Rassismus im Schafspelz

Die Identitäre Bewegung

, von  Valentin Goppel

Rassismus im Schafspelz
Illustration: Jani Sellmann (treffpunkteuropa.de exklusiv zur Verfügung gestellt)

Die Schülerzeitung „Blickkontakt“ des Von-Müller-Gymnasiums in Regensburg nimmt die „Identitäre Bewegung“ genauer unter die Lupe. Blickkontakt ist ein Kooperationspartner von treffpunkteuropa.de.

„Warum heißt Deutschland denn Deutschland?!“, fragt ein völlig aufgelöster Mann mit sächsischem Akzent. Mit weit aufgerissenen Augen beantwortet er die Frage selbst: „Na, weil es den Deutschen gehört natürlich!“ Diese Türken allerdings, berichtet der Mittfünfziger mit Halbglatze, würden sich so verhalten, als „gehöre das Land schon ihnen, aber es gehört doch den Deutschen!“ Seine Stimme überschlägt sich vor Verzweiflung. Als er schließlich erzählt, „die Türken“ hätten ihn dazu aufgerufen, er solle nach Hause gehen, scheint er den Tränen nahe. „Die sollen nach Hause gehen! Nicht wir! Wir sind doch zuhause!“

Im Hintergrund werden große Fahnen mit alten Runen geschwungen. Als jemand „Berlin ist unsere Stadt!“ brüllt, stimmen die Umstehenden ein. Fanatisch brüllt sich die Menschenmenge die Seele aus dem Leib. Später ändern sich die Gesänge. Aus „Berlin ist unsere Stadt“ wird „abschieben“ und „Heimatliebe ist kein Verbrechen.“ Die Demonstration wurde von der Identitären Bewegung in Berlin organisiert, einer neuen europaweiten, rechten Gruppierung, die besonders an Hochschulen präsent ist. Mit Aktionen wie der Besetzung des Brandenburger Tors machte sie in den letzten Jahren nationale Schlagzeilen. Ihr Symbol – ein schwarzes Lambda auf gelbem Grund – erinnert stark an das Symbol der SA. Die Bewegung steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Eine Frau Mitte Sechzig erklärt dem Interviewer im forschen Ton, sie seien keine Nazis, sie seien lediglich Patrioten. Doch stimmt das denn? Laut Wikipedia ist Patriotismus lediglich die emotionale Verbundenheit mit dem Vaterland. Die Identitären sind ja offensichtlich nicht nur begeistert vom eigenen Heimatland. Sie sind auch sehr erpicht darauf, dieses mit aller Kraft für sich zu behalten. Fast schon wie patzige Kinder, die ihr Essen nicht teilen wollen. Auf der Website der Identitären wird von der „Verteidigung des Eigenen“ gesprochen. Konkret geht es hier um ihre „ethnokulturelle Identität“, ein Begriff, der unterstellt, ein Staatsvolk müsse als Kultur- und Abstammungsgemeinschaft erhalten werden. Doch schon hier liegt die Krux. Auf den ersten Blick klingt dieser „Ethnopluralismus“ nach einem ziemlich toleranten und fortschrittlichen Weltbild mit dem Ziel eines harmonischen Zusammenlebens aller Völker. Tatsächlich geht es bei diesem Begriff aber eben nicht um die Vielfalt der Weltgemeinschaft oder gar um eine multikulturelle Gesellschaft. Vielmehr propagiert er ein isoliertes Bestehen der einzelnen Völker, mit dem Ziel, eine Vermischung dieser zu verhindern. Somit ist der Begriff lediglich ein harmlos scheinender Deckmantel für eine altbekannte Ideologie: Rassismus.

Die nordische DNA, Grundstein der herkömmlichen deutschen Rassisten, wurde hierbei lediglich durch die deutsche Kultur ersetzt, die man vor fremden Einflüssen zu schützen habe. Ob sich die Deutschen nun durch Sauerkraut und Bier oder durch blaue Augen und blonde Haare von den Türken unterscheiden, ist aber irrelevant. Die Schlussfolgerung, dass die Migration der Türken einen schlechten Einfluss auf das deutsche Volk habe, und die Türken deswegen nichts bei uns zu suchen hätten, bleibt die Gleiche. Denn es ist derselbe Rassismus, nur eben ohne das Prinzip der Rassen.

Diese Taktik, den eigenen Nationalismus und Rassismus geschickt in sperrige Fremdwörter zu verpacken, um einen akademischen und seriösen Eindruck zu vermitteln, findet man in der Propaganda der Identitären immer wieder. Somit scheinen sie sich auf den ersten Blick von offenkundig nationalistischen Gruppierungen wie der NPD abzuheben. So sind bei Demonstrationen der Identitären fast ausschließlich Gesichter zu sehen, die ebenso gut in jede Philosophie-Vorlesung passen würden. Jutebeutel und Man-Buns sieht man hier sehr viel häufiger als Skinheads und Reichsadler-Tattoos, obgleich man auch diese vereinzelt antrifft. Das Gesicht und österreichisches Oberhaupt der Identitären, Martin Sellner, beispielsweise gibt offen zu, aus der Neonazi-Szene zu kommen. Inzwischen allerdings habe er sich davon distanziert und einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Heutzutage habe er mit dieser „Jugendsünde“, so Sellner, allerdings nichts mehr damit zu tun.

Tatsächlich aber sind die Ziele der Identitären Bewegung nur schwer von denen der NPD zu unterscheiden, lediglich die Ausdrucksweise ist eine Andere. „Wir nennen uns Identitäre Bewegung, doch wir sind nur Nazis mit `ner komplizierten Erklärung“, singt der Youtuber „Snicklink“ und trifft es damit ziemlich genau auf den Punkt. Statt „Ausländer raus“ ruft der moderne Rechte heute „Remigration“. Auch die Wortneuschöpfung „Ethnopluralismus“ entspricht diesem Schema der verbalen Verschleierung.

