Österreichs Koalitionsspiel und seine Folgen für Europa

, von  Bastian De Monte, übersetzt von Julia Bernard

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Österreichs Koalitionsspiel und seine Folgen für Europa
Fotoquelle: Flickr/ Raul Mee / CC BY 2.0

Auch mehr als einen Monat nach den vorgezogenen Wahlen in Österreich, ist noch immer keine Regierungsbildung in Sicht. Wahlsieger Sebastian Kurz (ÖVP) kann zwischen seinem alten Partner, der Freiheitlichen Partei Österreichs, der FPÖ, oder einer bisher noch ungetesteten Koalition mit den Grünen wählen. Wie alles begann, wie es sich entwickelt hat und was es für Europa bedeuten könnte.

Am 26. Oktober feierte felix Austria seinen Nationalfeiertag zum Gedenken an den Abzug der Besatzungsmächte im Jahr 1955. Das Diktum des „glücklichen“ Österreichs geht auf die Kaiserzeit zurück und ist vor allem dafür bekannt, dass es sich auf die Ehepolitik der Habsburger bezieht, die dazu beitrug, sie als eine der mächtigsten Dynastien Europas zu etablieren. „Tu felix Austria nube“ - du, glückliches Österreich, heirate! Aber einen Partner zu finden ist nicht immer einfach. Und so kommt es, dass das Land immer noch von einer Übergangsregierung geführt wird, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Nach einer erschütternden Regierungskrise lassen die Ergebnisse der Neuwahlen des Nationalrates im September mehrere Optionen zu.

Zurück zu den Anfängen: die Ibiza-Affäre

Die Bundestagswahl 2017 ergab eine Mitte-Rechts-Regierung unter der politischen Führung des jungen Kanzlers Sebastian Kurz, der einige Monate zuvor die konservative Österreichische Volkspartei übernommen und mit den Sozialdemokraten gebrochen hatte. Der anschließend verkündete Reformkurs der Koalition Kurz‘ mit der FPÖ genoss in den kommenden Monaten hohe Zustimmung.

Und dann: Ibiza. Die Insel ist zu einer Allegorie für den Skandal geworden, der eineinhalb Jahre nach Amtsantritt Kurz stattfand. Zwei deutsche Zeitungen veröffentlichten ein Video, in dem führende FPÖ-Politiker vor den Nationalratswahlen mit Hilfe eines russischen Oligarchen die Übernahme von Österreichs größter Zeitung planen. Versprochen wurde: Sobald man in der Regierung sei, wolle man die Kooperation mit großen Infrastrukturprojekten belohnen. Nach Bekanntwerden gingen Tausende Menschen auf die Straße, um Neuwahlen zu fordern- und so geschah es auch.

Eine nichtendende und turbulente Wahlkampagne

Die Veröffentlichung erfolgte eine Woche vor den EU-Wahlen, bei denen die FPÖ von 26% bei den Parlamentswahlen 2017 auf 17% zurück fiel. Jedoch verblieb keine Zeit für eine Verschnaufpause: Nach Beenden der ersten Kampagne mussten die Parteien ihre Wahlkampagnen-Apparate am Laufen halten, um die nächste Wahl vorzubereiten. Während die Grünen von der Fridays for Future-Bewegung profitierten, verloren sich die Sozialdemokraten - wie anderswo in Europa auch - in einer personellen Führungs-und ideellen Sinnkrise. Und Kurz fokussierte sich so stark auf die rechte Seite der Wähler, dass in der Mitte den Liberalen viel Platz blieb.

Die FPÖ ihrerseits war bestrebt ihre inneren Reformen glaubwürdig zu verkaufen, indem sie sich von allem oder jedem Unangenehmen befreite und offen für die Fortsetzung der Koalition warb. Lange Zeit schien diese Strategie erfolgreich zu sein: Nur sehr wenige erwarteten, dass Kurz keine zweite „Ibiza-Koalition“ zu Gunsten einer Koalition mit den Grünen und der liberalen NEOS (Renew Europe) bilden würde. Aber alle Bemühungen waren hinfällig, als ein weiterer Skandal - diesmal über die Parteifinanzen - das nationalistische Lager erschütterte. Dabei stellte sich unter anderem die missbräuchliche Verwendung öffentlicher Mittel für private Zwecke heraus, wie etwa bei der Ehefrau des ehemaligen Vorsitzenden Strache, die für ein Monatsgehalt von rund 9.500 Euro bei der Partei beschäftigt gewesen war. Das Problem dabei: Philippa Strache stand auf der Wählerliste und stand kurz davor, zur Abgeordneten der FPÖ gewählt zu werden, was nun als das Ergebnis eines „Hinterzimmer-Abkommens“ erschien. Heinz-Christian Strache hat anschließend, trotz der Ibiza-Affäre, genügend Stimmen für einen Sitz im Europäischen Parlament erhalten und dies obwohl es sich bei ihm nur um eine Solidaritätskandidatur am Ende der Wahlliste gehandelt hatte. Da sich die Partei glaubwürdig von ihrer Vergangenheit distanzieren wollte, bot sie Frau Strache einen sogenannten „stillen Sitz“ im Parlament an.

