Interview zu den Wahlen in Italien

Nichts, was wir nicht schon einmal gesehen haben

, von  Claudia Bothe

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Nichts, was wir nicht schon einmal gesehen haben
Das Parlament in Rom: Am 25. September wurde eine neue Regierung in Italien gewählt. Foto: Julia Cascado / Pixabay / Pixabay Lizenz

Am 25. September hat Italien gewählt - schon wieder. Eindeutige Siegerin ist Giorgia Meloni, die mit ihrer Partei Fratelli d’Italia insgesamt 26% der Stimmen einholen konnte. Für Matteo war die Wahl kein gutes Ergebnis. Der 25-Jährige ist in Italien aufgewachsen und hat in Bologna Politikwissenschaften studiert. Im Interview berichtet Matteo, wie die Stimmung unter den Italiener*innen ist und was die Wahl für Italiens Zukunft bedeutet.

treffpunkteuropa.de: Wie hast du den Wahlkampf und die Präsidentschaftswahlen erlebt?

Matteo: Dieses Jahr war alles anders. Als die alte Regierung unter Draghi im Juli zusammenbrach, waren wir nicht wirklich auf eine Neuwahl vorbereitet. Der Wahlkampf dauerte insgesamt nur zwei Monate, von Juli bis September. Normalerweise ist das die Zeit, in der alle im Urlaub sind. Der August ist in Italien fast so etwas wie ein heiliger Monat - niemand arbeitet oder liest Nachrichten. Außerdem darf man in Italien nur dort wählen, wo man auch gemeldet ist. Ich zum Beispiel studiere und arbeite in Bologna, offiziell bin ich aber immer noch in der kleinen Stadt im Nordwesten Italiens gemeldet, in der ich aufgewachsen bin. Ich musste also zurück in mein Heimatdorf fahren, um wählen zu können. Einige meiner Freunde aus Sizilien oder Süditalien konnten allerdings nicht in ihre Heimat zurückkehren und konnten deshalb nicht wählen. Tatsächlich gab es viele Beschwerden über diese Regelung.

Ist das auch der Grund für die niedrige Wahlbeteiligung? Insgesamt haben nur 64% der Italiener*innen gewählt.

Ich denke, die Regelung, dass man nur dort wählen kann, wo man registriert ist, spielt eine große Rolle. Ich würde vermuten, dass von den 36% Nichtwähler*innen, wahrscheinlich die Hälfte einfach nicht wählen konnte, weil sie weit weg arbeiten oder studieren. Gleichzeitig gibt es aber auch eine gewisse Politikverdrossenheit. Wir hatten in den letzten Jahren eine technokratische Regierung und inzwischen fühlen sich die Menschen sehr weit entfernt von den Politiker*innen. Sie haben nicht das Gefühl, dass ihre Stimme tatsächlich etwas bewirken kann. Egal, wen man wählt, am Ende wird einfach ein*e andere*r Technokrat*in an der Macht sein.

Klingt so, als seien die Italiener*innen frustriert und müde von den vielen Wahlen?

Ich würde nicht sagen, dass sie müde sind, aber viele haben das Gefühl, dass ihre Stimme nutzlos ist. Egal wen ich wähle, am Ende hat man doch jemanden wie Mario Draghi, der für eine sehr technische Regierung steht. Zum Vergleich, in den 80er und 90er Jahren war die Wahlbeteiligung viel höher und die Italiener*innen wählten Politiker*innen mit Visionen, an die sie wirklich glaubten. In den letzten Jahren ist die Politik in Italien dagegen sehr viel technischer geworden.

Wie erklärst du dann, dass die Koalition der konservativen, rechtsextremen Parteien trotzdem 44% der Stimmen auf sich vereinen konnte?

