Die SPD hat den Wahlkampf spektakulär verpatzt. Martin Schulz ist angezählt, die Geier kreisen bereits. Der erste Schnabelhieb kommt dabei von Olaf Scholz, der sich gegen den Erneuerungskurs von Martin Schulz stellt, in dem dieser innere Reformen forderte, die Rückkehr zu linken Werten und mehr auf Mitglieder und Mitbürger zu hören. Der Hamburger SPD-Chef ist seit Jahren Mitglied des konservativen Parteiflügels „Seeheimer Kreis“. Deren Maßstab für soziale Politik sei die Realität. Während die parlamentarische Linke der SPD daran arbeitet, diese Realität für die Menschen zu verbessern, möchte der Seeheimer Kreis die Sozialpolitik nach Bedarf anpassen - und im Zweifelsfall eben auch einschränken.
Olaf Scholz’ Plan für die Zukunft: „Weiter so!“
In seinem Grundsatzpapier fordert Scholz vor allem „keine Ausflüchte“ und „klare Grundsätze“. Die Devise lautet: Fortschritt, Wirtschaftswachstum und ein Stückchen weiter rechts. Eher liberal als sozial. Inhaltlich liefert er wenig neue Anstöße, stattdessen viele klassische Polit-Worthülsen. Es geht ihm vor allem um die „Erzählung“, welche die SPD liefern soll: Fortschritt und Gerechtigkeit, aber bitte schön pragmatisch.
Scholz fordert ein Ende der üblichen Ausreden, ruht sich aber auf der Vergangenheit aus; spricht beispielsweise davon, wie viel einfacher der Zugang zu Bildung inzwischen sei. Während in „seiner“ Stadt Hamburg die Universität chronisch unterfinanziert bleibt, und Arbeiterkinder an deutschen Hochschulen noch immer Mangelware sind.
Kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Kurs findet bei Olaf Scholz nicht statt. Im Grunde steht sein Konzept vor allem dafür, alles so zu lassen wie es ist. Man müsse nur das Vertrauen wieder gewinnen – denn angeblich hätte man ja für alles Lösungen und Ideen, sie würden nur nicht umgesetzt oder klar genug gefordert. Das einzige „neu“ in seinem Plan ist das „neu definieren“.
Die SPD muss soziale Politik wieder ernst meinen
Scholz’ Programm hat aber noch ein ganz anderes Problem: Wer soll so eine SPD wählen? Eine „Seeheimer-SPD“ würde um FDP oder Unionswähler buhlen und das eigentliche Wählerpotential der SPD völlig der Linkspartei überlassen. Scholz wortreiches Konzept ist eine Totgeburt. Nur ein bisschen sozialer sein als die CDU, das reicht nicht. Er würde die SPD zu einer liberalen statt sozialen Partei machen, die sich von ihrem Klientel der sozial Schwächeren, völlig entfremdet. Die Wahl hat deutlich gezeigt, dass gerade die sozial Schwachen überdurchschnittlich oft Nichtwähler sind. Diesen Menschen bietet die etablierte Politik keine Perspektive – und spielt somit den Rechtspopulisten in die Hände. Gerade die SPD müsste sich um diese Menschen kümmern, wenn sie zeigen will, dass sie „sozial“ noch ernst meint.
Ralf Stegner: Um die Menschen kümmern statt Rechtsruck!
So sieht es auch Ralf Stegner. Für den Schleswig-Holsteiner ist die SPD nichts Geringeres, als eine Großbaustelle. Sein Kurs ist klar formuliert: „Zurück nach links!“ Dazu gehört für ihn vor allem, sich um die Verunsicherung und die Veränderungsängste der Menschen zu kümmern. Viele Forderungen Stegners erinnern an die von Martin Schulz – allerdings führt er diese weiter aus und bringt Ideen und Konzepte ein. Im Gegensatz zu Scholz spricht Stegner unangenehme Wahrheiten tatsächlich aus: Dass in der SPD das Durchschnittsalter bei 60 Jahren liege und mangelnde ehrenamtliche Kampagnenfähigkeit herrsche – was für Scholz nur „Ausflüchte“ sind.
