Wer tritt an?
Bei den bevorstehenden Wahlen wetteifern zahlreiche Kandidat*innen um den Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft Polens. Die größten Chancen, die Wahl für sich zu gewinnen, haben derzeit Rafał Trzaskowski (Bürgerplattform), Karol Nawrocki (parteilos, aber von der PiS unterstützt), Sławomir Mentzen (Konföderation) und Szymon Hołownia (Polen 2050). In den letzten Wochen hat sich ein Zweikampf um den Einzug in den Warschauer Präsidentenpalast zwischen diesen beiden Kandidaten zugespitzt:
Rafał Trzaskowski
Rafał Trzaskowski ist im Rennen um die Präsidentschaft kein unbekanntes Gesicht. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 trat er gegen Amtsinhaber Andrzej Duda an, verlor jedoch in der zweiten Runde mit knappen 48,97 %. Der Bürgermeister von Warschau, der der liberal-konservativen Partei Bürgerplattform angehört, repräsentiert vor allem die progressive Wählerschaft.
Dominiert wird seine Wahlkampagne von drei Schwerpunkten: Wirtschaft, Sicherheit und Gleichstellung. Zu seinen zentralen gleichstellungspolitischen Positionen gehören die Unterstützung von LGBTQ-Rechten, die Einführung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und die Liberalisierung des Abtreibungsrechts. In Bezug auf sicherheitspolitische Fragen dreht sich neben den europäischen Verteidigungsausgaben alles um das Thema Migration. Trzaskowski spricht sich offen gegen die Annahme des von der EU verabschiedeten Migrations- und Asylpakets aus und verweist darauf, dass Polen bereits Millionen von Ukrainer*innen in Folge des russischen Angriffskriegs aufgenommen hat. Um der hohen Inflation des Landes entgegenzuwirken, plädiert er für einen unabhängigen Nationalbankchef und eine Senkung des Leitzinses.
Karol Nawrocki
Der offiziell zu keiner Partei gehörende Karol Tadeusz Nawrocki ist ein polnischer Historiker und Leiter des Instituts für Nationales Gedenkens (IPN). Er vermittelt ein bestimmtes historisches Bild von Polen, das sich auf den Nationalstolz und die Opferrolle während des Zweiten Weltkriegs konzentriert. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihn zu ihrem Kandidaten berufen hat, da sie nicht nur in der Frage der Reparationszahlungen aus Deutschland dem gleichen Narrativ folgen.
Im Unterschied zu seinem Herausforderer ist er gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts und begründet dies mit seinem Glauben. Seine konservativen Ansichten spiegeln sich auch in seiner Haltung gegenüber der sogenannten „Gender-Ideologie“ wider. Nawrocki positioniert sich als Präsidentschaftskandidat der hart arbeitenden Pol*innen und Unternehmer*innen und will per Gesetz die Abschaffung der Steuer auf Überstunden durchsetzen. Um die Sicherheit Polens zu gewährleisten, beabsichtigt er, die polnische Armee zu vergrößern und sie zur größten Streitmacht in der NATO zu machen. Im Falle eines Wahlsiegs strebt er die Aufhebung des EU-Migrationspakts an, um Polens Grenzen zu schützen. Außerdem steht er der Green-Deal-Politik skeptisch gegenüber und beabsichtigt ein Referendum darüber abzuhalten.
Was sagen die Umfragen?
Diverse Umfragen deuten darauf hin, dass Rafał Trzaskowski derzeit die besten Chancen hat, die Wahl im Mai zu gewinnen. Trzaskowski führt aktuell mit 32 % der Stimmen, während Karol Nawrocki mit 24 % auf dem zweiten Platz liegt. Sławomir Mentzen, der für die Konföderation kandidiert, kommt auf 15 %, gefolgt von Szymon Hołownia (Polen 2050) mit 7 %. Jüngste Schätzungen lassen darauf schließen, dass es einen zweiten Wahlgang zwischen Trzaskowski und Nawrocki geben wird, um eine absolute Mehrheit zu erreichen.