Ob man nun aber direkt von Rassismus oder Ethnopluralismus spricht, ist erstmal egal. Sowohl Identitäre als auch herkömmliche Nazis übergehen bei ihrer Angst vor den Fremden die Ursprünge der eigenen Werte. Kultur und genetische Zusammensetzung einer Bevölkerungsgruppe basieren auf dem Verschmelzen verschiedenster Urkulturen und Gene. So gesehen muss eine Veränderung stets als eine natürliche Entwicklung betrachtet werden. Sie ist geradezu wünschenswert. Denn nur dadurch kann sich eine Gesellschaft weiterentwickeln. Doch die neuen Rechten versuchen krampfhaft, an den alten Traditionen, dem Gewohnten, dem, was scheinbar unveränderlich war, festzuhalten.

Dem neuen Rechten fällt es schwer, die wesentlichen Bestandteile der eigenen Identität im Gewirr des Individualismus des 21. Jahrhunderts gegenüber anderen zu behaupten. Es fällt ihm schwer, die Teile des eigenen Charakters, die ihn von seinen Mitmenschen unterscheiden, auszuleben und offen zu ihnen zu stehen. In der Öffentlichkeit ist der neue Rechte wegen seiner eigenen Unfähigkeit, für sich einzustehen, immer dazu gezwungen, sich auf die objektiven Teile seiner Identität zu beschränken. Auf das, was ihm in die Wiege gelegt wurde, auf die Bestandteile, die keinen Katalysator benötigen, um sich zu entwickeln, sondern die ihn immer schon ausmachten. Er definiert sich über die eigene Herkunft, die Errungenschaften seiner Vorfahren und die Identität des eigenen Volkes. So beurteilt er andere nicht nach ihren Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen, sondern nach Herkunft, Sprache und Traditionen. Diese Fixpunkte allerdings sehen die Identitären stets in akuter Bedrohung. Sei es durch die Flüchtlinge, die dieses altehrwürdige Bild von Deutschland, mit Krautsalat und Kruzifix, scheinbar zerstören, die liberalen Politiker, die diese neue Veränderung sogar befördern , oder die „Lügenpresse“, die die scheinbare Zerstörung Deutschlands herunterspielt.

Die neue rechte Ideologie ist geprägt von der Angst um den Verlust der nationalen Identität, die Verdrängung der eigenen Kultur, die Unterdrückung der Deutschen durch die bösen Ausländer. Diese Ideologie teilen neben AfD und Pegida auch die Identitären. Auch ihre Propaganda ist gebaut auf diesem Fundament der Angst. Verzweifelt warnen sie vor dem „großen Austausch“, dem Ersetzen der einheimischen Kultur durch die Kultur der Fremden. Ganze Lieder schreiben sie darüber. Mit schwarzen Masken und Lederstiefeln prophezeien fünf Französinnen vor eingefügtem Sternenhimmel den „grand remplacement“ und wirken wie die theatralischen Vorboten der Apokalypse. Man behandelt ihn wie eine riesige Katastrophe, die bald über uns alle hereinbrechen wird und vom Staat und der liberalen Politik unterstützt wird. Die Flüchtlinge werden von den neuen Rechten als „Invasoren“ bezeichnet. Auch Renaud Camus, der französische Schriftsteller, der den „großen Austausch“ erfand, benutzt diesen Begriff.

Doch die Identitäre Bewegung ist nicht die einzige Gruppe, die diese Angst, diese scheinbar anstehende Katastrophe thematisiert. Alexander Gauland, der Parteivorsitzende der AfD, betitelte die Flüchtlinge schon als „Barbaren“. Götz Kubitschek, Herausgeber von Renaud Camus‘ Buch, ist nicht nur der ideologische Ziehvater der Identitären Bewegung, sondern auch ein enger Wegbegleiter des AfD Politikers Bernd-Björn Höcke. Wie bei der Identitären Bewegung steht auch bei der Alternative für Deutschland dieses sprachliche Verharmlosen der Kernessenz des Gesagten auf der Tagesordnung. Im Wahlprogramm der AfD ist unter dem Punkt „Kultur“ folgendes zu finden: „Die Ideologie des Multikulturalismus gefährdet alle diese kulturellen Errungenschaften. ‚Multi- Kultur‘ ist Nicht-Kultur. (...) die AfD wird nicht zulassen, dass Deutschland aus falsch verstandener Toleranz sein kulturelles Gesicht verliert.“

Somit bleiben die Thesen die gleichen. Während die AfD als demokratisch gewählte Partei im Bundestag legal kulturellen Rassismus propagiert, steht die Identitäre Bewegung für die eben gleichen Ansätze schon unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Auch die NPD spricht vom Ethnopluralismus. In ihrem Wahlprogramm ist dieser Begriff allerdings nirgends zu finden. Im Gegensatz zu AfD und Identitären sind sie ein wenig direkter. Sie schreiben: „Jedes Volk hat ein Recht auf Selbstbestimmung und Wahrung kultureller und nationaler Identität.“ Das Kapitel, in dem dieser Satz aufzufinden ist, heißt allerdings nicht wie bei der Identitären Bewegung „Erhalt der ethnokulturellen Identität“, sondern „Deutschland den Deutschen“.

Dieser Artikel wurde zuerst in der Schülerzeitung Blickkontakt veröffentlicht. Blickkontakt ist ein Kooperationspartner von treffpunkteuropa.de.

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