Am 7. Oktober, dem jüdischen Sabbat, begann die palästinensische islamistische Bewegung Hamas, die seit 2013 von der Europäischen Union und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, mit einer Reihe von bewaffneten Angriffen aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium. Diese jüngsten Entwicklungen sind Teil eines Konflikts, der den Nahen Osten seit rund 75 Jahren beschäftigt und für den noch immer keine endgültige Lösung gefunden wurde. Israels abwehrende Reaktion, die die palästinensische Zivilbevölkerung nicht verschonte, spaltet seitdem die EU-Mitgliedstaaten. Dies nicht zuletzt auch wegen möglicher schwerer Verstöße gegen internationales Recht, welche Israel billigend in Kauf nimmt und so möglicherweise gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt.
Ringen um gemeinsame Position
Die mangelnde Einigkeit, die nicht ausschließlich auf die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Mitgliedstaaten zurückzuführen ist, zeigt sich auf institutioneller Ebene bereits zwei Tage nach den ersten Angriffen der Hamas. Dies geschah, als der ungarische EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, die Aussetzung der humanitären Hilfe für Palästina seitens der EU ankündigte. Diese Entscheidung wurde noch am selben Abend vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell dementiert, indem er die Bedeutung der Bereitstellung humanitärer und finanzieller Hilfe für Palästina bekräftigte. Er betonte jedoch auch eine bessere Überprüfung vor Zahlungen, um zu verhindern, dass diese Geldsummen in irgendeiner Weise die Hamas finanzieren können. Borrell forderte die israelische Regierung außerdem auf, ihre Art der Selbstverteidigung zu überdenken, da mehrere Maßnahmen Israels schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen würden, darunter die vollständige Blockade des Gazastreifens und die Vergeltungsmaßnahmen zum Nachteil der Zivilbevölkerung.
Nach dieser bedeutenden Stellungnahme des „Chefdiplomaten“ der EU entschied sich die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am 13. Oktober für eine sehr umstrittene Reise nach Israel. Dort betonte sie nachdrücklich das Recht des Landes auf Selbstverteidigung, vergaß jedoch die Wichtigkeit der Einhaltung des Völkerrechts zu bekräftigen (im Gegensatz zu dem, was Israel zu diesem Zeitpunkt in Erwägung gezogen hat). Ebenso wenig organisierte sie einen Besuch in den palästinensischen Gebieten, wo die Zivilbevölkerung nicht zu rechtfertigenden Gräueltaten ausgesetzt ist. Dies führte natürlich zu viel Kritik und Unzufriedenheit innerhalb der Europäischen Union, da die Kommissionspräsidentin auf ungeschickte Weise versäumte, der Vielstimmigkeit Europas Rechnung zu tragen, aber vor allem das Bild einer EU zu vermitteln, die bereit ist, für die Einhaltung des allgemeinen und humanitären Völkerrechts zu sorgen - ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten während des Ukraine-Konflikts. Dennoch rechtfertigte Frau von der Leyen ihre Reise, indem sie sagte, dass „es keinen Widerspruch zwischen der Solidarität mit Israel und der Reaktion auf die humanitären Bedürfnisse der Palästinenser gibt“.
Die Maßnahmen der Europäischen Union
Am 19. Oktober schien das Europäische Parlament einen gemeinsamen Standpunkt zu finden, als es eine Resolution verabschiedete, die die Angriffe der Hamas auf Israel verurteilte und die Einhaltung des humanitären Rechts in Gaza durch eine sogenannte „humanitäre Pause“ fördern sollte, ohne jedoch einen Waffenstillstand zu erwähnen. Mit dieser Formulierung wurde lediglich eine vorübergehende Einstellung der Kampfhandlungen aus Gründen der Bereitstellung humanitärer Hilfe für die Bevölkerung vorgesehen und nicht die endgültige Beendigung des Konflikts. Dies führte zu Kritik seitens mehrerer Parteien, trotz des allgemeinen Erfolgs der Resolution bei der Institution, die eigentlich als Symbol der demokratischen Vertretung in der EU gilt.
Auf der Tagung des Europäischen Rates am 26. Oktober versuchten die EU-Mitgliedstaaten schließlich, eine gemeinsame Position festzulegen, die ihre Meinungsvielfalt angesichts dieses sensiblen und komplexen Themas zusammenfassen könnte, trotz der Einigkeit über die unbestrittene Verurteilung der Angriffe der Hamas. Nach fünfstündigen Verhandlungen, in denen es vor allem um die richtige Wortwahl ging, um ihre Einstellung zum Konflikt zu beschreiben, übernahmen die Staats- und Regierungschefs der EU die Formulierungen, die bereits in dem Beschluss des Parlaments enthalten waren. Nämlich die „humanitäre Pause“ (die auf Vorschlag Frankreichs als „humanitäre Waffenruhe“ bezeichnet wurde), welche diesmal einen echten Kompromiss zwischen den von Spanien befürworteten Bemühungen um einen Waffenstillstand und dem von Deutschland bekräftigten Recht Israels auf Selbstverteidigung darstellt. Dieser Waffenstillstand sieht die Schaffung humanitärer Korridore vor, die den Lebensunterhalt der palästinensischen Zivilbevölkerung sowie die Achtung ihrer Rechte im Einklang mit dem Völkerrecht gewährleisten sollen, wobei stark darauf geachtet wird, dass für die Palästinenser bestimmte Güter nicht in die Hände der Hamas oder anderer Terrororganisationen gelangen.
Gespaltene Stimmen bei den Vereinten Nationen
Doch die Tatsache, dass eine gemeinsame Stimme innerhalb der EU gefunden wurde, verhinderte nicht, dass die einzelnen Staaten ihre eigene nationale Position auf Ebene der UN-Generalversammlung vertraten. Dort brachte Jordanien einen Resolutionsentwurf zum „Schutz von Zivilisten und zur Einhaltung rechtlicher und humanitärer Verpflichtungen“ ein, der schließlich auch angenommen wurde. Bei diesem Ereignis, am 27. Oktober, stimmten die 27 EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich ab, wodurch der am Vortag auf europäischer Ebene geschaffene Konsens zersplitterte und einmal mehr einen starken Mangel an außenpolitischer Geschlossenheit demonstrierte.
Dies führt natürlich zu zahlreichen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der EU. Nicht nur als geopolitischer Akteur im Nahen Osten, sondern vor allem auch als internationaler Vermittler, dem es schwer fällt, eine solide gemeinsame Position, selbst beim Schutz der Menschenrechte und des Völkerrechts, aufrechtzuerhalten.
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