Institutionen und den Vertreter*innen der europäischen Jugend ist und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Jugendstrategie leisten soll. Wichtig zu wissen ist außerdem, dass die Jugend- und Bildungsminister*innen der Mitgliedstaaten zu diesem Thema im Rat der Europäischen Union über den Vorschlag der EU-Kommission beraten und mit der EU-Kommission über diesen verhandeln werden. Der Rat hat bis November 2018 Zeit, eine gemeinsame Position zu finden.

Den Jugendlichen auf dem Europäischen Jugendforum Gehör verschaffen: für eine neue und ehrgeizige Strategie

In Frankreich wurden junge Menschen über die große Provox-Umfrage zur künftigen europäischen Strategie befragt. Mehr als 2500 Antworten sind dabei eingegangen. Diese wurden während des Provox-Festivals im vergangenen Februar analysiert und diskutiert, um eine Reihe von Forderungen an die Strategie zu formulieren, die die französischen Vertreter*innen auf der europäischen Jugendkonferenz im April in Sofia einbringen sollten. Eigentlich sollte diese Konferenz, die alle sechs Monate in dem Mitgliedstaat abgehalten wird, der die EU-Ratspräsidentschaft innehat, der europäischen Jugend ein Forum bieten, ihre Forderungen in an die europäischen Institutionen und anwesenden Minister*innen zu stellen. Doch obwohl Jugendliche in Sofia elf Jugendziele („Youth Goals") formulierten, schienen diese bei den Entscheidungsträger*innen nicht auf offene Ohren zu stoßen: anwesende Politiker*innen fielen durch Abwesenheit oder Desinteresse auf. Tibor Navracsics, EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, verließ die Konferenz direkt nach seiner Rede, ohne die Reaktionen und Empfehlungen der Jugendlichen abzuwarten. Auch bulgarische Politiker*innen zeigten sich von keiner besonders guten Seite. Der Vorsitzende des Europäischen Jugendforums, Luis Alvarado, reagierte in einer Kolumne auf Euractiv und sagte, die bulgarische Regierung verfolge „einen oberflächlichen und herablassenden Ansatz“. Die folgende Jugendkonferenz (2. bis 4. September in Wien) wird die letzte Gelegenheit für die Vertreter*innen der Jugend gewesen sein, ihre Forderungen an die europäischen Institutionen und insbesondere an die österreichische Präsidentschaft zu richten, die für den Abschluss der Verhandlungen zuständig ist.

Was beinhaltet der Vorschlag der Kommission für eine neue europäische Jugendstrategie?

In einer am 22. Mai 2018 veröffentlichten Mitteilung skizziert die EU-Kommission die neue Strategie: Sie verfolgt eine bessere Harmonisierung der Jugendpolitik sowie der Finanzierung dieser auf EU-Ebene. Sie konzentriert sich auf drei Schwerpunkte: Mobilität, Vernetzung und Selbständigkeit sollen junge Europäer*innen zu aktiven und engagierten Bürger*innen machen – insbesondere im Hinblick auf die Europawahlen im Mai 2019. Die EU-Kommission macht darüber hinaus konkrete Vorschläge, z.B. die Schaffung des Postens einer Person, die Jugendaktivitäten koordiniert, die Überarbeitung des strukturierten Dialogs, die Beseitigung von Hindernissen für die Mobilität junger Freiwilliger, eine bessere Anerkennung des informellen Lernens und die Stärkung der Verbindung zwischen der Jugendpolitik der EU und den europäischen Förderprogrammen (Horizont 2020, Kreatives Europa, Europäisches Solidaritätskorps usw.).

Mit diesen Maßnahmen sollen einige Mängel der derzeitigen Strategie, auf die das Europäische Parlament in seinem Bericht hingewiesen hat, beseitigt werden. Die aktuellen Auswirkungen von Maßnahmen der noch aktuellen Strategie auf junge Menschen sind nur schwer zu beurteilen, da sich die ergriffenen Maßnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und die zu Verfügung stehenden Daten stark unterscheiden. Genau dies kritisiert auch das Europäische Parlament in seiner Analyse und Bewertung der derzeitigen Strategie: Es betont mehrfach, dass die Ziele der Strategie sehr weit gefasst und ehrgeizig sind und es daher schwierig ist, den Fortschritt zu messen: „Die derzeitige EU-Jugendstrategie umfasst eine hohe Anzahl vorgeschlagener Initiativen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen (nicht unbedingt in bestimmten Politikbereichen) […] während es sich bei den übergeordneten Zielen vielmehr um allgemeine Mottos handelt. […] Ferner lässt sich schließen, dass es im Allgemeinen keine Instrumente zur Messung der politischen Auswirkungen gibt, da die bislang verwendeten Instrumente lediglich Datensammlungen hervorgebracht haben, die sich kaum miteinander vergleichen lassen und in Bezug auf einzelne Mitgliedstaaten nicht dazu beitragen, die tatsächlichen Auswirkungen der gewählten Maßnahmen zu verdeutlichen."

