Rembrandt und der Transatlantische Sklav*innenhandel: Niederländische Museen im Fokus

, von  Julia Fischer

Rembrandt und der Transatlantische Sklav*innenhandel: Niederländische Museen im Fokus
Das Reichsmuseum stellte sich gegen die Entscheidung des Amsterdam Museums. Foto: Unsplash / Will van Wingerden / Unsplash License

Die Entscheidung des Amsterdam Museums, den Begriff des „Goldenen Zeitalters“ nicht länger zu nutzen, löste in den Niederlanden eine Debatte aus. Das Reichsmuseum und selbst Ministerpräsident Mark Rutte positionierten sich gegen die Entscheidung. Welche Argumente für oder gegen den Begriff die beiden Seiten heranziehen und welche Rolle Museen bei der Aufarbeitung kolonialer Geschichte spielen, haben wir Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, und Gert Oostindie, Professor für Koloniale und Postkoloniale Geschichte an der Universität Leiden, gefragt.

Ein Blick in die Geschichte: Gold oder grau?

Ende des 16. Jahrhunderts schlossen sich die niederländischen Provinzen erstmals gegen das Habsburgische Regime zusammen. Nachdem die südlichen Provinzen jedoch einen Friedensvertrag mit dem Habsburgischen König Philipp II schlossen, unterzeichneten die nördlichen Provinzen, die heutigen Niederlande, den Unionsvertrag von Utrecht. 1648 wurden die Niederlande mit dem Westfälischen Frieden erstmal als unabhängiger Staat anerkannt und stiegen zu einer weltumspannenden Handels- und Seemacht auf - eine Zeit, die als „Goldenes Zeitalter“ in das nationale Gedächtnis einging.

Der Begriff steht für die Entstehung und den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg der Niederlande, ebenso aber für eine Blütezeit der Kunst und Wissenschaft. In den Niederlanden gab es damals – im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten – eine relativ ausgeprägte Religionsfreiheit und eine relativ freie Lehre. Das führte zu verstärkter Immigration. Zu den Berühmtesten, die es in die Niederlande zog, zählte René Descartes.

„Die Niederlande waren solch eine dynamische Gesellschaft, weil es so viel Immigration gab: jüdische Immigration, Immigration aus Deutschland und aus vielen anderen Ländern. Die Immigrant*innen ko-kreierten dieses Goldene Zeitalter, haben es also mit geschaffen”, erläutert Gert Oostindie von der niederländischen Universität Leiden. Eine hohe Alphabetisierungsrate führte dazu, dass zahlreiche niederländische Verlage gegründet wurden, da das gedruckte Wort einen großen Markt fand. Es entstanden landesübergreifend Universitäten, die Studierende aus ganz Europa anzogen. Neben dem Ausbau der Wissenschaft blühte auch die Kunstszene auf. Zu den berühmtesten niederländischen Künstler*innen zählten zum Beispiel Rembrandt und Frans Hals. Ob Verlage oder Gemälde: Gemeinsam haben diese Faktoren das „Goldene Zeitalter“ zu einem wichtigen Teil der nationalen Mythenbildung gemacht.

Eine andere Seite des „Goldenen Zeitalters“ ist jedoch weitaus weniger „golden“: Die Niederlande zählten damals zu den Akteur*innen des transatlantischen Sklav*innenhandels und herrschten teils grausam über ihre Kolonien. Im 17. Jahrhundert wurden die Niederländische Ostindien-Kompanie (VOC) und die Niederländische Westindische Kompanie (WIC) gegründet, die maßgeblich am Sklav*innenhandel und an der Kolonialisierung vieler Teile Südostasiens, darunter zum Beispiel Indonesien sowie süd- und mittelamerikanische Länder wie Surinam, beteiligt waren. Dort wurden grausame Verbrechen verübt, die in den Niederlanden laut Friso Wielenga vom Zentrum für Niederlande-Studien in Münster mittlerweile auch in einer breiten Öffentlichkeit als solche betrachtet werden, während sie früher kaum Aufmerksamkeit bekamen.