Ich höre oft, dass Italien jetzt nach rechts rückt, aber das glaube ich nicht. Ich meine, 26% für Melonis Partei Fratelli d’Italia ist viel, aber der Erfolg der Rechten hat auch viel mit dem Wahlsystem zu tun. Insgesamt haben die rechten Parteien 44% der Stimmen erhalten, aber aufgrund unseres Wahlsystems übersetzt sich das in fast 60% der Sitze im Parlament und somit hat die Rechte Koalition die Mehrheit. Das bedeutet, das Wahlsystem begünstigt Parteien, die als Koalition in die Wahlen gehen. Die linken Parteien hingegen haben auch deshalb so schlecht abgeschnitten, weil sie sehr zersplittert sind.

Aber die Unterstützung für eine rechte Politik wächst...

Ja, aber es gab schon immer diesen Teil Italiens, der rechts gewählt hat, ob es nun Berlusconi war, die Lega Partei oder jetzt Meloni. Und ehrlich gesagt sind sie alle fast gleich, nur dass Meloni vielleicht faschistischer ist. Aber ich erwarte keine große Veränderung für Italien - nichts, was wir nicht schon einmal mit Berlusconi erlebt haben. Ich meine, ich unterstütze diese Regierung nicht, aber ich erwarte nicht, dass sich Melonis Koalition so sehr von den vorherigen rechten Regierungen unterscheidet.

Warum hat Meloni einen so großen Erfolg?

Ich denke, der Hauptgrund, warum Meloni dieses Ergebnis erzielen konnte, ist, dass sie noch nie in einer Regierung war. Als Teil der Opposition ist es einfacher, Unterstützung zu gewinnen, weil man nicht für die aktuelle Politik verantwortlich ist. Melonis Partei war die einzige im Parlament, welche die Regierung Draghi nicht unterstützt hat. Wenn man also mit der Regierung nicht einverstanden war, dann ist Meloni im Grunde die einzige Alternative. Gegen die Draghi Regierung zu sein, war der Hauptgrund für den Erfolg von Meloni.

Glaubst du, dass sich die Beziehungen zwischen Italien und der EU verschlechtern werden?

Ja, ich denke, es wird sich einiges ändern, denn vor Meloni war Draghi Premierminister und er gilt als starker Befürworter und wichtige Figur in der EU. Langfristig denke ich aber, dass sich Meloni anpassen und mit der EU zusammenarbeiten muss. Während des Wahlkampfs hat Meloni extreme Aussagen gemacht und sich sehr EU-skeptisch geäußert. Jetzt aber, wo sie in der Regierung ist, muss sie realistisch sein und sich den Umständen anpassen. Es ist viel einfacher, während des Wahlkampfs kontroverse Dinge zu sagen, als wenn man tatsächlich in der Regierung ist. Italien ist Teil der EU und wir müssen das europäische Recht respektieren. Das muss auch Meloni akzeptieren.

Was bedeuten die Wahlen für die Zukunft Italiens?

Für mich war die Wahl kein gutes Ergebnis, denn die rechte Koalition, die die Regierung bildet, vertritt eine sehr konservative Politik. Ich denke, dass sich das Land in den nächsten fünf Jahren quasi rückwärts bewegen wird. Deshalb kann ich nur auf die nächsten Wahlen warten und hoffen, dass diese Regierung so wenig Schaden wie möglich anrichtet. Ich bin mir nicht sicher, wie gut die Koalition zusammenarbeiten wird, sie streiten ständig. Deshalb hoffe ich, dass diese Regierung nicht lange im Amt bleibt und dass wir so bald wie möglich wieder wählen.

Dann wird das Rechtsbündnis nicht lange bestehen?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke, es wird viele Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung geben. Aber die Rechte ist auch sehr opportunistisch. Bestes Beispiel ist Berlusconi: Er hat keine Ahnung von Politik. Während seiner ganzen Karriere hat er sich nur um seine eigenen Interessen gekümmert, aber er wurde trotzdem gewählt. Es ist also schwer zu sagen, ob die rechte Regierung fünf Jahre durchhalten kann, aber ich hoffe nicht.

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