Menschenrechte in Europa - Die Doppelmoral der EU

, von  Michel Anderlini, Übersetzung von Simon Schmitz

Menschenrechte in Europa - Die Doppelmoral der EU

Normalerweise sieht sich die EU als Verteidiger der internationalen Menschenrechte, indem sie Sanktionen gegen Staaten erlässt, welche die Freiheiten ihrer Bürger verletzen. Dabei haben selbst innerhalb der Europäischen Union die Grundrechte einen schlechten Stand.

Laut der Website des Europäischen Auswärtigen Dienstes sieht die EU „Menschenrechte als universell gültig und nicht trennbar an. Sie fördert diese aktiv und verteidigt sie in Beziehungen zu Nicht-EU Ländern.“ Die Europäische Union positioniert sich damit klar als Verteidiger der internationalen Menschenrechte. Zudem verhängt sie Sanktionen gegen Staaten, welche die Grundfreiheiten der Menschen verletzen.

Bis heute hat die EU solche gegen 26 Staaten (darunter Nordkorea und die USA), verschiedene Terrororganisationen (von Al-Qaida bis zu der weniger bekannten Bewegung für Islamische Reformen in Arabien) und dutzende Einzelpersonen (darunter Milica Gajić-Milošević, die damalige Schwiegertochter des Serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milošević) erlassen. Was aber passiert, wenn ein EU-Mitgliedsstaat Menschenrechte verletzt? Wie können die europäischen Bürger ihre Rechte durchsetzen?

Die Instrumente der EU für Menschenrechte

Die 28 Mitgliedsstaaten und die potentiellen Beitrittskandidaten sind an die „Kopenhagener Kriterien“ gebunden, in denen die Einhaltung der Menschenrechte, die Durchführung freier, gleicher Wahlen und die Rechtsstaatlichkeit an oberster Stelle stehen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zudem als Teil der Rechtsgrundlagen der EU implementiert und somit rechtsverbindlich. Durch sie haben die Bürger der EU drei Möglichkeiten, ihre Grundrechte durchzusetzen:

Erstens: Beim Europäischen Bürgerbeauftragten kann Beschwerde gegen EU-Gremien oder -Institutionen eingereicht werden. Das Amt wird zurzeit von der irischstämmigen ehemaligen Autorin und Schriftstellerin Emily O‘Reilly ausgeführt. Die Entscheidungen des Bürgerbeauftragten sind allerdings nicht rechtsverbindlich.

Zweitens: EU-Bürger können einen Aufhebungsantrag gegen EU-Gesetze beim Europäischen Gerichtshofs einreichen. Die Kläger müssen dann beweisen, dass die Richtlinie „direkte und schädliche Auswirkungen“ auf ihre fundamentalen Rechte hat. Das ist schwierig, zumal das Gericht das Prinzip restriktiv auslegt.

Zuletzt kann eine Klage vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht werden. Dazu müssen jedoch bestimmte Kriterien erfüllt sein: Ausschöpfung aller nationalen Rechtsinstanzen, eine Zeitspanne von sechs Monaten seit der letzten gerichtlichen Entscheidung auf nationaler Ebene und eine Verletzung der Grundrecht-Charte in mindestens einem Recht. Die Anträge können auf nationale und auf EU-Gesetze verweisen.

Generell ist es für die EU-Bürger damit schwierig, ihre Rechte durchzusetzen. In diesem Sinne spricht ein Report der Robert Schuman Stiftung von „entscheidenden Lücken im System der EU zum Schutz der Menschenrechte.“ – auch wenn sich die EU noch im Umbruch befinde.

Reformen des Schutzes der Menschenrechte

Aktuell wird über zwei mögliche Wege diskutiert, wie die Menschenrechte von EU-Bürgern besser geschützt werden können. Im Oktober 2013 präsentierte der Belgische Europaabgeordnete Louis Michel einen Bericht mit dem Titel „Die Situation der Grundrechte in der Europäischen Union 2012“. Darin fordert der Parlamentarier „die Einrichtung einer Reihe von Empfehlungen und Strafen, die Einbindung eines Frühwarnsystems, politische und technische Dialoge, Aufforderungsschreiben und `Einfrierungsverfahren´ für jede Menschenrechtsverletzung eines Mitgliedsstaats“. Diese Sanktionen könnten entweder von dem Europaparlament oder von der Kommission initiiert werden.

Die zweite Option ist ein Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Artikel 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt klar fest, dass die EU der Konvention beitreten soll. Diese würde den EU-Bürger unter anderem erlauben, Europäische Gesetze, Verordnungen und Richtlinien beim Gericht in Straßburg direkt anzufechten.

Bisher ist der Verhandlungsprozess noch nicht abgeschlossen, denn große Unstimmigkeiten müssen ausgeräumt werden. So vertritt jeweils ein Richter ein Mitgliedsland der Konvention beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch wer entscheidet über die Ernennung eines Richters, der die gesamte EU vertritt? Auch könnte jedes EU-Gesetz vom Gericht in Straßburg als rechtswidrig erklärt werden: Was wären dann die Folgen, sollte die EU in gerichtlichen Fragen nicht mehr das letzte Wort haben?

Fragen, die es in naher Zukunft zu klären gilt. Zweifellos ist aber, dass diese zwei Optionen den Schutz der Menschenrechte in der EU künftig entscheidend prägen werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei one-europe.

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

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