Dazu zählt zum Beispiel, dass J.P. Coen – eine der mächtigsten Personen der Kolonialzeit – mehr als zehntausend Menschen auf den indonesischen Banda-Inseln ermorden ließ. Grund dafür war, dass er der Vereinten Ostindischen Handelskompanie das Gewürzmonopol sichern wollte. Trotzdem gibt es von Seiten der Niederlande noch kein offizielles Schuldeingeständnis, nicht zuletzt aus Sorge vor Schadensersatzforderungen. Die niederländische Regierung spricht lediglich von „tiefem Bedauern und Reue“. Ein großer Teil des Wohlstandes, den die Niederlande damals aufbauten, basierte aber auf der Ausbeutung der Kolonien und Sklav*innen. Somit hat das „Goldene Zeitalter“ auch dunkle Seiten.

Die Suche nach dem richtigen Umgang

Ein Mitdenken der dunklen Seite der Geschichte fordert auch das Amsterdam Museum - ein Ausstellungsort, in dem die Amsterdamer Geschichte nähergebracht wird. Über sich selbst schreibt das Museum, dass Amsterdam die Heimat von Johan Cruijff, Rembrandt, Ajax, dem Rotlichtviertel, der Niederländischen Ostindien-Kompanie und von Marihuana sei. Zur Geschichte von Amsterdam gehört folglich das 17.Jahrhundert als zentraler Bestandteil: Um die Geschichte umfassend zu erzählen, sucht das Museum nun den richtigen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Amsterdams.

„Wir bezeichnen das Goldene Jahrhundert nicht mehr als golden, weil es um weitaus mehr geht als um Macht, Reichtum und Ruhm“, erläuterte der Konservator Tom van der Molen dem Deutschlandfunk gegenüber, „Die Geschichte lässt sich nicht verändern – aber die Perspektive, aus der wir sie betrachten.“ Von nun an soll Kunst, die in dieser Epoche entstand, nicht länger als Teil des „Goldenen Zeitalters“, sondern unter dem Titel „17. Jahrhundert“ ausgestellt werden. Der Begriff wird also nicht mehr genutzt, damit die positiven Assoziationen, die er weckt, nicht mehr entstehen.

Nach der Entscheidung des Museums hagelte es Kritik, unter anderem vom Amsterdamer Reichsmuseum. Letzteres stellt nicht nur die Geschichte einer einzelnen Stadt aus, sondern niederländische Kunst vom Mittelalter bis heute sowie europäische und asiatische Kunst. Auch Ministerpräsident Mark Rutte, selbst Historiker, kritisierte die Entscheidung des Amsterdam Museums. Zudem schlossen sich viele rechtspopulistische Politiker*innen der Kritik an.

Das eigene Denken weiterentwickeln

Wielenga, der sich in seiner Forschung intensiv mit der niederländischen Geschichte und Politik auseinandersetzt, sagt, dass man das Problem nicht löse, indem man Begriffe streiche. „Das wäre aus meiner Perspektive grundfalsch, denn dann vergisst man auch, dass dieser Begriff seit dem 17. Jahrhundert positiv besetzt gewesen ist. Man streicht mit einem Begriff ja etwas aus der Geschichte heraus“, argumentiert er. „Da ist es viel besser zu sagen, dieser Begriff ist allgemein benutzt und hat auch das Selbstbild der Niederlande geprägt, aber man sollte auch die dunkeln Seiten dieses so genannten Goldenen Zeitalters miteinbeziehen.“ Durch ein Löschen des Begriffs könnte somit ein kollektives Vergessen darüber eintreten, dass die Niederlande lange Zeit mit sich und dem richtigen Umgang mit seiner kolonialen Vergangenheit gerungen haben.

