Die EU-Taxonomie

Mit Atomkraft und Gas in die „grüne“ Zukunft?

, von  Johannes Riedel

Mit Atomkraft und Gas in die „grüne“ Zukunft?

Am 2. Februar war es soweit: Die EU-Kommission stufte Atomkraft und Gas endgültig als nachhaltig ein. Unumstritten ist dieser Vorstoß nicht – so haben Österreich und Luxemburg bereits eine Klage dagegen angekündigt. Doch was sind eigentlich die Beweggründe der EU? Sind sie so gar nicht nachvollziehbar? Und wer sind hier die Gewinner*innen und wer die Verlierer*innen? Ein Kommentar von Johannes Riedel.

Taxonomie Teil des European Green Deal

Die Klassifizierung von Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ ist Teil der sogenannten Taxonomie: Einem Einordnungsinstrument für private Investitionen, welches angibt, ob ein Unternehmen „grün“ agiert oder nicht. Hiermit will es die EU-Kommission in Form eines delegierten Rechtsakts mittels klarer Kriterien schaffen, dass mehr Geld in nachhaltige und zukunftsfähige Technologien investiert wird. Die EU-Taxonomie ist Teil des „European Green Deal“, laut dem in der EU bis spätestens 2050 weitgehend auf den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen verzichtet werden soll. Oberstes Ziel ist es, den Klimawandel aufzuhalten. Und das geht eben nicht ohne private Investitionen.

Atomkraft und Gas als Übergangstechnologien

Hier ist es aber durchaus wichtig zu betonen, dass die EU Gas und Atomkraft eben nicht einfach so als „nachhaltig“ einstuft, sondern als „Übergangstechnologien“ bis der Energiebedarf komplett von erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Sie sollen so der EU helfen, schneller klimaneutral zu werden. Sie sind ausdrücklich aber kein Äquivalent zu den erneuerbaren Energien. So betont die EU auch, dass sie das noch „geringere Übel“ seien - vor allem im Vergleich zur noch CO2-intensiveren Kohlekraft oder dem Heizöl. Hat die EU hier einen Punkt?

Gegner*innen und Befürworter*innen

Die EU-Mitgliedstaaten sind in Bezug auf den Punkt jedenfalls sehr gespalten. Während einige Länder wie eben Österreich und Luxemburg den Rechtsakt als Ganzes ablehnen und sogar mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof drohen, sind vor allem Länder wie Frankreich, Polen oder Schweden Befürworter*innen. Deutschland hingegen wirkt recht unentschlossen. Sind die Ampelparteien beim Thema Atomkraft, ganz im Sinne der deutschen Staatsräson, noch strikt gegen das EU-Vorhaben, ist die Einstufung von Gas als „Übergangstechnologie“ für die Bundesregierung durchaus attraktiv.

Die Vor- und Nachteile der Technologien

Nun beiseite mit dem komplexen Hin und Her von Gegner*innen, Unentschlossenen und Befürworter*innen. Was sind die konkreten Vor- und Nachteile? Hierfür muss man sich beide Technologien im Einzelnen anschauen.

Atomkraft

Im Taxonomie-Rechtsakt der EU-Kommission hat die Atomkraft eine Sonderrolle und gilt weder als reine „Brückentechnologie“ noch als komplett „grün“. Es ist zwar richtig, dass die Atomkraft an sich so gut wie gar kein CO2 verbrennt (laut IPCC Report von 2014 im Mittel ca. 66 Gramm pro Kilowattstunde). Betrachtet man aber die ganze Wertschöpfungskette fällt es sehr wohl an. Sowohl der Uranabbau, der Kraftwerksabbau oder Rückbau oder auch die Endlagerung: Das alles geht nicht ohne CO2. Zudem ist zweifelsohne eine gewisse Unfallgefahr gegeben, die verheerende Folgen haben könnte. Diese Gegenargumente werden in der Begründung der Kommission ignoriert. Zudem möchte sie durch strenge Regeln, die den Bau und Betrieb von Kraftwerken nur unter den höchsten Forderungen erlaubt, dieses Problem beheben. Nüchtern betrachtet muss man hinzufügen, dass man – sollte man in Deutschland die Atomkraft erhalten und die Kohlekraft abschalten – pro Jahr ca. 70 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr Deutschland einsparen würde. Das entspricht in etwa 1/3 der energiebedingten hier zu Lande – eine nicht zu unterschätzende Menge. Auch bietet die Atomkraft im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien eine stabile Grundlast an Energie und ist nicht von äußeren Faktoren wie Wind oder Sonne abhängig.

Erdgas

Anders als bei der Atomkraft bezeichnet die EU Gas als reine „Brückentechnologie“ hin zu den erneuerbaren Energien. Hier geht es um das geringere Übel im Verhältnis zur Kohlekraft oder auch dem Heizöl, denn Erdgas verursacht CO2. Aber eben „nur“ 250 Gramm pro Kilowattstunde und nicht 680 wie Kohle oder 319 wie Öl. Nicht eingerechnet sind hier aber die Lecks und Förderleitungen durch die das im Verhältnis zu CO2 noch klimaschädlichere Methan freitritt. Trotz alledem schätzt das Umweltbundesamt, dass die Gaskraftwerke aus den Gasnationen Russland (alle politischen Spannungen hier mal ignoriert), Norwegen und den Niederlanden rund 40% weniger Treibhausgase in die Atmosphäre stoßen als Kohlekraftwerke. Auch deshalb schränkt die EU hier ein und knüpft den Bau neuer Gaskraftwerke an die Möglichkeit der Umrüstung auf Wasserkraftwerke und eine strenge Treibhausgas-Obergrenze. Was hier aber nicht unerwähnt bleiben darf, ist die Tatsache, dass eine komplette Abschaltung von Kohlekraftwerken bei gleichzeitigem Erhalt der Gaskraftwerke die Einhaltung des 1,5 Grad- Ziels nicht einmal 100% garantiert. Hier könnte man sich also durchaus die Frage stellen: „Wie nachhaltig ist das dann?“

Hat die EU-Kommission einen Punkt?

Trotz alledem hat der ohnehin nur schwer zu stoppende Rechtsakt der Kommission (man bräuchte die absolute Mehrheit im Europäischen Parlament oder 20 Mitgliedstaaten, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren) durchaus seine Berechtigung. Das Ziel ist es, dem Klimawandel entgegenzuwirken und komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, sobald diese den europäischen Strombedarf decken können. Noch geht das nicht! Und ja, es ist nicht ideal – vor allem bei Erdgas nicht – aber es ist ein Regelwerk, was auch dafür sorgt, dass Kohle, Gas, Atom und Öl nicht einfach so nebeneinander herlaufen und irgendwann irgendwie abgeschaltet werden, sondern das eine Reihenfolge vorgibt. Und das setzt schließlich auch ein Zeichen. Vor allem im Falle der Atomkraft überwiegen in der Abwägung doch deutlich die Vorteile. Ja klar, auch hier wird in der Wertschöpfungskette CO2 verbraucht, der Müll ist ein Problem, Unfallgefahr gegeben und von Atomwaffen mal ganz zu schweigen, aber seien wir ehrlich: Wir wollen doch alle den Klimawandel aufhalten und hierfür muss man Treibhausgase reduzieren. Egal welche und wo. Und das schafft die EU-Taxonomie.

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