Europa auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft?

Reduce, Reuse, Recycle

, von  Florian Bauer, Moritz Hergl

Reduce, Reuse, Recycle

Plastik-zersetzende Bakterien und ein Tinder für die Weiterverwendung von Reststoffen: Viele Technologien und Ideen für nachhaltiges Wirtschaften gibt es bereits. Doch schafft die EU den Systemwandel zur Kreislaufwirtschaft?

Carbios, ein französisches Unternehmen, treibt in Europa die Vision einer abfallfreien Wirtschaft voran: Mit speziell gezüchteten Enzymen zersetzt es PET-Plastik, das daraufhin wieder zu neuen Produkten verarbeitet werden kann. Die Technologie soll in wenigen Jahren die Marktreife erlangen und ist eines der Vorzeigeprojekte im europäischen Recycling-Sektor. Auch Christian van Maaren hat mit seinem Start-Up Excess Materials Exchange eine Marktlücke entdeckt. Seine Matching-Plattform hilft Unternehmen dabei, überschüssige Materialien, die sonst als Abfall entsorgt würden, an andere Firmen zu vermitteln. Sowohl Carbios als auch Excess Materials Exchange sind Beispiele für eine aufstrebende Branche an Unternehmen, die sich auf Kreislaufwirtschafts-Prinzipien stützen.

Was genau ist Kreislaufwirtschaft?

„Kreislaufwirtschaft“ beschreibt die Idealvorstellung einer Wirtschaftsweise, die auf Abfallvermeidung und Wiederverwendung von Materialien beruht. Müll und Verschwendung werden auf jeder Ebene der Herstellung und Nutzung von Gütern vermieden. Der Lebenskreislauf eines Produkts (s. Grafik) wird von Anfang an mitgedacht und das Design und die Wahl der Materialien ermöglichen eine möglichst lange Verwendung, etwa durch einfache Reparierbarkeit. Wenn ein Produkt dann doch sein Lebensende erreicht hat, lässt es sich einfach recyceln und optimalerweise für neue Produkte nutzen.



Grafische Darstellung eines Produkt-Lebenszyklus in der Kreislaufwirtschaft. Grafik: © Europäisches Parlament, 2015


Im März 2020 stellte die EU-Kommission den „Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ vor und gab dem Thema im Rahmen des Europäischen Green Deals politische Priorität. Doch für ihre Verfechter*innen bedeutet Kreislaufwirtschaft nicht nur einen abstrakten Maßnahmenkatalog, um beispielsweise die Recyclingfähigkeit von Produkten zu steigern, sondern einen fundamentalen Bewusstseins- und Systemwandel.

Vier Prinzipien für eine nachhaltige Wirtschaft

Im Jahr 2018 haben EU-Bürger*innen durchschnittlich 492 kg Müll aus privaten Haushalten oder vergleichbaren Einrichtungen verursacht. Einweg-Plastikflaschen, vermeintlich kaputte Waschmaschinen und Smartphones mit schwachem Akku landen in großen Mengen und oft nach nur kurzer Nutzungsdauer im Abfall. Um dem entgegenzuwirken, stützt sich die Kreislaufwirtschaft vier Prinzipien:

1. Weniger statt mehr konsumieren

Ein Mensch in Europa häuft im Laufe seines Lebens etwa 10.000 Besitzgegenstände an. Die ständige Erzeugung neuer Bedürfnisse und die Normalisierung des Austauschs vermeintlich veralteter, aber weiterhin funktionsfähiger Produkte durch Neue ist selbstverständlicher Bestandteil unserer derzeitigen Wirtschaftsform. Hinter dem ersten Prinzip der Kreislaufwirtschaft steht die Frage: “Brauche ich das wirklich?” und die Idee einer bewussten, genügsamen Ressourcennutzung.

2. Ausleihen statt Besitzen

Warum muss mir die Bohrmaschine gehören, die ich sowieso nur dreimal im Jahr benötige? Und haben Hersteller*innen, bei denen ich Nutzgegenstände wie etwa einen Drucker miete statt kaufe nicht einen viel größeren Anreiz, diese so zu bauen, dass sie dauerhaft funktionsfähig sind? Ein wichtiges Konzept der Kreislaufwirtschaft ist die Idee des „Produkts als Dienstleistung“, also als Alternative zum klassischen Besitzstück. Schon heute gibt es viele Initiativen wie die Plattform Cosum, die beispielsweise nachhaltiges Leihen und Schenken im Raum Berlin ermöglicht.

3. Reparieren statt Kaufen

Die klassische Reparatur ist zur Seltenheit geworden - denn Wegwerfen und neu kaufen ist oft billiger als eine aufwendige Reparatur. Die Kosten für Umwelt und Klima sind in dieser Rechnung allerdings nicht enthalten. Ein weiteres Problem liegt im geplantem Verschleiß, also dem Konzept, dass Geräte so konzipiert sind, dass sie oft kurz nach Ablauf der Garantieleistung kaputtgehen - und dann eine Reparatur sehr aufwendig ist. Unternehmen haben schließlich ein Interesse daran, neue Produkte zu verkaufen. Hier fordert die Kreislaufwirtschaft ein grundsätzliches Umdenken, für das auch das EU-Parlament plädiert: künftig soll es ein “Recht auf Reparatur” geben.