Auch das niederländische Reichsmuseum verfolgt das Ziel, über die dunklen Seiten des „Goldenen Zeitalters“ aufzuklären - nutzt den Begriff aber weiterhin. Vielleicht liegt dort Hoffnung, dass durch die Begriffsnutzung und gleichzeitige Kritik an ihm eben dieser erweitert werden kann. Aktuell ist eine große Ausstellung zum Thema Sklaverei geplant, die aufgrund der Corona-Pandemie aber verschoben wurde.

Auch Oostindie, der bereits mit einigen Museen zusammengearbeitet hat, um zeitgemäße Konzepte auszuarbeiten, die Kunst im postkolonialen Kontext ausstellen, betont, dass die Vergangenheit nicht veränderbar sei. „Was man tun kann ist sein Denken über die Vergangenheit weiterzuentwickeln. Das ist das, was ich kritische Reflexion nenne. In diesem Sinne ist eine Wortänderung Teil eines größeren Prozesses.“ Hierzu sollten Museen seiner Meinung nach beitragen. Nach dieser Argumentation könnte die Wortänderung des Amsterdam Museums dazu beitragen, dass zumindest in der Gesellschaft darüber diskutiert wird, ob dieser Begriff zeitgemäß ist oder schlichtweg beschönigend.

Deutlich werden aber auch zwei Probleme: zum einen dass allein die Wortänderung zu wenig ist, um die koloniale Vergangenheit der Niederlande aufzuarbeiten. Und zum anderen dass der Diskurs über den Begriff laut Wielenga nicht gesamtgesellschaftlich, sondern in der Museumswelt oder unter Historiker*innen geführt werde.

Niederländische Museen an vorderster Aufklärungsfront

Drei weitere niederländische Museen haben ihre Wurzeln in der kolonialen Vergangenheit. Dazu zählt das sogenannte Museum Volkenkunde in Leiden, das Tropenmuseum in Amsterdam und das Afrika-Museum in Berg en Dal. Zusammen bilden sie das Nationale Museum der Weltkulturen (NMVW). Ihren Wurzeln seien sie sich durchaus bewusst, so Oostindie. So arbeiteten sie mittlerweile an vorderster Front der kritischen Bewertung des niederländischen postkolonialen Erbes. Dazu gehört auch, dass die drei Museen Forschung in diesem Bereich selbst betreiben oder unterstützen. So haben sie eine Richtlinie zur Rückgabe kolonialer Raubkunst und einen Prozess ausgearbeitet, mit dem Objekte oder Kollektionen der Museen zurückgefordert werden können.

Stijn Schoonderwoerd, Direktor des NMVW erklärt auf der Homepage des Tropenmuseums, dass Objekte, die ohne Zustimmung der Besitzer*innen in den vier Jahrhunderten des weltweiten Kolonialismus in die Obhut des NMVW gekommen seien, zurückgegeben werden sollten. Man möchte jedoch nicht auf Forderungen der Herkunftsländer warten, sondern selbst aktiv werden. Im NMVW stammen laut Schoonderwoerd ungefähr 200.000 Objekte aus einem kolonialen Kontext. Da jedoch sämtliche Objekte und Kollektionen der Museen dem niederländischen Staat gehören, können die Museen die Rückgabe nicht selbstständig vollziehen. Sie beurteilen jeden Fall, aber die finale Entscheidung liegt bei der niederländischen Regierung.

Weiterhin waren die drei Museen maßgeblich daran beteiligt, die niederländische Initiative „Musea Bekennen Kleur“ (Museen bekennen Farbe) ins Leben zu rufen, die sich als Ziel gesetzt hat, die aktuell hauptsächlich weiß-dominierte Museumswelt inklusiver zu gestalten. Dadurch, dass so eine Initiative nötig ist, wird jedoch auch deutlich, dass es in der Museumswelt noch einen weiten Weg zu gehen gibt, damit auch Schwarze Menschen und People of Colour gleichermaßen in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Gerade wenn es um die Begriffsnutzung des „Goldenen Zeitalters“ geht, bleibt deswegen fraglich, ob hier nicht eher weiße Menschen darüber diskutieren, ob der Begriff noch zeitgemäß oder verletzend ist.