Stegners kritischer Bestandsaufnahme folgt ein detaillierter Plan von zwölf Punkten, wie die SPD sich zukünftig orientieren sollte und wie Lösungen für diese Herausforderungen aussehen könnten. Nicht nur von Bildungs- oder Lohngerechtigkeit und Solidarität reden, sondern auch so handeln. Dazu mehr parteiinterne Demokratie und streitbare Positionen statt dem Mainstream hinterher zu rennen. Stegner will die SPD wieder zur führenden Friedens- und Europapartei machen.
Identitätskrise – Eine Partei ohne Gesicht
Die heutige SPD krankt noch immer am Erbe Gerhard Schröders, dessen wenig soziale Reformen viel Vertrauen bei den Wählern zerstört haben. Seitdem scheint es, als hätte die SPD ihre Identität verloren. Die eigentliche Friedenspartei winkt Waffenexporte durch, scheint ihre Werte einfach nicht mehr durchsetzen zu können – oder zu kennen. Selbst klassische SPD-Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Establishment-Kritik kann sie nicht mehr glaubhaft besetzen. Aber wer Schröder allein den Schwarzen Peter zuschiebt, macht es sich zu einfach. Selbst wenn der Altkanzler mit seinen Sprüchen und fragwürdigen Verbindungen zu Russland und Lobbygruppen der SPD immer wieder in die Parade fährt: Sie schafft es nicht, sich davon zu befreien.
Sie bleibt zerrissen zwischen sozialer Partei und dem verwaschenen Bild einer „Volkspartei“. Dabei ist das Konzept der „Volkspartei“ gar kein echtes Ideal. Politik für Alle zu machen ist unmöglich, dafür sind die Menschen zu verschieden. Jede Partei hat Zielgruppen. Werden diese aber zu breit gesetzt, dann landet man in dem Dilemma, sich selbst widersprechen zu müssen, um allen nach dem Mund zu reden und jedem etwas zu versprechen.
Was man aber tun kann, ist, Politik für das Gemeinwohl zu machen.
Das entscheidende Wort ist „Glaubwürdigkeit“
Eine zusätzliche Gefahr dabei ist, statt nach echten Lösungen lieber möglichst breite Kompromisse zu machen. Das Resultat ist, dass die SPD ihre Profilschärfe völlig verloren hat und trotz guter Arbeit in der Koalition ihre Botschaft nicht mehr überzeugend darstellen kann. Sie ist der CDU zu nahe gerückt und hat deren Politik zu lange mitgetragen. Es reicht nicht, nur von „sozialer Gerechtigkeit“ zu reden. Man muss auch sagen, wie sie aussehen soll. Einen Plan oder eine Vision aufstellen. Und vor allem zeigen, dass man es ernst meint. Denn das fehlt der SPD. Deshalb glaubt ihr niemand. Die Wähler sind nicht dumm. Sie merken, wenn jemand nur sozial redet, aber dann keine sozialen Verbesserungen bringt.
Der Gang in die Opposition war die erste, richtige Entscheidung für die SPD, sich wieder ein Profil zu geben. Nun müssen Taten folgen. Eine glaubwürdige, sozialdemokratische Partei muss Lösungen und Alternativen zu Merkels „Alternativlosigkeit“ und den Scheinalternativen der AfD bieten.
Wohin sich die erneuerte SPD orientieren soll, darüber herrscht zumindest unter der Bevölkerung Klarheit. In einer Umfrage vom 27.10. 2017 zeigt das ZDF-Politbarometer, dass sich 40% der Deutschen und 50% der SPD-Mitglieder mehr linke Positionen wünschen. Eine „rechtere“ SPD wollen nur 24%, bzw. 18% der Befragten. Da sollten die Mächtigen der SPD zuhören, wenn sie glaubwürdig werden wollen. Denn aktuell bleibt alles beim Alten: Oppermann – ein strammer Seeheimer – ist Fraktionsvorsitzender. Überall sieht man alte Gesichter. Dieselben Gesichter, die Teil des Problems sind, Teil der Misere, in der die SPD jetzt sitzt.