Bei der Lektüre der Mitteilung der Kommission fällt hingegen auf, dass sie die elf Ziele („Youth Goals“), die auf der Konferenz in Sofia von den beteiligten Jugendlichen und Jugendverbänden als prioritär identifiziert wurden, nur teilweise integriert. Die Beteiligung von Jugendlichen soll durch Konsultationen zwar insgesamt gestärkt werden, es fehlen jedoch konkrete Vorschläge zur Bewertung und Überwachung der Fortschritte, die die Mitgliedstaaten erzielen. Zwar wird die EU-Kommission EU-weite Indikatoren für die Jugend per „Übersichtstafel“ erfassen, Pläne zur Umsetzung auf nationaler Ebene sowie deren Überwachung und Analyse gibt es jedoch nicht. Es ist zu befürchten, dass diese Aufgabe den Jugendorganisationen zufallen wird.

Darüber hinaus bleiben die Rolle sowie die genauen Aufgaben, die der*die Europäische Jugendkoordinator*in haben wird, noch sehr vage und müssen geklärt werden. Laut der aktuellen Beschreibung soll diese Person sowohl die den*die verantwortliche*n EU-Kommissar*in beraten als auch Maßnahmen der europäischen Institutionen und Agenturen sowie der Mitgliedstaaten koordinieren und kohärent umsetzen. Darüber hinaus wäre sie Ansprechpartner*in für Jugendorganisationen im Rahmen des strukturierten Dialogs. Ob für diese vielen und vielfältigen Aufgaben eine institutionalisierte Arbeitsstruktur, ein Team oder ein Budget zur Verfügung stehen wird, steht in den Sternen...

Und jetzt?

Die Verhandlungen auf der Grundlage dieses Kommissionsvorschlags werden fortgesetzt. Am 22. und 23. Mai 2018 haben sich die europäischen Jugend- und Bildungsminister*innen zu Beratungen getroffen. Auf das Ergebnis dieser Beratungen reagierte das Europäische Jugendforum, indem es die Partizipation der Jugend erneut einforderte: Die Jugend sollte eine Stimme in den Bereichen erhalten, die sie direkt betreffen. Ebenfalls sollten die elf Jugendziele in die Ausarbeitung der künftigen EU-Jugendstrategie einfließen. Die nächste – und letzte – Phase der Verhandlungen wird auf dem Wiener EU-Rat am 3. und 4. September stattfinden. Dann soll die neue Europäische Jugendstrategie 2019-2027 verabschiedet werden. Also: Dranbleiben!

Anm.d.Red.: Dieser Artikel erschien erstmals am 27. Juli 2018 auf www. taurillon.org. In der Zwischenzeit haben mehr als 240 Jugenddelegierte, Jugendminister*innen und andere Politiker aus den EU-Mitgliedsstaaten in Wien getagt und über die Zukunft der europäischen Jugendpolitik diskutiert. Hierbei wurde die Vision der Youth Goals konkretisiert und überlegt, wie deren Umsetzung erfolgen kann. Tibor Navracsics versprach im Rahmen der Tagung, die Europäische Kommission werde EU-Programme zur Förderung junger Menschen wie Erasmus und das Europäische Solidaritätskorps in Zukunft deutlich stärken. Für die Jugenddelegierten steht derweil fest, dass sie ihre Zukunft in Europa selbst gestalten wollen. Aus diesem Grund sei es wichtig, „dass die von uns ausgearbeiteten Youth Goals nicht nur berücksichtigt werden, sondern tatsächlich auch in die neue EU-Jugendstrategie einfließen“, so Martina Tiwald, Vorsitzende der österreichischen Bundesjugendvertretung (BJV). Juliane Bogner-Strauß, österreichische Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend, betonte im Vorfeld des Jugenddialogs, Jugendliche seien „Expertinnen und Experten ihrer Lebensrealität“ und müssten als solche angehört werden.

Schlagwörter
Ihr Kommentar
Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom