Meine Sprache, mein Zuhause: Ukrainisch

Ein Beitrag unseren Medienpartners Meeting Halfway

, von  Birger Niehaus, Nataliya Sira

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Meine Sprache, mein Zuhause: Ukrainisch
Ternopil Stadt in der Ukraine © N. Sira, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

In diesem Teil unserer Reihe ‘Meine Sprache, mein Zuhause’ lernen wir das Ukrainische kennen, eine Sprache mit 45 Millionen Sprechern, über die die meisten Menschen sehr wenig wissen.

Mehr Texte der Reihe unseres Medienpartners Meeting Halfway “Meine Sprache, mein Zuhause” findest du hier.

Denken wir vielleicht oft darüber nach, wie schön unsere Sprache ist, wie toll sie klingt und wie klar sie unsere Gedanken und Gefühle vermitteln kann?

Die meisten Menschen messen ihrer Muttersprache nicht viel Bedeutung bei und sehr häufig fallen einem gewisse Merkmale der eigenen Sprache erst beim Lernen anderer Sprachen auf. Erst wenn wir andere Sprache lernen, suchen wir nach Übereinstimmungen in unserer Muttersprache und manchmal verstehen wir dann, dass es in unserer Muttersprache viele verschiedene grammatische und lexikalische Regeln gibt, die in der Sprache, die wir lernen, schlicht nicht existieren.

Ich fing erst an, über den Reichtum der ukrainischen Sprache nachzudenken, als ich gründlich Italienisch, Englisch und Deutsch lernte. Als ich im Ausland war und andere Sprachen sprach, bemerkte ich, dass ich mich im Ukrainischen so oder so ausdrücken konnte, während ich mich im Deutschen, Italienischen oder Englischen einer ganz anderen Art, Sätze zu bilden, anpassen musste. In Italien erkannte ich beispielsweise, dass mich die Leute nicht verstanden, wenn ich in einer Alltagssituation einfach das Ukrainische ‘Du musst in Bus Nummer 3 einsteigen’ (‘Вам потрібно сісти на автобус номер 3’) übersetzte, mich die Leute nicht verstanden. Die Italiener sagen nämlich ‘Deve prendere l’autobus numero 3’ (wörtlich ‘Du musst den Bus Nummer 3 nehmen’), während im Ukrainischen eine Person ‘im Bus sitzt’. Wenn Ausländer zum ersten Mal Ukrainisch hören, sind sie verblüfft angesichts der Musikalität der Sprache und so vieler Laute, die untypisch sind für den Großteil der europäischen Sprachen.

Hier kann man sich eine der berühmtesten und geschichtsträchtigsten ukrainischen Bands anhören, Okean Elzy mit ihrem Hit ‘Обійми’, ‘Umarmung’.

Die ukrainische Sprache gehört zur slawischen Untergruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie und ist die offizielle Sprache der Ukraine. Sie wird von zirka 45 Millionen Menschen gesprochen. Die meisten davon leben im Gebiet der Ukraine. Der Rest der Sprecher verteilt sich auf Weißrussland, Moldawien, Polen, Russland, Rumänien, die Slowakei, Kasachstan, Argentinien, Großbritannien, Kanada, die Vereinigten Staaten und andere Länder, wo Ukrainer leben.

Die ukrainische Sprache hat eine überaus reiche Geschichte, was ihren Kampf ums Überleben angeht. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verbot beispielsweise ein Dekret Peters I. von 1720 Druckerzeugnisse in ukrainischer Sprache. Etwas später, im Jahr 1763, verbot Katherina II. zugunsten des Russischen, an der Kiew-Mohyla-Akademie auf Ukrainisch zu lehren. Im 19. Jahrhundert wurde Polnisch als Hauptsprache in allen öffentlichen Schulen der heutigen Westukraine eingeführt und 1892 gab es sogar ein Verbot, Bücher aus dem Russischen ins Ukrainische zu übersetzen. Schließlich wurden mit der Russifizierungskampagne Anfang des 20. Jahrhunderts eine ukrainische Ausbildung, Kirchen und Wörter verboten. Obwohl die ukrainische Sprache jahrhundertelang drangsaliert wurde und und ihre Sprecher verfolgt und zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, nur weil sie auf Ukrainisch schrieben oder dessen Rechte und Interessen verteidigten, hat das Ukrainische all diese Schwierigkeiten überwunden und ist zur offiziellen Sprache der Ukraine geworden. Die Jahre unter den Invasoren haben ihre Spuren hinterlassen und die meisten Sprachreformen der Besetzer spiegeln sich im Wortschatz der ukrainischen Sprache wider, was zu der Bildung regionaler Dialekte und Mischsprachen beigetragen hat, deren verbreitetste heute wohl Surschyk ist.

Während seiner Geschichte hat das Ukrainische immer mit einer anderen Sprache aus der slawischen Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie im Streit gelegen: dem Russischen. Wenn wir die Unterschiede im Vokabular zwischen den slawischen Sprachen analysieren, um herauszufinden, welche Sprache dem Ukrainischen am ähnlichsten ist, wäre dies zunächst das Weißrussische und erst dann das Russische. Trotzdem hatte das Russische selbst großen Einfluss auf den Status der ukrainischen Sprache, die während der Russifizierungspolitik in offiziellen Zusammenhängen als wenig prestigeträchtig galt. Während starker Russifizierungsperioden entstand dann die ukrainisch-russische Mischsprache Surschyk. Ein Großteil der Menschen, die zuvor Ukrainisch sprachen, versuchten oder wurden gezwungen, sich nach dem Eintreten sprachlicher Russifizierungsreformen auf Russisch auszudrücken. Da die meisten Menschen aber kein Russisch konnten, begann die Bevölkerung, eine Mischversion der beiden Sprachen zu benutzen. Die zweite Welle des Surschyk kam in den 90ern mit der ukrainischen Selbständigkeit, als die ukrainische Sprache allmählich als prestigeträchtig angesehen wurde. Während dieser Periode versuchten die Russisch sprechenden Einwohner der Ukraine, sich auf Ukrainisch auszudrücken, womit sie ein russisch-ukrainisches Surschyk schufen. Eines der gängigsten Beispiele des gewöhnlichen Surschyk ist das Interrogativpronomen ‘шо’ [scho], was dem Deutschen ‘was’ entspricht und aus der Verschmelzung des ukrainischen ‘що’ [schcho] und des Russichen ‘что’ [chto] entstand. Dieses Surschyk-Pronomen wird nicht nur von vielen Menschen im Alltag, sondern auch in der Literatur verwendet. Letztlich hat es dem zweisprachigen Portal für zeitgenössische Kultur ‘ШО’ seinen Namen gegeben.

Heute ist das Ukrainische nicht nur im (säkulären) Alltag eine prestigeträchtige Sprache, sondern auch auf Internetseiten, privaten Blogs und den Profilen einiger trendiger Influencer auf Instagram. Viele Werke ukrainischer Schriftsteller wie Jurij Andruchowytsch, Oksana Sabutschko, Serhij Schadan und weiterer ukrainischer Autoren sind in andere Sprachen übersetzt worden und wurden daraufhin zu Bestsellern außerhalb der Ukraine. Die ukrainische Sprache wird auch im Ausland studiert, normalerweise von Studenten an Fakultäten für Fremdsprachen, die sich in der Slawistik spezialisieren. Beim Gespräch mit österreichischen Studenten, die Ukrainisch und Russisch als Spezialisierung gewählt haben, besonders mit Studenten der Universität Wien, konnte man oft hören, dass diese zwei Sprachen sich in Wahrheit stark voneinander unterscheiden, nicht nur hinsichtlich des Vokabulars, sondern auch hinsichtlich der Phonetik und der Grammatik. Die ukrainische Sprache gewinnt allmählich an Prestige bei ausländischen Studenten, die in die Ukraine kommen, um Ukrainisch mithilfe von Sprachkursen zu lernen. Außerdem werden gerade zahlreiche Internetplattformen entwickelt, sowohl für Ausländer, die daran interessiert sind, Ukrainisch zu lernen, als auch für Ukrainer, die ihr Wissen über ihre Muttersprache verbessern möchten.

Die ukrainische Sprache entfaltet sich momentan ebenso außerhalb der Ukraine dank internationaler ukrainischer Organisationen; Gelehrte und Schriftsteller, die sich, trotz ihres Aufenthalts im Ausland, mit literarischen Aktivitäten auf Ukrainisch beschäftigen. Darüber hinaus steigt die Zahl der Studenten, die Ukrainisch als Studienfach wählen, mit jedem Jahr und wenn eines gewiss ist, dann dies: So lange es Sprecher einer bestimmten Sprache gibt und Leute, die sich dafür interessieren, sie zu lernen, wird sie weiterexistieren.

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