Phönix aus der Asche - oder Abstellgleis
Das Wahlergebnis der SPD im Bund ist kein simpler Warnschuss. Wenn man den Worten der drei Manifestschreiber glauben will, dann hat die SPD das eingesehen. Aber aus der Erkenntnis müssen endlich Taten folgen. Auch wenn sie schmerzlich werden könnten. Den aktuellen Mächtigen der SPD vertrauen die Deutschen nicht. Da ist kein Idealismus, keine Leidenschaft. Es ist eine Partei alter Männer, die von der Entwicklung in Gesellschaft und Technik abgehängt sind, obwohl sie Antworten auf die Digitalisierung finden wollen. Dabei aber noch immer das Internet im Wahlkampf unterschätzen und darauf beharren, nichts falsch zu machen. Wie soll man beispielsweise einem Olaf Scholz soziale Politik abkaufen? „Seine“ Bürger ächzen unter teilweise unerträglichen Mietpreisen, während Scholz sich mit teuren Prestigeprojekten schmückt: Olympia-Bewerbung, Hafen City, Elbphilharmonie und der von Ausschreitungen und Polizeigewalt begleitete G20-Gipfel. Da hilft es auch nicht, mal eben 12 Euro Mindestlohn zu fordern. Ein Teil der Parteijugend, der sich trotz des in Hamburg und anderswo herrschenden, hohen Anpassungsdrucks nicht auf Linie bringen ließ, fordert sogar als „Hamburger Plattform“ die mächtige SPD-Elite Hamburgs heraus.
Wenn es den Führungsleuten der Partei wirklich um die Sache geht, dann müssen sie die Zukunft der SPD jüngeren Mitgliedern überlassen – wenn nicht, dann opfern sie die Partei ihrer persönlichen Eitelkeit.
Leidenschaft, Mut und Idealismus – Mehr Sanders, weniger House of Kahrs
Dass man sich in der SPD nun streitet, ist völlig richtig so. Es ist sogar überfällig. Viel zu lange ging es um innere Machtkämpfe, um persönliche Eitelkeiten, statt um die Sache. Und das ist neben der Glaubwürdigkeit ein weiteres großes Problem der deutschen Sozialdemokratie: Es gibt kaum demokratische Kultur innerhalb der Partei selbst.
Es herrscht ein Klima des sich Hochdienens und Posten von oben Verteilens. Nur wenige Impulse gelangen aus der Basis nach oben. Stattdessen werden teilweise sogar die Mitglieder von Parteifunktionären mit Versprechungen manipuliert, um die eigene Macht zu erhalten.
Inmitten dieses Taktierens um Stimmen und Posten hat die SPD aufgehört, Inhalte zu liefern. Das Soziale fiel kampflos an die Linke, die Establishment-Kritik hat sogar die AfD übernommen. Es ist ein rein defensiver, mutloser Kampf um die Erhaltung der Macht, die man hat – und doch Stück für Stück verliert.
Wenn man sehen will, wie Sozialdemokratie wirklich geht, lohnt der Blick über den großen Teich. Im Kampf um die demokratische Kandidatur für das Präsidentenamt gab es Einen, der zum Phänomen wurde. Sein Name: Bernie Sanders.
Obwohl selbst über Siebzig, motivierte Sanders die jungen Leute wie kein Anderer, brachte frischen Wind in angestaubte Debatten. Er finanzierte seine Kampagne ohne große Spenden, setzte stattdessen auf das Netz und auf ehrliche Leidenschaft für die Themen. Er lebte, was er tat, hatte Ecken und Kanten, forderte kein „bisschen hier, bisschen da“, sondern eine soziale Revolution. Sanders wagte das, was sich die deutsche Sozialdemokratie nicht mehr traut: Idealismus. Den hat die SPD genauso verloren, wie das Vertrauen der Bürger. Martin Schulz hatte, als der „Schulz-Zug“ gerade Fahrt aufnahm, alle Chancen, der deutsche Bernie Sanders zu werden: Authentisch, ehrlich, sozial. Das hätte er durch mutige Forderungen zeigen müssen, einen Alternativentwurf zum Merkel-Kurs bieten. Nur mit Idealismus kann man Menschen begeistern. Pragmatismus motiviert niemanden. Keiner geht auf die Straße für „ein bisschen mehr liberal“.
Die SPD sollte sich nach Jahren der Koalition wieder trauen zu fordern. Sie muss ihr Regime alter Männer und die eigene Mutlosigkeit überwinden, muss ihre Richtung und ihre Leidenschaft wiederfinden. Und nicht wie ein kleiner schmächtiger Junge mit dem Napf vor dem Speisemeister stehen und um etwas mehr bitten.
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