4. Kooperation statt Konkurrenz

Die Kreislaufwirtschaft erfordert einen Mentalitätswandel der Wirtschaftsakteur*innen: Ein sinnvoller Umgang mit Ressourcen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette erfordert ungekannte Formen der Koordination und Kooperation. Wie etwa das Start-Up Excess Materials Exchange zeigt können beispielsweise Abfallprodukte des einen Unternehmens oft von anderen weiterverwendet werden. Um diese Kooperationsvorteile zu schöpfen braucht es aber Transparenz und Vertrauen.

Ein Paradigmenwechsel ist dabei auch von der Politik gefordert: Einzelne Unternehmen und Konsument*innen können zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, werden aber nur mit der richtigen politischen Rahmensetzung Erfolg haben. Diesen will die Europäische Kommission mit ihrem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft setzen.

Was die EU-Kommission plant: ein Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft

Die EU-Kommission hat Branchen identifiziert, die besonders hohes Kreislaufpotenzial haben und konzentriert sich in ihrem Plan auf Kunststoffe, Elektronik, Textilien sowie Batterien. Auch Verpackungen, das Bauwesen und die Lebensmittelindustrie sollen nachhaltiger werden. Zukünftig sollen Produkte zu einem gewissen Anteil aus recycelten Stoffen hergestellt werden müssen. Aktuell ist es häufig billiger, neue Rohstoffe statt recycelter Materialien in der Produktion zu verwenden. Daher soll ein Recycling-Markt geschaffen und dabei verhindert werden, dass recyclingfähige Materialien einfach verbrannt werden. Einen solchen Pflichtanteil soll es in Zukunft auch für den Bau neuer Gebäude geben. Die klimafreundliche „Renovierungswelle“ im Rahmen des Green Deals soll ebenfalls im Einklang mit Prinzipien der Kreislaufwirtschaft geschehen.

Lisa Tostado der grünen Heinrich-Böll-Stiftung bezeichnet den Aktionsplan als „einen der ambitionierteren Pläne“ der neuen EU-Kommission. Zugleich sieht sie die Konzentration auf Recyclingquoten als Problem und fordert ein größeres Augenmerk für die Vermeidung von Ressourcenverbrauch an der Quelle und Mehrwegsysteme. Bei stetig ansteigender Ressourcennutzung könne auch ein größerer Recycling-Anteil wenig ausrichten, um die Umwelt- und Klimaauswirkungen zu reduzieren, so Tostado.

Kleine Schritte für ein großes Ziel: Europa als erster klimaneutraler Kontinent

Auch die bestehende EU-Ökodesign-Richtlinie, die Standards für die Umweltverträglichkeit und Energieeffizienz von Elektrogeräten (auf einer Skala von A+++ bis G) setzt, soll auf ein breiteres Produktspektrum erweitert und reformiert werden. Nachhaltiges Produktdesign soll zur Norm und insbesondere ein „Recht auf Reparatur“ eingeführt werden: Produzent*innen sollen Ersatzteile und Reparaturanleitungen zur Verfügung stellen und ihre Produkte reparaturfreundlich designen.

Mit dem Umstieg auf E-Mobilität soll außerdem kein neues Müllproblem entstehen, sondern von Beginn an ein Konzept für das Recycling von E-Auto-Batterien umgesetzt werden. Desweiteren beinhaltet der Kommissionvorschlag eine Initiative zur Vereinheitlichung von Ladegeräten für Smartphones und anderen elektronischen Geräten, die Einführung eines Verbots der Vernichtung unverkaufter, nicht verderblicher Waren und Vorschriften zur Verringerung von Verpackungsmüll.

Ein langer Weg

Mit der Kreislaufstrategie traut sich die EU-Kommission an einen zentralen Aspekt des Wirtschaftssystems, der essentiell sein wird in der Frage, ob sich der Klimawandel aufhalten lässt. Innovative Unternehmen stellen ihre Geschäftsmodelle bereits auf Kreislaufprinzipien um und schöpfen damit vielfältige Potenziale aus. Noch werden die geplanten EU-Maßnahmen allerdings von NGOs als unzureichend kritisiert: Recycling-Zahlen würden etwa oft schön gerechnet, weil Nachweis- und Kontrollsysteme in den Zielländern von Müllexporten mangelhaft seien. Deshalb fordern viele deutsche Umweltverbände ein gänzliches Verbot des Exports schwer recyclingfähiger Abfälle.

Das Europäische Parlament hat bereits begonnen, den Plan der Kommission zu bearbeiten. Rapporteur Jan Huitema steht vor keiner leichten Aufgabe: 1001 Änderungsanträge zur Gesetzesvorlage hat er bereits erhalten. Doch auch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten werden einiges an Gesprächsbedarf haben, sind sie doch diejenigen, die viele der Vorschläge umzusetzen haben. Ein radikales Umdenken ist notwendig - bei Konsument*innen, bei Unternehmen und bei Politiker*innen. Nur dann kann der Paradigmenwechsel gelingen.

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