Dabei könnte eine Reihe von Faktoren Einfluss auf den Wahlausgang haben. Eine große Frage ist, welche Wähler*innenwanderung es im Zuge der Stichwahl geben wird. Darüber hinaus prägen brisante Skandale den Ruf der jeweiligen Kandidaten. Anfang des Jahres war Nawrocki in Erklärungsnot geraten, da Dokumente offenlegten, dass er über sechs Monate lang eine Wohnung im Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig genutzt hatte, ohne die Kosten dafür zu tragen. Gleichzeitig inszeniert sich der Historiker als bürgernah und aus einem einfachen Arbeitermilieu stammend. Trzaskowski hingegen kann auf eine lange politische Karriere zurückblicken, wurde aber oft dafür kritisiert, dass er hauptsächlich die Eliten der Großstädte vertritt. Er muss daher darum kämpfen, auch als Präsidentschaftskandidat für die Landbevölkerung wahrgenommen zu werden. Es wird deutlich, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei Kandidaten ist, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Auswirkung des Wahlergebnisses auf die politische Landschaft in Polen
Um die Relevanz des Wahlergebnisses und die damit verbundenen politischen Auswirkungen zu verstehen, ist ein Blick auf die vergangenen Parlamentswahlen im Jahr 2023 und die Vetofunktion des Präsidenten hilfreich.
Nach acht Jahren unter der rechtspopulistischen PiS-Regierung gelang es Polen im Dezember 2023, eine proeuropäische Regierung unter Führung von Donald Tusk zu bilden. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt machte sich die neue Regierung daran, Polen wieder auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit und liberalen Demokratie zu bringen. Daraufhin genehmigte die Europäische Kommission bereits nach wenigen Monaten die Freigabe von 137 Milliarden Euro aus EU-Mitteln. Zahlreiche andere Veränderungen folgten, etwa die Umstrukturierung der öffentlichen Medien zur Vermeidung verzerrter politischer Berichterstattung.
Dennoch fällt die erste Bilanz der neuen polnischen Regierung eher durchschnittlich aus. Das ist vor allem auf die in der Verfassung festgeschriebene Vetofunktion des Präsidenten zurückzuführen, die ihn mit der Kompetenz ausstattet, jegliche Gesetze zu blockieren. Dabei war eine der größten Enttäuschungen wohl die gescheiterte Umsetzung der Liberalisierung des strengen Abtreibungsrechts. Obwohl Präsident Duda im Vorfeld angekündigt hatte, einen entsprechenden Gesetzesentwurf nicht unterzeichnen zu wollen, fand der Entwurf bereits im polnischen Parlament keine Mehrheit.
Angesichts der eher durchwachsenen Bilanz der Tusk-Regierung und der von vielen Wähler*innen erwarteten besseren Ergebnisse sind zwei Szenarien denkbar. Entweder wird Andrzej Duda von einem liberalen Kandidaten abgelöst, der die Pläne der Regierung unterstützt und eine Zusammenarbeit befürwortet. Oder es ist mit einem „Business as usual-Ansatz“ zu rechnen, der die Blockaden des vorherigen Präsidenten fortsetzt. Im letzteren Fall könnte dies zu einer zunehmenden Unzufriedenheit der polnischen Bürger*innen mit der Regierung und einer potenziellen Wiederwahl der PiS bei den Parlamentswahlen führen.
Auch wenn der Ausgang der Präsidentschaftswahl ungewiss ist, ist klar, dass sie entscheidend dafür sein wird, ob Polen seine Rückkehr zur liberalen Demokratie fortsetzen kann. Ein Sieg eines liberalen Kandidaten wäre auch für die internationale Wahrnehmung von hoher Bedeutung. Es wäre ein Beweis dafür, dass eine proeuropäische Rückkehr zu einem liberalen System möglich ist. Dies ist besonders wichtig, da wir nicht nur in den USA, sondern auch bei unseren europäischen Nachbarn einen Rechtsruck und politische Instabilität zu verzeichnen haben.
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