Nicht nur von den Museen wird die Aufklärung vorangetrieben. Aus der Zivilgesellschaft entstand zum Beispiel die „Black Heritage Tour“, die von Jennifer Tosch 2013 in Amsterdam ins Leben gerufen wurde. Sie kam als Studentin in die Niederlande, um mehr über die Geschichte ihrer in Suriname aufgewachsenen Eltern zu erfahren. Ihr fiel auf, dass in den Niederlanden nur die eine Seite der Kolonialgeschichte erzählt wurde. Die Perspektive der Schwarzen Bevölkerung wurde nicht thematisiert. Tosch gründete daraufhin die „Black Heritage Tour“, die die andere Seite der Geschichte aus der Perspektive der schwarzen Bevölkerung in den Niederlanden erzählt. Die Tour gibt es mittlerweile auch in New York, derzeit wird eine weitere Tour in Brüssel geplant.

Teil einer größeren Debatte

Friso Wielenga und Gert Oostindie ordnen die Museumsdebatte in einen größeren gesellschaftlichen Diskurs in den Niederlanden ein, indem laut Wielenga eine „kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte“ stattfindet. Er sagt, dass sich „dieser kritischere Blick auf die eigene Geschichte nicht auf die Zeit des „Goldenen Zeitalters“, der Sklaverei oder der späten Abschaffung der Sklaverei“ beschränke. Der kritische Blick sei weitaus breiter. Dazu gehören ihm zufolge ebenfalls Debatte über den „Zwarten Piet“, den schwarzen Diener des Nikolaus, der jedes Jahr die Geschenke an die niederländischen Kinder verteilt, und die Frage, ob die Figur veraltet sei. Auch da äußerte sich der Ministerpräsident mittlerweile und zeigte Verständnis für die Schwarze Community in den Niederlanden, die die Figur ablehnt, weil sie koloniale Stereotypen bestärkt.

Für Oostindie ist das ein Anlass zum Optimismus: Es zeige, dass eine kritische Aufarbeitung der Zeit möglich sei. Mit Blick auf das „Goldene Zeitalter“ stellt er fest, dass es sich um einen „Teil einer größeren Debatte in der niederländischen Gesellschaft über Kolonialgeschichte und seine koloniale Vermächtnisse“ handele und „es für die Gesellschaft mittlerweile möglich ist, die zuvor glorifizierte Erzählweise der Kolonialvergangenheit anzufechten“. Folglich finde sich ein Bewusstsein in der niederländischen Gesellschaft, sich mit der eigenen Geschichte kritisch auseinanderzusetzen und ein differenziertes Bild der Geschichte anzuerkennen, resümiert er.

Ein weiter Weg

Trotzdem steht die Auseinandersetzung der Museen mit ihrer kolonialen Vergangenheit noch am Anfang. Dass kritische Diskurse wie jener um das „Goldene Zeitalter“ entstehen, ist ein Zeichen, dass es in die richtige Richtung geht. Auch die neue Richtlinie zur Rückgabe von Raubkunst kann ein wichtiger Schritt sein, um sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, den Kunstraub anzuerkennen und Objekte zurückzugeben. Die Museen prägen damit die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit in den Niederlanden und spielen bei Bildung und Aufklärung eine maßgebliche Rolle. Gerade die Epoche des „Goldenen Zeitalters“ in der Kunstgeschichte gilt als eine der herausragendsten: Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Diskus über die Verwendung des Begriffs ausgerechnet in Museen entsteht, wo Meisterwerke aus einer Zeit ausgestellt werden, in denen der niederländische Sklav*innenhandel entstand, der wiederrum maßgeblich den Reichtum der Niederlande gemehrt hat, wodurch mehr Zeit und Geld für Kunst entstand. Ein Gang durch die Museen zeigt jedoch auch: Es ist an der Zeit, beide Seiten der Geschichte zu erzählen.

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