Unerwartete Ergebnisse, harte Verhandlungen

Viele FPÖ-Wähler wurden demobilisiert oder wechselten zu Kurz‘ ÖVP, dessen Partei sich stark nach rechts orientiert hatte und sich mit 37% als klarer Sieger der Septemberwahlen herausstellte. Einen schwachen zweiten Platz sicherten sich die Sozialdemokraten mit 21%. Die FPÖ stagnierte bei 16% (im Vergleich zu den EU-Wahlen), während die Grünen ein fulminantes Ergebnis von 14% erreichten.

Während die FPÖ nach der Wahl selbst deklarierte, dass sie kein Regierungsmandat erhalten hätte, schienen Sozialdemokraten und Volkspartei unvereinbar, eine Konstellation, die den Weg für Gespräche zwischen Kurz und den Grünen eröffnete. Aufgrund ihrer großen politischen Unterschiede wurde vorgeschlagen, dass die zentristischen NEOS, obwohl ihre Sitze keine notwendige Voraussetzung sind, als eine Art Vermittler einbezogen werden könnten. Die Sondierungsgespräche zwischen diesen potenziellen Partnern wurden am 8. November abgeschlossen. Die Entscheidung, ob mit den eigentlichen Koalitionsverhandlungen begonnen wird oder nicht, wird voraussichtlich kurz darauf getroffen.

In der jüngsten Geschichte Europas gibt es grundsätzlich nur eine Handvoll Beispiele für Regierungskoalitionen zwischen Konservativen und Grünen (Tschechien, Irland, Finnland), und für Österreich wäre es definitiv ein Novum. Solche Allianzen wurden auf regionaler Ebene getestet und haben sich bewährt, aber nach dem Rechtsruck von Kurz sind viele Grüne - insbesondere die linke Parteibasis in Wien, wo sie mit den Sozialdemokraten regieren - sehr skeptisch.

Viele Analysten erinnern sich an die frühen 2000er Jahre, als Ex-Kanzler - und ein Mentor Kurz‘- Wolfgang Schüssel sich als klarer Gewinner der Neuwahlen 2002 herausgestellt hatte und mit den Grünen sondierte. Ihre Differenzen waren jedoch so unüberbrückbar, dass er sich schließlich dafür entschied, die Regierung mit einer geschwächten FPÖ fortzusetzen. Im Jahr 2019 könnte sich diese Situation durchaus wiederholen: Die FPÖ-Führung rudert bereits zurück und ist plötzlich nicht mehr grundsätzlich dagegen, Verhandlungen aufzunehmen, wenn die Gespräche mit den Grünen scheitern sollten.

Eine gleichermaßen entscheidende Wahl für Österreich und Europa

Und nun hat Österreich nach dem Misstrauensvotum, in dem FPÖ und Sozialdemokraten Kurz des Amtes enthoben haben (eine Premiere in der Geschichte der Republik!) eine Übergangsregierung eingesetzt. Diese hat den langjährigen Kommissar Johannes Hahn erneut nominiert, weshalb er bald für den EU-Haushalt zuständig sein wird. Diese nicht sehr wagemutige Entscheidung ist angesichts der vorrangig technokratischen Konzeption der Regierung und Hahns Verdienste auf der europäischen Bühne, dennoch ein sehr verständlicher Schritt gewesen. Der Konservative gilt moderater als die zuvor gehandelte Europaabgeordnete Karoline Edtstadler. Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im letzten Jahr hatte Edtstadler als Staatssekretärin die strenge Haltung ihrer Regierung zu Migration stark verteidigt. Hinzu kommt: Als Kandidatin für die EU-Wahlen hat sie oft die proeuropäische Kampagne ihres eigenen nationalen Spitzenkandidaten vereitelt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die erneute Nominierung von Hahn wahrscheinlich zu weniger Störungen auf österreichischer Seite führen wird, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem Österreich an einem Scheideweg steht. Die „Ibiza-Koalition“ - wie die abgesetzte Regierung genannt wurde - hat die Alpenrepublik zweifellos nach Visegrád verlagert. Sollten die Verhandlungen mit den bedingungslos proeuropäischen Grünen erfolgreich abgeschlossen werden, kann dieser Weg umgekehrt werden – sogar noch mehr, wenn die offen föderalistischen NEOS Teil einer solchen Regierung sein sollten.

Ein solches Bündnis würde nicht nur einen allgemeinen Rückschlag für populistische Parteien in ganz Europa bedeuten – gerade bei der FPÖ, die eine der erfolgreichsten war: Sie würde auch Umwelt- und Klimafragen die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen, und Österreich möglicherweise zu einem der stärksten Verfechter des European Green Deal von baldiger Kommissionspräsidentin von der Leyen machen. Das Endergebnis der Verhandlungen wird somit nicht nur für Österreich, sondern auch für Europa insgesamt entscheidend sein: Österreich könnte sich von einem zögerlichen Land zu einem konstruktiven Partner entwickeln. Wer weiß, vielleicht sprechen wir bald von felix Europa.

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